SWR-Spitze und ARD-Vorsitzender: Kai Gniffke Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Mehr Aufgaben, aber nicht mehr Geld, und die Angriffe von rechts häufen sich: Wie Kai Gniffke, SWR-Intendant und ARD-Vorsitzender, den Senderverbund aus der Krise führen will, erzählt er im Interview.

Mehr Aufgaben, aber nicht mehr Geld, und die Angriffe von rechts häufen sich: Ein Gespräch darüber, wie Kai Gniffke, SWR-Intendant und ARD-Vorsitzender, den Senderverbund aus der Krise führen will.

Herr Gniffke, täuscht der Eindruck, oder befindet sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk aktuell in seiner größten Krise?

53 Millionen Deutsche nutzen täglich die ARD. Halten Sie das für eine Krise?

Sie können doch nicht bestreiten, dass der Rückhalt in der Politik bröckelt. Die Angriffe nicht nur vom rechten Rand werden immer schärfer, die gewünschte Beitragserhöhung wird es wohl gar nicht geben. Was heißt das für die ARD?

Das stellt uns in der Tat vor große Herausforderungen, denn künftig haben wir mehr Aufgaben als bisher. Zusätzlich zu unseren linearen Programmen haben wir den Auftrag, stärker in digitale Angebote für jüngere Generationen zu investieren. Das sind wir den Menschen schuldig, die Medien heute schon überwiegend im digitalen Raum nutzen.

Kann sich die ARD ihr teures Programm in Zukunft überhaupt noch leisten?

Da ist ein zentrales Missverständnis in Ihrer Frage. Unser Programm ist nicht teuer, es ist vielfältig und umfangreich. Und das ist so, weil die Politik es über die Medienstaatsverträge so beauftragt hat. Es ist unsere Pflicht, diese Programme weiter in der Qualität zu liefern, die das Publikum von uns erwartet. Zumal wir gleichzeitig Topqualität für Radio, TV und digitale Ausspielwege entwickeln. Deshalb schichten wir in der ARD in der kommenden Beitragsperiode 250 Millionen Euro für digitale Programmangebote um.

Wegen des demografischen Wandels ist das treue Stammpublikum über 60. Sendet die ARD irgendwann ins Nichts?

Das stimmt nicht. Die Hörer unserer Popwellen sind viel jünger, genauso wie die knapp 4,8 Millionen Instagram-Follower der „Tagesschau“. Natürlich müssen wir unser digitales Angebot weiter ausbauen. Das gemeinsame Streamingnetzwerk mit dem ZDF ist ein gutes Beispiel, wie wir uns diese Zukunft vorstellen.

Für junge Leute ist 2016 das Onlineangebot funk gestartet, es soll dafür sorgen, dass auch diese Zielgruppe öffentlich-rechtliche TV-Produktionen wahrnimmt. Täuscht der Eindruck, oder werden Hinweise auf den Hintergrund schamhaft verschwiegen? Ist das Image von ARD und ZDF bei Menschen zwischen 14 und 29 Jahren so schlecht?

Erneuter Einspruch: 60 Prozent der funk-Nutzer wissen, dass es sich um ein öffentlich-rechtliches Angebot handelt. Wenn Sie im Internet die Seite funk.net besuchen, dann steht da unten rechts „funk ist ein Angebot von ARD und ZDF“. Auch bei den Social-Media-Angeboten von funk ist der Hinweis sehr deutlich. Wir verstecken jedenfalls gar nichts, und warum auch: Wir sind stolz auf funk. Wir erreichen hier – gemeinsam mit dem ZDF – viele junge Menschen mit Inhalten, die sie interessieren.

Auf Kritik von rechts außen antworten ARD und ZDF oft mit einer Form von Neutralität, die im Fall von Demokratiefeindlichkeit völlig deplatziert ist. Müsste man da nicht klarer Haltung beziehen?

Mir hat noch keiner schlüssig den Unterschied zwischen Haltung und Meinung erklären können. Meinung hat in der ARD einen ausdrücklich gekennzeichneten Sendeplatz zum Beispiel in den „Tagesthemen“, und ansonsten trennen wir sehr genau zwischen Meinung und Bericht. Es gibt im Journalismus professionelle, ethische und handwerkliche Regeln. Für mich mit meiner „Tagesschau“-Vergangenheit ist das auch nicht verhandelbar: Wir sollen niemandem durch eine eigene Haltung belehren; die Leute müssen sich ihre Meinung selbst bilden können. Ein grundlegender Wert ist dabei die Überzeugung, dass in einer Demokratie alle Menschen ihre Meinung frei äußern können, weil sie am Ende diese Welt, die sie aus unterschiedlichen Perspektiven sehen, gemeinsam gestalten wollen. Wir haben dabei die Aufgabe, die Perspektiven zu vermitteln.

Meinungsbildung entsteht nicht zuletzt durch Austausch. Warum ist der in der Mediathek nicht vorgesehen?

Die ARD-Mediathek stellt öffentlich-rechtliche Inhalte für die digitale Mediennutzung zur Verfügung. Wer mit uns über diese Inhalte oder die ARD diskutieren will, der kann das auf vielen Wegen tun. Wir haben Kommentarmöglichkeiten in der Mediathek getestet und arbeiten mit verschiedenen Redaktionen daran, sinnvolle Interaktionen und Dialogmöglichkeiten für ausgewählte Sendungen zu erarbeiten. Und Sie kennen meine Vision eines größeren Netzwerkes, das Inhalte und Dialog, öffentlich-rechtliche, andere gemeinwohlorientierte und auch privatwirtschaftliche Inhalte vereint. Ich habe das mal „deutschsprachigen Medienmarktplatz“ genannt. Der Weg dahin ist lang, und man kommt am besten in kleinen Schritten vorwärts, wenn man nicht stolpern will.

Die ARD muss sich verändern. Ein Zukunftsrat hat umfassende Reformen vorschlagen. Darüber wird zwar in der Landespolitik entschieden, aber sollte die ARD diesen Prozess nicht auch selbst vorantreiben?

Wir sind schon längst dabei. Die 250 Millionen Euro Umschichtung ins Digitale habe ich bereits genannt. Um Programm effizienter zu produzieren, führen wir neue Formen der Zusammenarbeit ein, Stichwort Kompetenzcenter oder gemeinsame Programmstrecken in den Info- und Kulturwellen im Radio. Das ist alles bereits beschlossen, man wird es dieses Jahr im Programm hören und sehen. Auf diesem Wege geht es weiter. Es ist ein bisschen wie bei funk: Man traut es der ARD zuerst nicht zu. Aber die alte Dame ist immer wieder für Überraschungen gut.

Laufbahn beim Öffentlich-Rechtlichen Sender

Vita
Dr. phil. Kai Gniffke (Jahrgang 1960) hat Politikwissenschaft, Soziologie und Öffentliches Recht studiert. Als Reporter arbeitete er bei den Fernsehnachrichten des SWF in Mainz und ab 1995 als Landespolitischer Korrespondent. 1999 übernahm er die Leitung der Redaktion ARD-aktuell beim SWR in Rheinland-Pfalz. Von 2003 bis 2005 war er Zweiter Chefredakteur ARD-aktuell. Von 2006 bis 2019 verantwortete er als Erster Chefredakteur ARD-aktuell unter anderem „Tagesschau“, „Tagesthemen“ und Tagesschau.de. Seit September 2019 ist er Intendant des Südwestrundfunks.