Dass Gefühle im Unternehmen keine Rolle spielen, ist ein Märchen, sagt Personalberaterin Maike Dietz Foto: Scardovelli

Maike Dietz ist Personalberaterin und Karrierecoach. Die ehemalige Daimler-Managerin rät Chefs: Nur wer ehrlich zu sich selbst ist und sich genau reflektiert, kann sich auch in andere hineinversetzen.

Stuttgart -

Frau Dietz, Karriere wird weiblicher. Überall in der Wirtschaft sind Frauen auf dem Vormarsch. Freut Sie das?
Das Thema ist völlig überstrapaziert. Wer für Gleichberechtigung ist, muss für die Quote sein und auf Teufel komm raus Frauen einstellen. Frauen sind aber nicht per se besser geeignet oder gar bessere Menschen. Wenn Firmen sich damit rühmen, dass sie modern sind, weil sie eine Frau eingestellt haben, geht es oft nur ums Image. In meinen Gesprächen geht es um wichtigere Dinge.
Welche sind das denn?
Meistens haben meine Gesprächspartner, Frauen wie Männer, konkrete berufliche Anliegen für ein Coaching. Sie wollen persönlich gewappnet sein, um etwa den Vertrieb umzubauen, eine neue Marketing-Strategie durchzuboxen, oder sie müssen Konflikte lösen. Wenn sie bei mir sind, kommt dann oft etwas Privates auf den Tisch. Dafür muss ich offen sein. Denn das hat für denjenigen oder diejenige Vorrang. Ich sehe es den Menschen auch an. Ich sage ihnen dann auf den Kopf zu: Sie beschäftigt gerade das und das.
Was beschäftigt die Topmanager von morgen?
Wie sie den nächsten Schritt machen können. Und dafür spielt die Persönlichkeit die Hauptrolle. Manche fokussieren sich stark auf die fachliche Ebene, werden da immer perfektionistischer, aber mit ihrer eigenen Persönlichkeitsentwicklung haben sie sich überhaupt noch nicht befasst. Dabei ist sie das Rüstzeug für die Karriere. Jeder hat seinen individuellen Charaktercode, der sehr vielschichtig und komplex ist. Den muss man für sich selbst erst mal durchdringen.
Reden wir über wirklich ambitionierte Kandidaten. Welche Defizite gibt es da?
Als Coach geht es mir nicht um Defizite, sondern um das Erweitern der Wahlmöglichkeiten im Verhalten meiner Klienten. Ein ganz wichtiger Punkt ist die Selbstführung. Dabei geht es darum, sein eigenes Denken, Fühlen und Handeln zielorientiert zu steuern. Viele Führungskräfte reden hier von Selbstmanagement und meinen damit Zeitmanagement, um einen bestimmten Output zu erzielen. Das greift zu kurz. Voraussetzung für Selbstführung ist zuallererst, sich selbst und seine eigenen Ressourcen zu kennen und aufmerksam gegenüber sich selbst und anderen zu sein.
Wie lernt man sich denn besser kennen?
Man sollte schon ins Detail gehen, sich beobachten. Und zwar immer wieder. Man muss seine Aktionen und Reaktionen genau betrachten, registrieren und, wenn nötig, auch aufschreiben, sich Zusammenhänge bewusst machen. Man muss analysieren: Was führt zu was, und was will ich ändern? Hier lohnt es sich auch, tatsächlich mal die Vergangenheit zu beleuchten. Welche Lösungsstrategien waren erfolgreich? Diese Selbstanalyse ist immer auch im Kontext zu anderen zu sehen. Gerade bei Führungskräften ist es wichtig, sich selbst, die eigene Wirkung auf Mitarbeiter, Vorgesetzte, Kollegen und Geschäftspartner sowie deren Sichtweisen und Empfindungen einschätzen zu können.
Hat so etwas denn noch Platz in der harten Businesswelt?
Oh ja. Dass Gefühle in Unternehmen keine Rolle spielen, ist ein Märchen. Ich sehe das ja: Richtige Konflikte entstehen nie auf der Sachebene. Und daher ist es ein entscheidendes Handicap, wenn Führungskräfte beispielsweise keinen Zugang zu ihrer eigenen Gefühlswelt haben. Solchen Leuten fällt es auch schwer, sich in andere Gefühlswelten, etwa die ihrer Mitarbeiter oder gleichberechtigter Partner, hineinzuversetzen. Dadurch passiert es häufiger, dass sie Leute plump vor den Kopf stoßen, ohne es zu bemerken. Gefühle ernst zu nehmen, das wird einem in den Chefetagen doch systematisch aberzogen, auch und gerade den Frauen.
Das ist aber falsch und wandelt sich auch langsam. Derzeit ist es aber noch so, dass viele durchaus erfolgreiche Manager, auch Frauen, ihren momentanen Gefühlszustand nicht einmal mehr exakt beschreiben können. Da kommen nur Floskeln. Auf die Frage: „Wie geht es Ihnen?“, antworten sie: „gut“ und können es nicht konkretisieren. Denn was heißt „gut“? Heißt es, dass es bei demjenigen wirklich überragend läuft, oder heißt es: Er kommt irgendwie klar. Ich bohre bei solchen diffusen Aussagen immer nach. Nur, bei vielen kommt dann nichts mehr. Das ist schon bezeichnend.
Wie helfen Sie diesen Leuten? Müssen die sich öffnen?
Sie sollten sich öffnen, und zwar für sich selbst. Es geht ja darum, dass sie zunächst überhaupt einen Zugang zu sich selbst bekommen. Sie müssen sich klarwerden, wie und warum sie auf bestimmte Dinge reagieren. Und wie es auch anders sein kann, sprich, welche anderen Einstellungen es zu den jeweiligen Themen gibt. Dann wiederum können sie die Reaktionen ihrer Mitarbeiter besser antizipieren.
Was raten Sie denen – den stillen Rückzug?
Sich einfach nur Gedanken zu machen, damit ist es nicht getan. Man muss die Veränderung aktiv vorantreiben. Unser ganzes Verhalten ist ja im Gehirn gespeichert. Und wenn jemand seine Empfindungen seit Jahrzehnten in derselben Weise unterdrückt hat, ist das dazugehörende Verhalten schon wie eine Autobahn im Gehirn. Wenn ich da etwas anders machen will, muss ich auch im Gehirn neue Wege bahnen. Ein allererster Schritt kann es sein, sich mit seinem Partner, einem guten Freund oder mit engen Familienmitgliedern, die ehrlich zu einem sind, auszutauschen.
Aber genau das ist doch das Problem: Topmanagern fehlt es häufig an Sparringspartnern auf Augenhöhe.
Tatsächlich ist es meist so, dass, wenn einer eine Super-Karriere hinlegt und überall gelobt wird, es irgendwann keinen mehr gibt, der Einwände vorbringt. Der Gelobte fängt dann selber an zu glauben, dass er unfehlbar ist. Um dieser „Narzissmusfalle“ zu entgehen, suchen inzwischen viele reflektierte Manager einen kontinuierlichen Kontakt zu einer neutralen Person: einem Coach. Denn der ist nicht im System, weder im privaten noch im beruflichen. Sich coachen zu lassen unterstützt die Selbstführung und ist die beste Voraussetzung, um neue Impulse fürs eigene Mindset zuzulassen.