Max Ackermann um 1940 vor seinem Gartenatelier auf dem Frauenkopf Foto: StN

Man kommt an diesem Charakterkopf nicht vorbei, ohne respektvoll aufzuschauen. Auch nicht an diesem frühen Morgen im September, als ich ein schnelles Bad nehme, nur um sicherzugehen, dass er noch da ist.

Man kommt an diesem Charakterkopf nicht vorbei, ohne respektvoll aufzuschauen. Auch nicht an diesem frühen Morgen im September, als ich ein schnelles Bad nehme, nur um sicherzugehen, dass er noch da ist. Seit jeher schaut er von der Wand herab wie der letzte Hüter des bedrohten Schatzes. In der Eingangshalle des Mineralbads Berg hängt ein Porträt von Max Ackermann. 1973 signierte es der Künstler mit Bleistift. Zwei Jahre später starb er mit 88 Jahren. 1959 hat Max Ackermann das in Blei gegossene Fenster an der Decke im Berg-Foyer gestaltet; ein abstraktes Werk in Blau, der wichtigsten Farbe des Künstlers. Paul Blankenhorn, der legendäre, 1997 mit 90 Jahren gestorbene Chef der feinsten Quellen in Stuttgarts Osten, hatte es in Auftrag gegeben. Ackermann war Stammgast im Berg, wie viele andere Künstler.

Die Stadt widmet Max Ackermann seit dieser Woche eine ihrer berühmten Staffeln - an der Frauenkopfstraße, wo er in seinem Atelier gearbeitet hat. Die Staffeln, von unbelehrbaren "Ländle"-Folkloristen "Stäffele" genannt, sind immer gut, um Altlasten aufzuarbeiten. Man ehrte damit, sehr spät, auch Widerstandskämpfer wie Georg Elser (an der Gänsheidestraße) oder Else Himmelheber (am Marienplatz). Beide wurden von Hitlers Sturmstaffel, besser bekannt als SS, im KZ ermordet.

Jetzt endlich das Denkmal für Max Ackermann. 1887 in Berlin geboren, kam er 1912 nach Stuttgart und wurde Schüler von Adolf Hölzel, dem Pionier der abstrakten Kunst. Während des Nazi-Regimes galten Ackermanns Werke als "entartet", er floh wie viele seiner Kollegen an den Bodensee. Nach dem Krieg verweigerte man ihm den Professorentitel an der Akademie der Bildenden Künste, er galt als Kommunist.

In den späten fünfziger Jahren, davon ist heute leider nicht mehr viel bekannt, erlebte die Avantgarde in Stuttgart eine ungeahnte Blüte. Der 1936 geborene Hans-Jürgen Müller, ein gelernter Schriftsetzer, wurde von der abstrakten Kunst infiziert und begann eine große Karriere als Galerist. In seinem brillant geschriebenen, erstmals 1976 erschienenen Erinnerungsbuch "Kunst kommt nicht von Können" erfährt man alles über den Stuttgarter Aufbruch.

1958 eröffnete Müller mit zwei Partnern seine erste Galerie: "Drei Kellerräume hatten wir außerhalb des Zentrums für 140 Mark im Monat mieten können. Die Eröffnung mit Max Ackermann, auf den wir uns demokratisch geeinigt hatten - viel mehr Künstler kannten wie ohnehin nicht -, sollte an einem der nächsten Samstagabende stattfinden. Zu dritt besuchten wir ihn in seinem Atelier... Max Ackermann, einen professoralen, älteren Herrn, schien die Unruhe, die wir in sein ländliches Idyll gebracht hatten, zu belustigen..."

Zur selben Zeit trat der Maler und Kunstprofessor Georg Karl Pfahler in Müllers Leben und veränderte es: "Bilder von der Art, wie sie mir Pfahler geduldig vorführte, waren mir vorher nie begegnet..."

Wie Ackermann besuchte Pfahler regelmäßig das Berg, und ich bin froh, dass ich hin und wieder das Glück hatte, neben diesem aufgeschlossenen Mann in der Sauna zu sitzen. 2002 ist er mit 75 gestorben. Auch der Galerist Müller ging, so oft er konnte, ins Berg; es war undenkbar, er könnte eines Tages nicht mehr kommen. Im vergangenen Mai ist er mit 73 gestorben.

Es wäre eine Katastrophe, sollten diese Männer heute von ihrer Wolke aufs Berg herunterschauen. Ich wette: Sie tun es. Seit Wochen verschandeln Planen am Terrassengeländer das Bad. Die Lappen hängen über dem Außenbecken und zeigen, völlig bezugslos, die Köpfe von John Wayne, James Dean, Marilyn Monroe und Humphrey Bogart. Den Plastikplunder hat man vor Wochen zur Ankündigung einer Open-Air-Party unter dem Motto "Legendär" angebracht. Die Event-Strategen, vernarrt in ihre Geschmack- und Stillosigkeit, montierten die Werbefetzen bis heute nicht ab.

Warum, frage ich mich, hat man nicht symbolbehaftete Rockstars wie Brian Jones oder Dennis Wilson übers Wasser gehängt? Der eine ist im Swimmingpool ersoffen, der andere im Yachthafen. Legendär!

Joe Bauer stellt am 22. Oktober im Theaterhaus sein neues Kolumnen-Buch vor: "Schwaben, Schwafler, Ehrenmänner". Gäste im Flaneursalon sind Eric Gauthier, Roland Baisch & The Countryboys, Dacia Bridges, Michael Gaedt. Karten: 4020720