Auf einem Hügel im Osten Kobanes haben IS-Terroristen ihre Fahne gehisst Foto: dpa

Die Kampfjets der Anti-Terror-Koalition bomben im Irak und in Syrien ins Leere – vor allem, weil Soldaten am Boden fehlen. Man baut weiterhin auf den Mut der Frauen und Männer, die Kobane verteidigen, von der Welt im Stich gelassen.

Die Kampfjets der Anti-Terror-Koalition bomben im Irak und in Syrien ins Leere – vor allem, weil Soldaten am Boden fehlen. Man baut weiterhin auf den Mut der Frauen und Männer, die Kobane verteidigen, von der Welt im Stich gelassen.

Kobane - Aysa Abdullah ist verzweifelt: „Hören Sie mir auf mit den Türken! Die tun nichts, absolut gar nichts, um uns zu helfen! Nein, die Türkei ist wie immer bemüht, den Islamischen Staat zu schützen!“

Tränen laufen der stellvertretenden Vorsitzenden der syrischen Kurdenpartei Demokratische Union (PYD) übers Gesicht, während sie in die Kamera ihres Computers schaut. Über das Internet klagt sie den Stuttgarter Nachrichten ihr Leid – mitten aus dem Stadtzentrum von Kobane. Etwa 100 000 Menschen leben noch in der seit drei Wochen vor allem von kaukasischen Kämpfern der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eingeschlossenen Stadt. In sozialen Netzwerken rühmt sich Abu Omar al-Shishani, ein früherer georgischer Elitesoldat, die IS-Krieger anzuführen. Der frühere Hauptfeldwebel mit dem bürgerlichen Namen Tarkhan Batirashvili befehligte bis zum Frühjahr auch Dschihadisten aus Deutschland.

Al-Shishanis Terroristen greifen von Osten und Südwesten her die Stadt auch mit Panzern an. „Unsere kurdischen Kämpferinnen und Kämpfer liefern sich dort erbitterte Häuserkämpfe. Einen Panzer konnten sie zerstören“, erzählt Abdullah. Immer wieder sind im Hintergrund die Einschläge von Artillerie- und Mörsergranaten zu hören. „Seit Dienstagmorgen beschießen die Dschihadisten das Stadtzentrum und den südlichen Stadtrand.“

Der dürfte der Schlüssel zu Kobane sein: Im Südosten erhebt sich der 320 hohe Mistenur-Hügel, auf den die IS-Terroristen ihre schwarze Flagge gepflanzt haben. Von diesem erhöhten Beobachtungspunkt aus überblicken sie die Stadt und das syrisch-türkische Grenzgebiet bis weit ins türkische Hinterland hinein. Vorgeschobene Beobachter können von hier aus das Feuer der Geschützen lenken. Von hier aus abgeschossene Lenkraketen zerstören Fahrzeuge nahezu in der ganzen Stadt wie auch an der etwa zwei Kilometer entfernten Zollstation und dem Grenzzaun.

Wohl auch deshalb bombardierten am Dienstagnachmittag Kampfflugzeuge der US-geführten Anti-Terror-Front Stellungen des Islamischen Staates im Südosten Kobanes. Mit bescheidenem Erfolg: „Die Luftangriffe der Koalition haben keinerlei Auswirkungen auf die Truppenstärke und Moral des IS“, hat Aysa Abdullah beobachtet. Ein Problem, das den Strategen des Bündnisses bewusst ist.

Die Dschihadisten zögen allenfalls einmal 50 bis 70 Kämpfer an einem Ort zusammen, analysiert Sebastian Gorka, Dozent der Nationalen Verteidigungsakademie in Washington D. C.: „Im Grunde genommen müssen die Piloten jedes einzelne Fahrzeug zerstören, ihre Raketen auf einzelne Kämpfer abfeuern.“ Zudem, ergänzt Michael O’Brian, müssten die Piloten die Ziele am Boden selbst aufklären, identifizieren und bekämpfen. „Bei Luftnahunterstützung, wie sie jetzt in Kobane geflogen werden müsste, weisen speziell dafür ausgebildete Soldaten am Boden über Funk die Piloten zu den Zielen“, erklärt der frühere Pilot eines F-15-Kampfjets.

Genau dazu aber sind die Volksverteidigungseinheiten der Kurden in der Krisenstadt weder ausgerüstet geschweige denn ausgebildet. Das wäre eine Aufgabe beispielsweise für Soldaten in Spezialeinheiten. Diese aber hat das Anti-IS-Bündnis – zumindest offiziell weder in Syrien noch im Irak eingesetzt. „Dass die Luftschläge gegen den IS bislang weit hinter den Erwartungen zurückblieben, ist ein Indiz dafür, dass solche Spezialisten bisher nicht eingesetzt werden“, urteilt O’Brian.

Das Drama von Kobane „führt uns erschreckend brutal vor Augen, was in diesem Anti-Terror-Kampf am meisten fehlt: Stiefel am Boden. Dieser Kampf sollte von gut ausgebildeten Soldaten und nicht von kurdischen Vätern, Söhnen und Töchtern geführt werden“, sagt Wissenschaftler Gorka. Dem pflichtet der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei. Der Terror werde durch die Luftschläge nicht aufhören, sagte er im südtürkischen Gaziantep, der Stadt, in der auf dem Bahnsteig 17 des Busbahnhofes auch jene jungen Männer aus Deutschland von Schleusern aufgesammelt werden, die sich den IS-Terroristen anschließen wollen.

Aysa Abdullah baut weiterhin auf den Mut der Frauen und Männer, die Kobane verteidigen, von der Welt im Stich gelassen. Türkische Artillerieeinheiten beschossen nur einmal eine Mörserstellung des IS – als von dort eine Granate in die Türkei gefeuert wurde. Die Kurden reagieren verzweifelt. PYD-Frau Abdullah schildert, am Montag habe sich eine kurdische Selbstmordattentäterin mitsamt IS-Terroristen und deren Geländewagen in die Luft gesprengt: „Was bleibt uns denn sonst noch übrig?“