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Was fliegt denn da? Und schreit dazu noch martialisch? Keine Sorge, nur ein Hapkido-Kampfsportler beim Training.

Die Sonne ist wie immer früh aufgestanden. Früher als die meisten Einwohner von Las Palmas, der Hauptstadt Gran Canarias. Und viel früher als die zahlreichen Touristen in ihren Hotels. Jetzt, um kurz nach zehn, steht sie bereits hoch oben am Himmel. Ihre Strahlen breiten sich über dem Atlantik aus, verwandeln sich in der Brandung in unzählige kleine Lichtblitze und versiegen schließlich als Teil der weißen Gischt am Strand. Ein paar vereinzelte Jogger hinterlassen ihre Fußspuren im feuchten Sand, hier und da verleihen die gelben, grünen und blauen Handtücher erster Sonnenanbeter der Kulisse einige Farbtupfer.

Ein lauter Ruf unterbricht die friedliche Ruhe, kurz darauf strecken sich 40 Hände langsam dem blauen Himmel entgegen. Ein weiterer Befehl ertönt, die Hände führen nun zum sandigen Boden. Großmeister Bang steht etwas abseits und schaut auf seine Trainingsgruppe, die sich mit Blick aufs Wasser in einer Reihe aufgestellt hat und, die nackten Füße in den Sand gestemmt, Atemübungen absolviert – der Beginn eines jeden Hapkido-Trainings. Der zierliche Mann lächelt und nickt leicht mit dem Kopf, als die letzten Übungen absolviert sind. Er wird es langsam angehen lassen an diesem Morgen.

Szenenwechsel: In der kleinen Trainingshalle mit den ausgetretenen Stufen ist die Luft stickig. An den Wänden reihen sich Fotografien und Regale voller Pokale, die 25 Männer und Frauen, die sich auf den ausgeblichenen grünen Matten gegenüberstehen, schwitzen in ihren Toboks, den traditionellen Kampfanzügen. Unablässig üben sie Würfe, Hebel, Tritte und Schläge. Kampfschreie und Wortfetzen auf Spanisch, Koreanisch und Deutsch gellen durch den Raum.

Auch Bernhard ist dabei und verzieht schmerzerfüllt das Gesicht. Gerade eben hat Trainerassistent Marco ihm gezeigt, wie ein Armhebel wirklich funktioniert: den ausgestreckten Arm so drehen, dass die Handfläche nach oben zeigt, kurz über dem Ellenbogen ansetzen und mit einem Schub aus dem Bauch ruckartig nach unten drücken – "die Kraft kommt von innen", meint der kräftige Spanier lächelnd. Bernhard nickt gequält. Und ist dennoch motiviert. Der 23-Jährige trainiert seit einigen Jahren Taekwondo, seit kurzem nimmt er auch an Wettkämpfen teil.

"Realistische Techniken zur Selbstverteidigung lernen wir da aber kaum", meint er. Deshalb habe er sich entschlossen, an der fünftägigen Reise nach Gran Canaria teilzunehmen, die der in Wiesbaden ansässige Doam-Hapkido-Verband regelmäßig für Kampfsportler jeder Stilrichtung organisiert. "Morgens zwei Stunden Training am Strand, nachmittags ausruhen, abends noch mal drei Stunden Training in der Halle – da kann man schon einiges lernen", meint er und wischt sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Denn diesmal gönnt Meister Bang seinen Schülern keine Pause, es ist erst halb acht, eine halbe Stunde haben sie noch vor sich. "Ein bisschen Strenge muss schon sein", sagt der Trainer. Und fügt lachend hinzu, dass das Training längst nicht so hart sei wie in Korea. "Sonst hätte ich nämlich schon bald keine Schüler mehr."

Seit 28 Jahren bereits leitet der 56-Jährige, der mit vollem Namen Bang Kyung Won heißt und ursprünglich aus Seoul stammt, seine Kampfkunstschule in der Stadt Telde, etwa 25 Kilometer von Las Palmas entfernt. Längst sind er und seine Familie auf Gran Canaria heimisch geworden, seine Heimat Korea hat er zum letzten Mal vor fünf Jahren besucht. Der spanische Hapkido-Verband habe ihm damals angeboten, die Schule auf Gran Canaria zu leiten, erzählt Bang, sie seien auf der Suche nach einem koreanischen Trainer gewesen. In den Jahren zuvor hatte er sowohl die koreanische Meisterschaft im Taekwondo gewonnen als auch die im Hapkido, war Marinetaucher im Militär gewesen und danach für drei Jahre persönlicher Leibwächter des Präsidenten des koreanischen Automobilkonzerns Daewoo.

Der Wurf zum Glück

"Hapkido ist ein realistisches Verteidigungssystem", erklärt der schmale Mann mit den schwarzen Haaren, der meist leise und bedacht spricht und dem man seine ungekünstelte Bescheidenheit durchaus abnimmt. "Das Training beinhaltet Tritt- und Schlagtechniken ebenso wie den Bodenkampf sowie verschiedene Waffentechniken." Und da die Kampfkunst sich in Korea erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt hat, so erzählt er weiter, sei sie kein reiner Wettkampfsport. Bei Polizei und Militär gehört sie in Korea zur Ausbildung dazu.

Das Training ist anstrengend. Deshalb gilt es, die freien Nachmittage und den Abend umso besser zu nutzen. Maria Carmen Alemán weiß hier Rat. Sie ist in Las Palmas aufgewachsen, seit zwölf Jahren arbeitet sie als Reiseleiterin auf der Insel. Die energiegeladene Frau liebt ihre Heimatstadt: "Las Palmas ist anders als der Süden der Insel mit seinen Touristenhochburgen Maspalomas und Playa del Inglés." Ein Bummel durch die Altstadt der Inselmetropole mit ihren 400000 Einwohnern, deren Anfänge bis ins Jahr 1478 zurückführen, scheint ihr recht zu geben. Die Fassaden der Häuser leuchten in Rot, Türkis und Gelb, kleine gepflegte Plätze laden zum Verweilen ein. Weit weg ist das Geknatter der unzähligen Motorroller, der Benzingeruch und die Hektik, die das Leben im Zentrum bis spät in die Nacht bestimmen.

Vom Dach der Kathedrale Santa Ana blickt man auf ein Gewirr aus Häuserdächern und Straßen, die sich an Hügeln und Hängen hinauf erstrecken. Auf der anderen Seite glitzert das Meer. Eine distinguierte Lautsprecherstimme erklärt den zur Mittagszeit eher spärlichen Besuchern, dass der Bau der Kirche zwar bereits um 1500 begann, jedoch erst vier Jahrhunderte später abgeschlossen wurde. Auch im Café Monopol einige Straßen weiter ist um 14 Uhr am Nachmittag noch nicht viel los. Zwei junge Mädchen schauen schweigend auf den vor ihnen liegenden Platz mit seinen glänzenden Marmorplatten und den weißen Skulpturen – sie scheinen Kraft für den Abend zu sammeln. Denn dann entwickelt sich das Monopol zum beliebten Treffpunkt für Nachtschwärmer.

Belebter geht es hingegen schon tagsüber am Stadtstrand Las Canteras zu. Der Küstenstreifen mit seinem hellen Sand wird von der Stadt nur durch eine Promenade abgegrenzt. Dass das Alter der meisten Touristen um einiges höher liegt als an den Partystränden im Süden, ist dabei nicht zu übersehen. "Wer es hauptsächlich aufs Feiern abgesehen hat, kommt nicht nach Las Palmas", gibt Maria Carmen Alemán zu. Obwohl es eigentlich genügend Klubs auch für junge Leute gebe. "Las Palmas bietet dafür aber mehr Kultur als manch einer glauben mag." Das Opernhaus Auditorio Alfredo Kraus etwa, Sitz des Philharmonik-Orchesters und des Balletts von Gran Canaria. Oder das alljährliche Jazzfestival, zu dem regelmäßig internationale Musikgrößen auf die Insel kommen.

Doch nicht jeder Urlauber hat genug Zeit, sich die Stadt genauer anzuschauen. Bernhard schaut auf die Uhr: Das Training ist fast zu Ende. Die heiße Dusche wartet, dann ein Abendessen an der Promenade, ein Glas Wein oder ein Bier. Und morgen Mittag geht es an den Strand – zum Ausruhen. Meister Bang lächelt. In Korea würde das Training noch mindestens eine Stunde weitergehen.

Info: Anreise: Mit Air Berlin (http://www.airberlin.de, ab Stuttgart) oder Iberia Airlines (http://www.iberia.de, ab München) nach Las Palmas.

Veranstalter: Der Doam-Hapkido-Verband veranstaltet regelmäßig Reisen nach Gran Canaria, die sich an Kampfsportler jeglicher Stilrichtung sowie auch an Anfänger richten. Informationen gibt es im Internet unter http://www.doam-hapkido.de.

Übernachtung: Das Hotel Reina Isabel in Las Palmas de Gran Canaria liegt direkt am Canteras-Strand, Tel. 00 34/9 28 26 01 00, http://www.bullhotels.com. Zentral gelegen ist außerdem das Hotel Astoria, Tel. 00 34 928 22 27 50.

Allgemeine Auskünfte: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Tel. 069/7250 33, http://www.spain.info/de.