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Manche werden in „Skyfall“ eine Rückbesinnung auf alte Stärken sehen, andere eine selbstironische Rolle rückwärts. Sicher ist, dass James Bond in seinem 23. Kinoabenteuer sein schwieriges Verhältnis zu Chefin M klärt und in Javier Bardem den grandiosesten Gegenspieler seit langem hat.

Stuttgart - „Wenn Sie nur für einen Moment glauben, ich hätte nicht die Eier, einen Mann in den Tod zu schicken, dann täuscht Sie Ihr Instinkt“, sagt Judi Dench in „Goldeneye“ (1995) als neue Geheimdienstchefin M zu James Bond in Gestalt von Pierce Brosnan. 17 Jahre später, im 23. Bond-Film „Skyfall“, kulminiert ihre Beziehung zu 007 (jetzt Daniel Craig), den sie damals überdies als „sexistischen, frauenfeindlichen Dinosaurier“ bezeichnet hat und als „Relikt aus dem Kalten Krieg“. Auch der letzte Satz wird nun wahr: In der digitalisierten Welt wirkt einer, der rennt, springt, schießt, wie ein aus der Zeit gefallenes Auslaufmodell.

Die Verbindung zwischen beiden Themen schafft der abtrünnige Ex-Agent Silva, der mit seiner einstigen Chefin eine Rechnung begleicht – auch dies eine Parallele zu „Goldeneye“. Und obwohl selbst ein Dinosaurier, bedient er sich aktueller Mittel: Er hackt sich in Ms Computer, verübt via Internet einen Anschlag auf den MI6 im Herzen Londons und gerät so ins Duell mit James Bond.

Sam Mendes, Regisseur tiefgründiger Hollywood-Filme wie „American Beauty“ (1999) und „Zeiten des Aufruhrs“ (2008), hatte einen Auftrag: Er sollte den dunklen, von der Welt verlassenen Bond aus „Ein Quantum Trost“ (2008) zurückholen zu sich selbst und seiner verlorenen Seele. Zunächst wird er bei einer harten Verfolgungsjagd in Istanbul aber beinahe vernichtet: Eine Kugel, ein Fall, eine Auszeit, danach ist 007 nicht mehr nur Oldschool, sondern auch noch außer Form; trotzdem stellt er in einem Wolkenkratzer in Schanghai in einer schattenspielartigen Action-Sequenz den Superterroristen Patrice (Ola Rapace) – seine Instinkte sind wacher denn je.

Daniel Craig hat eine derartige Macht im Auftritt entwickelt, dass er selbst dann noch unbezwingbar wirkt, wenn er im antiquierten Badezimmer mit tiefen Augenringen seine Schusswunde inspiziert, die er mit dem Bowie-Messer noch einmal selbst auskratzt. Bei einer brillant ins Bild gesetzten Mutprobe Auge in Auge mit einem Skorpion blitzt die Peter-Pan-Veranlagung auf, die Craigs Bond zuletzt ebenso abhandengekommen war wie seine Verführungskunst, für die er im Flirt mit einer gefährlichen Schönheit (anmutig: Bérénice Marlohe) wieder mehr Zeit und Muße bekommt.

Nur einer spielt auf Augenhöhe, stiehlt Craig gar ein wenig die Show: Javier Bardem, in „No Country for Old Men“ ein Naturereignis als psychopathischer Killer, macht aus dem abtrünnigen Silva einen deformierten Bösewicht wie aus dem Panoptikum – einen überschwänglichen Zyniker, der besonders gefährlich ist, weil er längst alles verloren hat. Im gläsernen Käfig vorübergehend festgesetzt, verspottet er die Welt, kalt lächelnd verschwendet er Material, ohne Regung löscht er Menschenleben aus. Und er zickt wie eine Diva, wenn nicht alles nach Plan läuft, wenn Gegner sich überhaupt zu wehren versuchen. Bardem ist ein großartiger Schurke, er greift nach der Krone unter den Bond-Gegenspielern. Die 77-jährige Judi Dench, als M in der Defensive und zum Rückzug gedrängt von einem Regierungsbeamten (Ralph Fiennes), gerät in schwere Verwerfungen – und wird zum Spielball zwischen den beiden Dinosauriern auf Kollisionskurs.

So sorgfältig Sam Mendes bei den Charakteren und ihrem Beziehungsdrama zu Werke geht (was ihm entspricht), so fahrig ist die Verpackung geraten. Die stimmgewaltige Popsängerin Adele empfiehlt sich beim Titelsong als Nachfolgerin der großen Shirley Bassey, deren „Goldfinger“ (1964) einst prägend wirkte – in der Mechanik des Films aber knirscht es. „Skyfall“ ist eine Rolle rückwärts, die Produzenten haben den Wettlauf mit „Bourne“ und „Mission: Impossible“ aufgegeben, den sie mit „Casino Royale“ (2006) für sich entscheiden konnten. Nun suchen sie die Fans zu versöhnen, bearbeiten das eigene Profil mit leichten Gags und viel Selbstironie, die allerdings nicht wie einst bei Roger Moore vom Protagonisten ausgeht, sondern auf diesen zielt, was ein großer Unterschied ist: Nimmt Bond sich selbst nicht ernst, funktioniert der Film als solcher noch, nimmt der Film sich selbst nicht mehr ernst, entzieht er ernsthaft veranlagten Typen wie Daniel Craig den Boden.

Auf ganz dünnem Eis findet der Kampf zwischen analoger Vergangenheit und digitaler Zukunft statt. Der neue Q (Ben Whishaw) ist als Nerd mit Brille und Pullunder allenfalls ein Abziehbild von Sheldon Cooper, dem Antihelden aus „Big Bang Theory“. Er tut überlegen, verheddert sich aber in seinen Bits und Bytes, und sein grober Stadtplan mit Leuchtpunkten ist ein Witz im Vergleich zu dem, was etwa Tony Scott in „Enemy of the State“ schon 1999 vorgeführt hat, als Will Smith mit gestochen scharfen Satellitenaufnahmen verfolgt wurde. Ganz zu schweigen davon, dass der Cyber-Terrorismus – Stichwort: „Stuxnet“ – nicht einmal im Ansatz erklärt wird.

Die alte Technik dagegen wird entweder verlacht, weshalb es keine netten Geheimwaffen wie explodierende Kugelschreiber mehr gibt, oder als Dekoration vorgeführt wie der silberne Aston Martin aus Sean Connerys Zeiten, der kaum wirklich zum Einsatz kommt. Stattdessen zeitigt eine banale Bombenexplosion in der Londoner U-Bahn – Reminiszenz an realen Terror – Katastrophenbilder, veranstalten die Kontrahenten im schottischen Elternhaus des Waisenjungen Bond ein sehr ausführliches Abschlussfeuerwerk mit Maschinenpistolen, Handgranaten, Dynamitstangen und Helikoptern wie aus dem Vietnamkrieg.

Dabei erreichen sie nie die ganz große Magie – in „Goldeneye“ holte Pierce Brosnan Bond im freien Fall ein abstürzendes Flugzeug ein, demolierte im Panzer halb St. Petersburg, schlug sich mit Sean Bean auf einer gigantischen Satellitenschüssel. Und verglichen mit der aktuellen TV-Serie „Homeland“, die hart am Puls der Zeit spielt mit überwachten Wohnungen, Folter und Verrat, ist dieser 23. Bond wie ein alter Freund, den man lange nicht gesehen hat; aus gutem Grund: Man hat sich nicht viel Neues zu sagen. 007, ein selbstreferenzielles Fossil? Wie er nun weitermachen, wie er überdauern soll, kann nur ein nächster Film beantworten, dessen Existenzberechtigung „Skyfall“ erfolgreich begründet.