Die Rostocker Ermittlerinnen Katrin König (Anneke Kim Sarnau, l.) und Melly Böwe (Lina Beckmann) untersuchen den Schauplatz eines weiteren Rachedelikts. Foto: NDR/Christine Schroeder

Im Rostocker "Polizeiruf 110": Nur Gespenster" wird eine Familie auf brutale Weise von den totgeglaubten Dämonen ihrer Vergangenheit eingeholt. Doch auch Kommissarin Katrin König muss sich unfreiwillig wieder mit den verdrängten Traumata ihrer Kindheit auseinandersetzen.

Der dritte gemeinsame Fall der Kommissarinnen Katrin König (Anneke Kim Sarnau, 51) und Melly Böwe (Lina Beckmann, 42) führt sie nicht nur in die Rostocker Kiffer- und Sado-Maso-Szene, sondern auch in die Abgründe einer zerbrochenen Familie.

Darum geht es im "Polizeiruf 110: Nur Gespenster"

König und Böwe müssen an einen außergewöhnlichen Tatort eilen: Der Arzt und Schönheitschirurg Kai Wülker wurde in seinem mondänen Domizil gefesselt und geknebelt in seinem eigenen Blut aufgefunden. Wie eine erste Begutachtung der Leiche ergibt, setzte man ihn vor seiner Ermordung noch einer "Folter vom Allerfeinsten" aus, bei der ihm der Täter unter anderem Fingernägel zog und Brandwunden zufügte. Auf den ersten Blick handelt es sich bei der blutrünstigen Gräueltat um einen hochemotionalen Racheakt. Da in der Wohnung des Opfers jedoch ein ganzes Arsenal an Sado-Maso-Spielzeug gefunden wird, steht für einen Moment auch die These im Raum, dass es sich bei der Tat um eine aus dem Ruder gelaufene Sado-Maso-Session handeln könnte.

Während König und Böwe noch das Umfeld des Schönheitschirurgen und einen lokalen Sado-Maso-Club durchleuchten, bekommt der Fall eine völlig neue Wendung: Am Tatort gefundene Haare konnten per DNA-Analyse einem vor 15 Jahren verschwundenen und mittlerweile offiziell für tot erklärten Teenager namens Jessica Sonntag zugeordnet werden. Da es sich nachweislich im frische DNA handelt, wird der im Archiv eingelagerte Cold Case auf einen Schlag wieder zum heißen Fall. Allem Anschein nach lebt die Verschwundene noch - und könnte für einen mysteriösen Rachefeldzug aus der Vergangenheit zurückgekehrt sein.

Die Ermittlungen fokussieren sich nun auf die Familie von Jessica Sonntag, die sich seit ihrem Verschwinden allerdings gründlich in ihre versprengten Einzelteile zerlegt hat. Die Mutter Evelyn Sonntag (Judith Engel, 54), eine biedere und unscheinbare Frau, die ihr einsames Leben mit ehrenamtlicher Arbeit bei der Telefonseelsorge aufzufüllen versucht, hat die Hoffnung auf eine Rückkehr ihrer Tochter nie aufgegeben und diese Hoffnung zum zentralen Inhalt ihres Daseins erkoren.

Für ihren Sohn Henrik (Adrian Grünewald, 24) war in diesem Überlebensmodus offensichtlich nur noch so wenig Platz und mütterliche Emotion verfügbar, dass sie ihn nach dem Verschwinden der Tochter eiskalt zu seiner Tante nach München abschob. Vater Robert Sonntag (Holger Daemgen, 54), der eine Autowerkstatt für Oldtimer betreibt, möchte die ganze Geschichte hingegen am liebsten endgültig hinter sich lassen und begegnet den wiederaufgenommenen Ermittlungen mit einiger Nervosität und demonstrativer Skepsis.

Dass Mutter Sonntag den Ermittlerinnen vermeintliche Anrufe ihrer totgeglaubten Tochter bei der Telefonseelsorgestelle zunächst nicht erwähnt, lässt die Frau in einem neuen Licht erscheinen und legt den Verdacht nahe, dass sie etwas zu verbergen hat. Auch Michelle Carstensen (Senita Huskić, 27), die einstige Jugendfreundin Jessicas, gibt sich zunächst wenig auskunftsfreudig. Die vergangenen 15 Jahre hat sie weiterhin in dem ranzig-alternativen Drogenmilieu verbracht, in das sich seinerzeit auch die Verschwundene vor ihrer Familie flüchtete.

Erst nach mehreren Besuchen in Michelles schräger Kiffer-WG gelingt es den Kommissarinnen, ihr einen entscheidenden Hinweis zu entlocken, der die Ermittlungen nochmals auf den Kopf stellt und sie zu einer nervenzerreißenden Verbrecherjagd macht, bei der es um Leben und Tod geht.

Zu allem Überfluss muss Kommissarin König dabei gleichzeitig an zwei emotionsgeladenen Fronten kämpfen: Nach vielen Jahrzehnten taucht plötzlich ihr eigener Vater wieder auf, der sie bei der gemeinsamen Republikflucht ihrer Eltern aus der damaligen DDR als Kind einfach allein zurückließ.

Lohnt sich das Einschalten?

Ja. Allerdings ergeben sich die interessanten Aspekte dieser Polizeiruf-Folge nicht vorrangig aus der zunächst maximal spektakulär eröffneten Mordfallgeschichte, die sich dann jedoch im weiteren Verlauf allzu sehr in statischen Ermittlungsdialogen der Kommissarinnen mit den unterschiedlichen Mitgliedern der zerbrochenen Familie Sonntag und sonstigen Verdächtigen erschöpft.

Wesentlich spannender ist es, dem seit dem Weggang von Kriminalhauptkommissar Alexander Bukow (Charly Hübner, 51) und dem Zugang von Kommissarin Melly Böwe neu aufgestellten Team dabei zuzuschauen, wie es sich mit einigem Knirschen langsam miteinander arrangiert.

Auch im dritten gemeinsamen Fall an der Seite ihrer Kollegin Katrin König hat Böwe mit ihrer scheinbar naiven und übermäßig empathischen Art keinen leichten Stand in der vorgefundenen Konstellation. Dass sie am blutgetränkten Mordschauplatz Sätze wie "Ja, es tötet sich manchmal nicht so leicht" raushaut und auf dem Flügel neben der Leiche verträumt die Melodie des Deep-Purple-Songs "Smoke on the Water" vor sich hin klimpert, sorgt bei ihren Kollegen und Kolleginnen regelmäßig für rollende Augen. Dennoch wird spürbar, dass zumindest Katrin König und Kriminaloberkommissar Anton Pöschel (Andreas Guenther, 50) langsam mit der Neuen warm werden und ihre speziellen Qualitäten zu schätzen lernen.

Nur Kollege Volker Thiesler (Josef Heynert, 47), zutiefst gekränkt, nicht selber auf Böwes Posten befördert worden zu sein, lässt weiterhin keine Gelegenheit aus, dieser mit ätzenden Bemerkungen zu signalisieren, dass er sie immer noch nicht als neue Vorgesetzte respektiert. Sein dreistes Spiel treibt er so lange weiter, bis sich Melly Böwe schließlich dazu veranlasst sieht, ihm eine klare Ansage zu machen: "Ich bin jetzt Ihre Vorgesetzte - ob's Ihnen passt oder nicht. Und wenn sich der Umgangston nicht ändert, kann das hier ganz unangenehm werden. Aber nicht für mich." Es ist abzusehen, dass Thiesler in den weiteren Folgen des Rostocker Polizeirufs um diese deutlichen Worte nicht herumkommen wird.