Cornelius Meister will für das Staatsorchester einen Haustarifvertrag für größere finanzielle Flexibilität. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Cornelius Meister, Generalmusikdirektor der Oper Stuttgart, wird seinen Vertrag nicht über 2026 hinaus verlängern. Die Zukunft des Orchesters sieht Meister kritisch – und bezieht diesbezüglich klar Stellung.

Seit 2018 ist Cornelius Meister Generalmusikdirektor der Oper Stuttgart und des Staatsorchesters. 2026 werden sich die Wege trennen. Bis dahin will sich Meister weiter für einen eigenen Haustarifvertrag für das Staatsorchester innerhalb der Staatstheater Stuttgart engagieren. Warum ist dies für ihn so wichtig? Wir haben nachgefragt.

 

Herr Meister, über 2026 hinaus werden Sie Stuttgart musikalisch verbunden bleiben, aber nicht als Generalmusikdirektor. Was sind die Gründe?

Tatsächlich fühlen sich meine Familie und ich sehr wohl in Stuttgart, mit dem Staatsorchester, dem Staatsopernchor und dem Gesangsensemble läuft es künstlerisch super, und das Stuttgarter Publikum habe ich ins Herz geschlossen. Daher habe ich Viktor Schoner angeboten, hier auch nach 2026 als Gast regelmäßig zu dirigieren. Gerade bereiten wir uns mit voller Energie auf die Staatsopern-Tournee nach Köln und Paris vor.

Sie sprechen die Energie an. Die ist immer spürbar. Nicht nur am Pult. Mal positiv gefragt: Was dürfen wir aus dieser Energie bis 2026 für Stuttgart erwarten?

Gemeinsam mit dem unglaublich engagierten Freundeskreis von Staatsoper und Staatsorchester und den Jungen Freunden wollen wir Staatsoper und Staatsorchester immer tiefer in der Stadtgesellschaft verankern. Es ist uns gelungen, zahlreiche Menschen in Konzerte und Opernaufführungen zu bringen, die zum ersten Mal ein Orchester live erleben. Musik und Theater für alle zu einem zentralen Teil ihres Lebens zu machen: diesem Ziel kommen wir hier in Stuttgart täglich näher. Im Sinfoniekonzert hatten wir gerade die beste Auslastung seit 13 Jahren. Nächstes Jahr soll es ein Sommerkonzert mit 1000 jugendlichen Mitwirkenden aus der Region geben. Auf diesem Weg soll es in den nächsten zweieinhalb Jahren weitergehen.

Als einen Grund für Ihren Abschied nennen Sie und Intendant Viktor Schoner unterschiedliche Positionen zur Frage eines Haustarifvertrages für das Staatsorchester. Befürchten Sie im Klartext in der harten nationalen und internationalen Konkurrenz einen Qualitätsverlust, wenn dem Staatsorchester nicht mehr Geld zur Verfügung steht?

Ja. Strukturell droht dem Staatsorchester, den Anschluss zu verpassen. 27 deutsche Orchester haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten begriffen, dass passgenau zugeschnittene Tarifvereinbarungen notwendig sind, um Innovation und Zukunftsfähigkeit zu ermöglichen. Für das Staatsorchester Stuttgart wird aber immer noch die Vertragsform verwendet, deren Ursprungsfassung aus dem Jahr 1920 stammt. Drei Schulkonzerte am Vormittag hintereinander sind damit nicht möglich, ebenso wenig ein zeitgemäßes mediales Angebot.

Sie formulieren ernste Sorgen.

Die finanzielle Ausstattung ist nicht einmal national konkurrenzfähig. Bei meinen vorhergehenden Chefdirigenten-Positionen ist es mir gelungen, die Orchester strukturell besser aufzustellen, und zwar nachhaltig. In Stuttgart arbeite ich noch daran, in einiger Zeit dann sicherlich gemeinsam mit meiner Nachfolgerin oder meinem Nachfolger.

Sie dirigieren in der Metropolitan Opera in New York, in Bayreuth oder Wien – haben aber in Stuttgart auch unerwartete, kleine Orte zu Staatsorchesterbühnen gemacht. Wie wichtig sind Experiment, Überraschung und Offenheit grundsätzlich für Sie?

Erstklassige Qualität ist immer mein Ziel. Erreichen können wir sie nur mit stetiger Neugier, täglichem Ringen um Exzellenz und damit, unser Tun immer wieder zu hinterfragen. Da bin ich mir mit meinen hervorragenden Kolleginnen und Kollegen im Haus absolut einig.

Dann dürfen wir uns in Stuttgart in den nächsten zwei Jahren auch wieder auf Staatsorchester-Auftritte an scheinbaren Unorten der E-Musik freuen?

Das Stuttgarter Publikum, das uns zu den ungewöhnlichsten Orten folgt und neugierig darauf ist, neue Werke kennenzulernen, ist großartig. Viele Stuttgarter reisen auch zu Aufführungen, die ich in anderen Städten dirigiere. Schon jetzt freue ich mich auf unser Sommerkonzert auf dem Killesberg am 22. Juni. Keine Sorge – emotional werde ich Stuttgart immer verbunden bleiben!

An diesem Freitag, 19. April, stellt Cornelius Meister das Konzertprogramm für das Staatsorchester in der Saison 2024/2025 vor. Nächste Aufführungen mit Cornelius Meister am Pult im Opernhaus Stuttgart: „Götterdämmerung“ ab 5. Mai sowie „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ ab 11. Mai. Zudem dirigiert Meister Sinfoniekonzerte am 16./17. Juni und 14./15. Juli.

Zwischen New York, Bayreuth und Stuttgart

Frühe Karriere
Cornelius Meister, 1980 in Hannover geboren, verlässt mit 15 das Gymnasium und beginnt ein Musikstudium. Der Sohn einer Musikerin und eines Pianisten spielt seit dem vierten Lebensjahr Klavier und Cello und lernt mit 17 das Dirigieren. Mit 21 Jahren debütiert er an der Staatsoper Hamburg. Mit 24 Jahren wird er 2005 als jüngster Generalmusikdirektor Deutschlands nach Heidelberg berufen. 2012 dirigiert er an der Wiener Staatsoper, seit 2015 am Teatro alla Scala Mailand, seit 2019 an der Metropolitan Opera New York und seit 2022 im Festspielhaus Bayreuth. Seit 2018 ist er Generalmusikdirektor (GMD) der Oper Stuttgart und des Staatsorchesters Stuttgart.

Staatsorchester Stuttgart
Das Staatsorchester Stuttgart ist das Hausorchester der Staatstheater Stuttgart und feierte in der Saison 2022/23 sein 430-jähriges Bestehen. Damit gehört es neben den Theaterorchestern in Dresden, München und Kassel zu den ältesten der Welt. Aktuell bilden 130 Musikerinnen und Musiker das Staatsorchester Stuttgart.