Mit Grundsatzurteil stärkt der Bundesgerichtshof das Selbstbestimmungsrecht von Patienten.

Karlsruhe - Ein Pflegeheim darf sich nicht über den Willen einer Bewohnerin hinwegsetzen und ihr Leben künstlich verlängern. Nicht nur die Bundesjustizministerin findet das Urteil gut.

Ärzte dürfen nach dem jüngsten Urteil des Bundesgerichtshofs auch dann lebensverlängernde Maßnahmen abbrechen, wenn der unmittelbare Sterbevorgang noch nicht begonnen hat. Dabei ist es unerheblich, ob der Abbruch durch aktive Handlungen erfolgt - also beispielsweise das Entfernen eines Ernährungsschlauchs. Auch bei bewusstlosen Patienten sei allein deren mutmaßlicher Wille entscheidend (Aktenzeichen 2 StR 454/09).

Der Bundesgerichtshof sprach damit am Freitag einen Rechtsanwalt vom Vorwurf des versuchten Totschlags frei. Er hatte seiner Mandantin geraten, den Ernährungsschlauch durchzuschneiden, über den ihre seit Jahren im Wachkoma liegende Mutter versorgt wurde. Die Patientin hatte ihrer Tochter gesagt, dass sie in einem solchen Fall nicht künstlich ernährt werden wolle. Das Pflegeheim weigerte sich jedoch, die Ernährung zu beenden.

Die Richter stützten den Anwalt. Das Heim habe "kein Recht, sich über das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hinwegzusetzen". Bei der Frage, ob lebensverlängernde Maßnahmen abgebrochen werden dürfen, sei es unerheblich, "ob die Grunderkrankung einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen hat". Entscheidend sei allein der Wille des Patienten - ob in Form einer Patientenverfügungen oder durch mündliche Wünsche. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erklärte, das Urteil schaffe Rechtssicherheit. Die Medizinrechtlerin Petra Vetter sprach von einem Meilenstein. Ärzte müssten nun nicht länger fürchten, sich wegen zulässiger Sterbehilfe strafbar zu machen.

Der Gründer und Vorsitzende des umstrittenen Schweizer Sterbehilfevereins Dignitas, Ludwig Minelli, lobte: "Dieses Urteil hat sich seit langem aufgedrängt. Es stellt endlich einen lange vermissten wesentlichen Schritt in Richtung Vernunft und Menschlichkeit dar", sagte Minelli unserer Zeitung in Zürich.