Die Grünen wollen stärkste Fraktion im Gemeinderat bleiben. „Gemeinsam mit OB Fritz Kuhn können wir Stuttgart noch grüner machen“, verspricht Kerstin Steglich. Dafür bekommt sie Zuspruch. Aber es gibt auch die Befürchtung, dass soziale Aspekte auf der Strecke bleiben.

Stuttgart - Martinas Lädle an der Johannesstraße 24 ist die Drehscheibe für Kommunikation im Stuttgarter Westen. Vor zehn Jahren hat Martina Bolwin den Kiosk übernommen. Seither wird dort am Morgen über die neuesten Schlagzeilen in den Tageszeitungen diskutiert und werden beim Kaffee aus dem Automaten Meinungen ausgetauscht. Viele Kunden sind mit der Inhaberin und untereinander per Du. Der Rentner trifft dort den Juwelier und lässt sich im Kiosk beraten, mit welchem Schmuckstück er seine Frau zum Geburtstag überraschen könnte. Und wenn es so warm ist wie zurzeit, werden die Gespräche im Freien, direkt vor dem Kiosk, fortgesetzt.

Weil in und vor dem Kiosk die Diskussionskultur seit jeher blüht, fällt es zunächst auch gar nicht auf, dass Kerstin Steglich keine Kundin, sondern Gemeinderatskandidatin im Wahlkampf ist. Doch dann bemerkt ein Kunde doch, dass das Foto auf dem Flyer der Grünen auf der Kiosktheke große Ähnlichkeit mit ihr hat. „Als Kandidatin kennen Sie ja auch bestimmt die Probleme im Stuttgarter Westen. Der Feuersee zum Beispiel: Der verdreckt seit Jahren, und nichts passiert“, meint ein 79-jähriger Rentner.

Als stellvertretende Bezirksbeirätin im Westen ist Steglich bestens vertraut mit den Problemen in der Stadt: „Der Feuersee bekommt einen neuen Frischwasserzulauf. Außerdem werden die Sitzgelegenheiten dort erneuert, und es wird eine Rampe geben, damit Mütter mit Kinderwagen und Rollstuhlfahrer ans Wasser können“, sagt sie und versichert, dass in spätestens fünf Jahren der Feuersee attraktiver Erholungspunkt im Westen sein wird. „Na, hoffentlich erlebe ich das noch“, meint der 79-Jährige.

Steglich ist seit 13 Jahren in Stuttgart zu Hause. Zuvor hat die 35-Jährige in Berlin gelebt. Das hätte sie nicht sagen sollen: Jetzt weicht ihr Frührentner Martin Wessel gar nicht mehr von der Seite. Der 52-Jährige galoppiert durch die Lokal- und Bundespolitik direkt nach Berlin, wo er Verwandtschaft hat. Lokalpolitisch erweist sich Steglich als sattelfest, in bundespolitischen Fragen hält sie mit. Beim Drogenproblem in der Bundeshauptstadt steigt sie aus. „Ich kandidiere für die Gemeinderatswahl in Stuttgart“, stellt sie höflich, aber bestimmt klar. Ob sie auf Platz 17 eine Chance hat? Statt Prognosen zu stellen, will sie lieber die Wahlergebnisse abwarten.

Ein Thema, das viele Bürger in Kiosk beschäftigt, ist die Verkehrssituation im Westen. Mit dem Parkraummanagement der Grünen habe sich die Situation verschlechtert. Es sei kaum ein Parkplatz zu bekommen – vor allem da viele Parkplätze wegen Baustellen wegfielen, kritisiert Holger Gützkow. Der 31-jährige Lehrer sieht die Grünen dafür in der Verantwortung. Besonders ärgert ihn, dass die Politessen noch um 21.30 Uhr Bußgeldbescheide für Falschparker auf Kurzzeitparkplätzen verteilen, obwohl ab 22 Uhr dort bis 8 Uhr ohne Parkschein geparkt werden kann. Steglich verspricht, sich um das Problem zu kümmern. „Zumindest im Bereich der Baustellen müsste man Abhilfe schaffen“, sagt sie.

Juwelier Jens Niemerg will wissen, warum im Rossbollengässle eine Garage mit 72 Parkplätzen gebaut worden ist. Der Vorschlag der SPD, die breiten Straßen im Westen zu verengen und dort Parkplätze anzulegen, sei doch kostengünstiger. „Bei 36 000 Euro Baukosten pro Parkplatz in der Garage und einer Monatsmiete von 60 Euro braucht es 50 Jahre, bis das bezahlt ist“, sagt er. Steglich zückt den Notizblock: „Ich nehm’ es mit und frage nach“, verspricht sie .

Hausmeister Jakob Eckert (43) gibt seiner Politikverdrossenheit Ausdruck. Er gehe zwar zur Wahl, werde aber keine der etablierten Parteien wählen, sagt er. Den Politikern insgesamt wirft er vor, vor der Wahl mit Versprechungen auf Wählerfang zu gehen und sich danach an nichts mehr zu erinnern. Ein Gespräch mit der Grünen-Kandidatin lehnt er rundweg ab. Auch damit müsse man leben, meint die 35-Jährige.

Grüne Ideen, die dazu geführt hätten, dass es auch in den Supermärkten Bioprodukte gibt, findet Lehramtsstudentin Julia Brandau (25) gut. „Ohne die Grünen wären Aspekte wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit nicht in der Politik angekommen. Aber was machen die Grünen eigentlich im sozialen Bereich?“, will sie wissen. Ohne gerechten Lohn könnten sich viele keine Bioprodukte leisten. Außerdem würde gerechter Lohn die Sozialkassen füllen. Deshalb setze sich grüne Politik für gerechte Löhne ein, sagt Steglich und stellt fest: „Aber da sind wir mitten in der Bundespolitik.“ Bei ihrem ersten Wahlkampf sieht sie ihre Chance vor allem in der Kenntnis der Lokalpolitik.