Spielfeld für die Eitelkeit von Politikern und Architekten: der Ground Zero Foto: Mauritius

Wenn es um das Gedenken an 9/11 geht, meiden die New Yorker einen Ort konsequent: den neu gestalteten Ground Zero. Während sich dort die Touristen tummeln, verarbeiten die Bewohner ihr Trauma im Privaten.

Stuttgart - Es hat lange gedauert, bis Dara Kiese den Weg zum Ground Zero gefunden hat – 15 Jahre nach den Anschlägen von 2001 und fünf Jahre, nachdem auf dem Gelände der ehemaligen Zwillingstürme das neue World Trade Center und die Gedenkstätte eröffnet wurden. „Es hat mich absolut nichts dorthin gezogen“, sagt Kiese. Ihr ging es wie vielen New Yorkern, die den 11. September in der Stadt erlebt haben: Sie blieben dem Ort des Schreckens  lieber fern. „Eigentlich wollte ich nicht wirklich an damals erinnert werden“, sagt Kiese.

  Als sich die 45 Jahre alte Kunsthistorikerin in diesem Frühjahr dann endlich persönlich ansah, was dort am Südzipfel von Manhattan entstanden ist, sah sie sich in ihrer vorherigen Scheu und, wie sie sagt, ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt: „Der Ort hat mich vollkommen kalt gelassen. Ich finde, es ist ein makaberes Spektakel, da ist überhaupt nichts, was als Katharsis oder als bedeutsame kollektive Erinnerung taugt.“

Das wertvolle Grundstück sollte schnell Profit abwerfen

Kiese benennt eine Kluft, die New Yorker schon sehr rasch nach den dramatischen Tagen des 11. September zu spüren begannen – eine Kluft, die sich über die Jahre verstärkt hat. Da war einerseits das persönliche Erleben jenes Tages und der Wochen danach, die ein Trauma und einen tiefen Einschnitt im Leben der Betroffenen darstellten. Und dann war da die offizielle Erinnerungs- und Gedenkkultur, in der sich kaum jemand, der dabei  war, wirklich wiedererkannte. Das Kriegsgetrommel und das Fahnengeschwenke, die überzogene Solidarität und Sentimentalität von Auswärtigen, all das fanden die meisten New Yorker von Anfang an befremdlich. So war die Stadt ihrem damaligen Bürgermeister Michael Bloomberg dankbar, als er die Feierlichkeiten mit Militärparaden und Staatsreden schon drei Jahre nach den Attacken deutlich reduzierte.

  Noch mehr befremdete die New Yorker der Streit über die Neubebauung des Geländes, der zehn Jahre lang währte und bei dem es nie wirklich um die Bürger der Stadt ging. Alles drehte sich von Anfang an um Politik, Geld und Macht. So wurde ein wirklich offener Diskurs darüber, was mit dem Gelände geschehen soll, im Keim erstickt. Stimmen, wie die von Bürgermeister Bloomberg und der Architektenvereinigung R. Dot, die eine gemischte Nutzung und eine Wiedereingliederung des Areals in die Struktur der Stadt forderten, wurden rasch erstickt. Stattdessen siegten die Interessen ehrgeiziger Politiker wie des damaligen New Yorker Gouverneurs George Pataki und des Immobilienmoguls Larry Silverstein, die vor allem schnell wieder Profite aus dem wertvollen Grundstück schlagen wollten.

Eine Zirkusatmosphäre, die keine Besinnung zulässt

Schon Monate nach dem 11. September war deshalb klar, dass wieder gigantische Bürotürme hermüssten. Politisch wurde die Entscheidung als Geste der Unbeugsamkeit und des Trotzes verkauft. Die Gedenkstätten – die beiden finsteren Wasserfälle im Grundriss der Zwillingstürme und das unterirdische Museum direkt darunter –  verkamen derweil zum Zankapfel eitler Architekten, der Politik und des Besitzers des Geländes, der Hafenbehörde Port Authority.   So entstand der Campus, wie er sich heute präsentiert.

Umringt wird das Gelände von funkelnden Renommierwolkenkratzern, sämtlich entworfen von  gängigen Stars der Branche wie Skidmore, Owens und Merrill, Norman Foster oder Maki und Partner. Dazwischen herrscht, wie Dara Kiese sagt, „eine Art Zirkusatmosphäre“. Die Wasserfälle von Michael Arad geben vor allem gigantischen Mengen von Touristen einen Ort, den sie besuchen können, nachdem sie jahrelang durch die Löcher eines Bauzauns gaffen mussten. Für New Yorker ist er bedeutungslos, „es sei denn, man ist selbst Angehöriger einer der Opfer, deren Namen hier in eine Kupferumfassung eingraviert sind“, so Kiese. Ansonsten wirke die Gedenkstätte „extrem künstlich und steril“.

Betroffene erträgt den Anblick nur schwer

Das Untergrundmuseum lockt noch weniger Bürger an. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt darauf, mit Bild- und Tondokumenten sowie mit Artefakten den Terror jenes Tages wiederaufleben zu lassen – eine Erfahrung, auf die New Yorker selbst wenig Wert legen. „Ich möchte dieses Gefühl nicht noch einmal haben“, sagt Kiese. So bedient der Ort eher eine Art Schauertourismus.  

Ähnlich sieht das auch Helaina Horvath, die am 11. September 2001 erst 12 Jahre alt war. Sie erlebte das Grauen hautnah in ihrer Schule, die unmittelbar gegenüber den Zwillingstürmen an der West Street lag. Es kostete sie ihre gesamten Jugendjahre und unzählige Therapiestunden, das Trauma von damals einigermaßen in den Griff zu bekommen. Das Ground-Zero-Gelände meidet sie indes wie der Teufel das Weihwasser. Selbst der Anblick des neuen klotzigen World Trade Center erträgt sie nur schwer. „Mir wäre wohler dabei gewesen, wenn man es etwas bescheidener gehalten hätte.“

Einkaufszentrum am Ort der Trauer

Ein ähnliches Gefühl bringen die New Yorker dem neuen Pendlerbahnhof am Ground Zero entgegen, dem überambitionierten Projekt des Starchitekten Santiago Calatrava. Die Halle, deren Dach sich über den Campus spannt wie die Flügel einer monströsen Taube, hat vier Milliarden Dollar verschlungen. Wie der Architekturkritiker der „New York Times“ Michael Kimmelmann schrieb, sei es Calatrava gelungen, in der hysterischen Zeit unmittelbar nach dem 11. September der Stadt diese Unsumme „zur reinen Befriedigung seiner eigenen Eitelkeit abzuschwatzen“ – eine Ausgabe, die man heute an vielen Stellen bereut.

  Insbesondere das Betreten des „Oculus“, wie Calatrava sein Werk taufte, ruft bei den Steuerzahlern kaum mehr als Ärger hervor. Die Galerie des Gebäudes beherbergt ein Einkaufszentrum das, wie die „New York Times“ schrieb, „vollkommen beliebig ist.“ Auch dieses vermeintliche Monument der Hoffnung und Wiederauferstehung – in Form eines Konsumtempels – mutet zutiefst banal an.  

So werden die New Yorker die schrecklichen Erinnerungen und Bilder, die sie aus jener Zeit verfolgen, wohl weiterhin eher im Privaten und im Gespräch miteinander verarbeiten. Und der Ground Zero bleibt ein Spektakel für Fremde.