In der Berufswelt geht es nicht um Gerechtigkeit, sagt Karrierecoach Martin Wehrle Foto: Leif Piechowski

Frauen stellen in der Berufswelt ihr Licht unter den Scheffel und setzen darauf, dass gute Leistung belohnt wird. Das klappt nicht, sagt Karriereberater Martin Wehrle und zeigt auf, wie es geht.

Frauen stellen in der Berufswelt ihr Licht unter den Scheffel und setzen darauf, dass gute Leistung belohnt wird. Das klappt nicht, sagt Karriereberater Martin Wehrle und zeigt am Stadtschreibtisch der Stuttgarter Nachrichten auf, wie es geht.
 
Stuttgart - Herr Wehrle, Sie haben tiefe Einblicke in den Arbeitsalltag von Frauen. Wären Sie gerne eine Frau?
Wenn ich mir vorstelle, ich würde 22 Prozent weniger Gehalt verdienen, ich würde sehr wahrscheinlich nur noch Teilzeit arbeiten, ich würde neben dem Beruf noch 19 Stunden pro Woche im Haushalt arbeiten wie die durchschnittliche Frau, und die Wahrscheinlichkeit, dass ich eine Führungsposition innehätte, würde sich auf einen Bruchteil reduzieren – unter diesen Voraussetzungen möchte ich keine Frau sein.
Hat es Frauen vorangebracht, dass wir eine Bundeskanzlerin haben?
Ich bin zwiegespalten. Auf der einen Seite finde ich es sehr gut, dass wir eine Frau an der Spitze haben, auf der anderen Seite stelle ich mir die Frage, macht diese Frau wirklich eine frauenfreundliche Politik? Und da habe ich große Zweifel.
Warum?
Jetzt wird eine Frauenquote gefordert, aber die Bundesregierung hat 715 Abteilungsleitungen, aber nur 150 davon sind mit Frauen besetzt. Hier gehen Wort und Tat auseinander. Wenn ich höre, dass Frau Merkel Mutti genannt wird von ihren eigenen Parteikollegen, dann frage ich mich schon, welches Frauenbild dahinter steckt.
Über 80 Prozent aller Teilzeitkräfte sind Frauen. Manövrieren sich Frauen in Teilzeitjobs selbst ins Abseits?
So wie die Lage jetzt ist, ja. Die Karrierewelt hat rein männliche Spielregeln. Wenn eine Frau – oder ein Mann – sagt, sie oder er möchte Teilzeit arbeiten, wird das so verstanden: Die Karriere ist nicht mehr so wichtig, jetzt wird auf Familie umgesattelt. Ich finde es ganz fatal, dass hier immer noch Entweder-oder gilt. Denn: Gibt es auf der Welt eine bessere Managementschulung, als ein Kind zu erziehen? Ich führe durch mein eigenes Vorbild, ich ermittle einen Fortbildungsbedarf, ich reagiere flexibel auf Krisen, ich muss ein begrenztes Budget verwalten. Wir verschwenden Riesenpotenziale, indem Frauen kaum die Chance haben, nach oben zu kommen.
Haben Frauen in mittelständischen Unternehmen oder in Kleinbetrieben bessere Chancen?
Fangen wir mit dem Mittelstand an: Hier ist die Zahl der Führungsfrauen in zwölf Jahren von acht auf neun Prozent gestiegen. Wenn das in diesem Tempo weitergeht, dauert es 492 Jahre, bis die Frauen endgültig gleichgestellt sind. Der Mittelstand reitet hier nicht gerade voran. In den großen Konzernen wird Frauenförderung gepredigt, aber es passiert erschreckend wenig und nur auf Druck. Die Frauen, die nach oben kommen, sind auch schnell wieder weg, weil sie mit den auf Männer zugeschnittenen Machtverhältnissen nicht klarkommen.
Karriereplanung, das klingt so abgehoben. Viele Frauen werden sich sagen, ich will ja gar nicht Chef werden, aber ich fühle mich ungerecht behandelt, ich habe das Gefühl, immer den Kürzeren zu ziehen.
Meine Empfehlungen richten sich auch an Verkäuferinnen, an Hotelmitarbeiterinnen, an alle, die ein erfülltes Berufsleben haben wollen. Ich würde keine Frau animieren, unbedingt Karriere zu machen, aber ich finde es wichtig, dass sie ihre Potenziale nutzt und den Schritt nach oben geht, den sie möchte.
Was sind die klassischen Fehler, die Frauen begehen?
Das fängt beim Bewerben an. Nach einer Untersuchung bewirbt sich ein Mann, wenn er 60 Prozent eines Stellenprofils erfüllt. Eine Frau tut es erst, wenn sie alles erfüllt. Das erlebe ich oft auch in der Beratung. Diese übertriebene Bescheidenheit hat mit Erziehung zu tun. Ein weiterer Punkt: Frauen denken oft, ihre gute Leistung führt dazu, dass sie gefördert werden. Das ist nicht so. Es kommt darauf an: wie verkaufe ich meine Leistung, wie positioniere ich mich und wie knüpfe ich Netzwerke. Und da sind Frauen den Männern leider noch hinterher.
Welche Spielregeln sind es denn, die Frauen von Männern lernen können?
Spielregel Nummer eins: Fordere immer mehr, als du tatsächlich haben möchtest, denn du kriegst ohnehin weniger. Nummer zwei: Ich muss mich vernetzen mit den Entscheidern – nicht mit denen auf derselben Hierarchieebene, sondern mit denen, die wirklich entscheiden.
Sie sprechen von Netzwerken. Woran denken Sie da?
Netzwerken bedeutet, dass man sich mit anderen zusammenschließt nach dem Motto: Ich helfe dir, und du hilfst mir. Das kann in der eigenen Firma sein, das kann über die Firma hinaus sein. Zu mir kommen manchmal Männer, die eine Gehaltsverhandlung führen wollen. Auf die Frage, wie sie ihren Marktwert einschätzen, zählen die mal schnell so auf: Der Kollege verdient das, der andere das und so weiter. Die sind superorientiert. Wenn eine Frau kommt, und ich frage sie, wie sie ihren Marktwert einschätzt, sagt sie, ich weiß es nicht.
Sie sagen auch, ohne Vitamin B kann man in Führungsetagen nichts werden. Frauen erst recht nicht. Was raten Sie Frauen? Nach einem Meeting abends mit den Kollegen an der Bar zu versumpfen?
Versumpfen nicht, aber in die Bar mitzugehen, dazu würde ich durchaus raten. Nach einem Fortbildung oder einem Meeting werden abends an der Bar die Visitenkarten ausgetauscht, da werden die Kontakte geschmiedet. Das steigert die Chancen, eines Tages ein gutes Angebot zu bekommen.
Was mache ich, wenn der Chef zu meiner Gehaltsforderung Nein sagt?
Frauen müssen erkennen, dass das ein rhetorisches Geräusch ist. Chefs lernen es, Nein zu sagen. Dieses Nein heißt übersetzt: Liefere mir bitte gute Argumente, sonst mache ich es nicht. Wenn die Frau dann gute Argumente liefert und einen gewissen Druck aufbaut, wie es Männer gerne tun, dann entsteht auf einmal so ein Szenario, und der Chef denkt:Woher weiß sie, was ihr Marktwert ist, hat sie ein Angebot? Dann fühlt er sich im Druck, etwas zu tun. So einen Druck muss man aufbauen. Machen wir uns nichts vor. Es geht in der Berufswelt nicht um Gerechtigkeit, es geht um geschäftliche Interessen.
Solange der Laden gut läuft, leuchten mir Ihre Ratschläge ja ein. Aber was ist, wenn der Chef sagt, die wirtschaftliche Situation lässt mehr Geld für Sie nicht zu. Ich möchte ja gerne, kann aber nicht?
Grundsätzlich würde ich sagen: Wenn eine Firma nicht insolvent ist, hat sie noch Geld, und sie muss überlegen, wo sie ihr Geld investiert. Angenommen, die Mittel sind wirklich so knapp, dass eine Gehaltserhöhung schwer möglich ist: Dann sollte in einer schriftlichen Gesprächsnotiz festgehalten werden, was der Arbeitnehmer in den nächsten zwölf Monaten tun muss, um eine Gehaltserhöhung zu bekommen. Wenn auch dann nichts für ihn drin ist, dann sollte man so konsequent sein und erkennen, dass diese Firma eine Sackgasse ist, und einen anderen Weg einschlagen.
Gibt es einen günstigen Zeitpunkt, um über Gehaltsforderungen zu sprechen?
Ja, man sollte gegen den Strom schwimmen. Nicht zum Jahresende kommen, wenn es alle tun, sondern sich schon im Frühjahr eine Gehaltserhöhung reservieren lassen.
Sollte ich sagen, Chef, ich möchte über mehr Gehalt reden? Oder ihn besser überrumpeln?
Weder noch, Sie sollten über Ihre Perspektiven in der Firma sprechen. Da gehört Leistung dazu, da gehört Gehalt dazu, da gehört manchmal die Beförderung dazu.
Sie sagen, man ist bei Gehaltsverhandlungen immer nur so stark, wie es Alternativen am Markt gibt. Heißt das: Die Verkäuferin, weil es derer viele gibt, hat Pech gehabt?
Nein, überhaupt nicht. Die entscheidende Frage ist, wie gut jemand in seinem Beruf ist. Wenn ich Verkäuferin bin, und ich habe ein gutes Verhältnis zu Kunden aufgebaut, ich sorge für gute Stimmung und für guten Umsatz, dann habe ich super Argumente in der Hand. Was nicht funktioniert: eine unterdurchschnittliche Leistung bringen und ein überdurchschnittliches Gehalt fordern.