Dieter Kurz und sein Württembergischer Kammerchor Foto: Sabine Haymann

Wenn die Stuttgarter Musikszene ein Herz hat, dann ist es Dieter Kurz. Dass der 70-Jährige auch einen klugen Kopf hat, macht seinen Württembergischen Kammerchor für Sänger attraktiv. Gefeiert wird an diesem Sonntag mit Joseph Haydns Oratorium „Die Jahreszeiten“.

Stuttgart - „Ich war sehr böse“, sagt der Mann mit den vielen lieben Lachfalten. Dieter Kurz sitzt im Café, isst eine Laugenbrezel mit Butter und blickt zurück auf die Zeit, als er unter seinem Dirigier-Professor Wolfgang Gönnenwein in den 70er Jahren in Ludwigsburg den Monostatos in Mozarts „Zauberflöte“ gesungen hat. „Ich war ein hässlicher Tenor“, sagt der ältere Kurz über den jüngeren, „– ein hässlicher Tenor mit szenischen Qualitäten.“

Das mit dem hässlichen Tenor lassen wir mal so stehen, ohne es wirklich zu glauben. Das szenische Gefühl des Chorleiters hat er zuletzt immer wieder bei Opernaufführungen der Stuttgarter Philharmoniker bewiesen, an denen auch „sein“ Württembergischer Kammerchor mitwirkte. Dort saß Kurz, bewaffnet mit einer Taschenlampe, und aus der Loge im Beethovensaal sah man es blitzen und blinken. Da war er in seinem Element, der Bühnenmensch Kurz.

Südfranzösisches Flair für die Kontakte „ausgesprochen fruchtbar“

Ähnlich hat er die Sänger des Ensembles, das er 1970 gründete, schon Mitte der 80er Jahre geleitet, als der Chor über drei Jahre hinweg jeweils einen Sommermonat lang für Aufführungen großer Wagner-Opern nach Nizza verpflichtet wurde. „Für die sozialen Kontakte im Chor“, sagt Dieter Kurz grinsend, sei das südfranzösische Flair damals „ausgesprochen fruchtbar“ gewesen; womöglich ist dies auch der Grund, warum er weiterhin einmal jährlich eine Chor-Arbeitswoche in die Provence verlagert.

Dabei bleibt selbst bei reinen Konzertstücken die Bühne immer ein Thema. „Musik“, sagt Kurz, „ist immer Szene – allein durch die Spielvorgänge bei Instrumenten, durch Gestik und Mimik der Sänger“ – und weil dies so sei, müsse das Live-Erleben von Musik immer im Vordergrund stehen. Das gelte auch für ihn und für den Chor, dessen Sänger weiterhin kein Geld für ihr Mitwirken erhalten.

Stattdessen erhalten sie: Wissen. Kurz erklärt gerne, analysiert, stellt Verbindungen her. Das ist es, was seine Sänger lieben: gemeinsam das Ziel zu verfolgen, einer Sache, einem Stück Musik näherzukommen. „Meine Konzerte“, sagt der Dirigent, „mache ich für die Chormitglieder – damit die mir hinterher sagen, das hat sich gelohnt. Das Publikum ist nur eine Randerscheinung.“

„Die Sänger sind besser ausgebildet“

Ob sich die Chorlandschaft und der Chorklang seit 1970 verändert haben? „Die Sänger sind besser ausgebildet“: Das ist das eine. Das andere: Unter dem Einfluss der historischen Aufführungspraxis sei der Vokalklang nebensilbenbetonter geworden, rhythmisch konturierter, insgesamt geformter,, und „man kann heute mit der Intonation besser umgehen“. Außerdem bringe er in sein Dirigieren natürlich all die Erfahrungen ein, die er beim Zuhören, bei Gastdirigaten und als Chorleitungs-Professor (1980 bis 2011 in Stuttgart, seither vertretungsweise in Karlsruhe) gesammelt habe. Und „das Über-Ich des Sängers“ sei natürlich auch immer dabei. „Man muss überall das Beste klauen“: Auch das ist ein Kurz-Spruch, den man nicht vergisst.

„Noch tut alles“: Das ist auch so einer. Weil das so ist, übernimmt Dieter Kurz 2016 gemeinsam mit seiner Frau, der Dirigentin Veronika Störtzenbach, die künstlerische Leitung des Vereins Live Music Now – ihre Stellen in der Stuttgarter Paulusgemeinde werden beide bis dahin aufgegeben haben.

An diesem Sonntag wird aber erst einmal gefeiert. Singend, versteht sich, und – so Kurz – mit „dem unterhaltsamsten Oratorium der Musikgeschichte“, Joseph Haydns „Die Jahreszeiten“. Glaubt man dem begeisterten Dirigenten, dann ist dieses Stück nicht nur viel besser als die populärere „Schöpfung“, sondern steckt auch voller spannender Widerstände. Das beginne schon in der Ouvertüre, die „total zerfasert“ sei, die voller plötzlicher Betonungen stecke und sich harmonisch oft und rasch zu entfernten Tonarten und bewege. „Da fallen Hörer und Dirigent dauernd in Löcher“, und weil das Stück so aufregend sei, erzeuge die Musik auch „ständig irgendein Kopfkino“.

Die große Jagdszene mit den vier Hörnern: „Das“, sagt Dieter Kurz, „ist Raummusik“, das müsse man inszenieren, und dann ist es wieder da, das verschmitzte Lachen des 70-Jährigen, das immer auch ein Stück schwäbisches Understatement ist: „Ich hoffe , das klappt!“