Parade von Kriegern des Islamischer Staates. Foto: Militant Website

Der Islamische Staat verbreitet Meldungen über im Kampf gestorbene Dschihadisten. Mit einem Ziel: So will er Rückkehrern die Reise in ihre Heimatländer erleichtern.

Stuttgart - Irgendwann im Sommer vergangenen Jahres klingelte bei Yasmina Abaaoud in Brüssel das Telefon. Ihr Bruder Abdelhamid, sagte am anderen Ende eine junge, männliche Stimme, sei zum Märtyrer geworden. Damit umschreiben Dschihadisten in Syrien für gewöhnlich, dass einer der ihren im Kampf für Allah und den Propheten starb. Während in Belgien die Familie Abaaoud begann, um den Sohn und Bruder zu trauen, verließ der Totgesagte seine Kampfgruppe mit dem Namen „Bataillon al-Battar“ putzmunter und machte sich auf in seine Heimat. Sein Ziel: ein Anschlag in Belgien.

„Seit Monaten erleben wir nahezu täglich, wie Tote auferstehen. Unter meinen Männern gibt es keinen mehr, der nicht fest ans ewige Leben glaubt“, witzelt Kommandant Khalid, der eine Aufklärungseinheit der als moderat geltenden Rebellengruppe Freie Syrische Armee kommandiert. Dabei sorgt nicht nur die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) dafür, dass Syrien zum Ort fortwährender Auferstehung wird. Vor wenigen Wochen berichteten Medien überschwänglich, bei einem US-Luftangriff sei der deutsche IS-Topterrorist Denis Cuspert getötet worden. Der Wagen des 39-jährigen sei am 16. Oktober in der Region von Tabkah unweit von al-Rakka getroffen worden. Wenig später bestätigte das US-Verteidigungsministerium des Tod.

Zweifel an der Todesmeldung im Internet-Blogg

Schnell kursierten im Internet Bilder des früheren Rappers: Blass sah er aus, auf einer Trage liegend, im Arm eine Infusion. Bilder, die in Wirklichkeit jedoch aus dem Jahr 2013 stammen. Seinerzeit war der Berliner bei einer syrischen Luftattacke am Kopf verletzt worden. Über die Grenze geschafft und in einem türkischen Krankenhaus zusammengeflickt überlebte er den Angriff schwer verletzt.

Deutsche Sicherheitsbehörden hielten sich zurück, den Tod Cusperts zu bestätigten. Zwei Wochen lang werteten die Blogger von „Erasmus Monitor“ Internet-Foren, soziale Netzwerke und arabische Medien aus. Am 3. November kamen die Beobachter der Dschihad-Szene zu dem Schluss: „Deutsche IS-Anhänger bestätigen: Denis Cuspert am Leben“. Die deutsche Kultfigur in den Reihen der Terrorgruppe sei, so eine Version, bei dem Luftangriff lediglich schwerst verletzt worden. Er liege im Koma. Eine andere Version nähre sogar Zweifel daran, dass Cuspert überhaupt verletzt wurde.

Kaum verlässliche Meldungen aus Syrien

„Es ist ein Problem, dass kaum noch Journalisten hier in Syrien recherchieren“, beschreibt Khalid die Misere, dass nur wenige Reporter sich um unabhängige Fakten im Bürgerkriegsland bemühen. Und so Todesmeldungen nur schwer zu überprüfen sind. Ein Umstand, auf den die Erasmus-Blogger bei ihren Analysen im Gegensatz zu vielen Medien und Behörden zumindest hinweisen.

Zumal die US-geführte Anti-IS-Allianz so gut wie keine Soldaten auf syrischem Boden einsetzt. Die Erfolge oder Misserfolge von Luftangriffen kann die US-geführte Anti-IS-Allianz kaum überprüfen. Von Drohnen aufgenommene Videos zeigen möglicherweise noch, wie Verletzte nach einem Bombenangriff geborgen und abtransportiert werden. Ob sie überleben, bleibt oft nur eine mehr oder weniger fundierte Spekulation.

17 Mal melde sich der Totgesagte wieder zu Wort

Auch, weil westliche Nachrichtendienste ihre Informationen in der Levante vorrangig elektronisch oder mit Hilfe bezahlter Mittelsmännern sammeln. „Um zu wissen, was hier wirklich passiert. Um die meisterliche Tarnung gerade der Dschihad-Gruppen zu durchdringen, brauchst du Stiefel im syrischen Sand“, ist Khalid überzeugt. Eine Lektion, die westliche Militärs eigentlich in den vergangenen Jahren am Hindukusch hätten lernen müssen: 17 Mal meldete das US-Pentagon zwischen 2007 und 2012, Badruddin Haqqani, einen Oberkommandierenden des el-Kaida-nahen Haqqani-Netzwerkes, im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet getötet zu haben. Seine wundersamen Wiederauferstehungen nach den Todesmeldungen trieb den radikalen Muslimen neue Rekruten in Scharen in die Arme.

„Das Problem ist, dass solche Propagandameldungen der Glaubwürdigkeit des Westens enorm schaden. Gleichzeitig nehmen Menschen in der arabischen Welt die falschen Meldungen der Terrorgruppen als Kriegslist war, die den Wert der Dschihadis an Lagerfeuern und in Teehäusern nur mehrt“, sagt der israelische Anti-Terrorexperte Ehud Sprinzak.

„Putzmunter und mit neuen Identitäten“

Und warnt davor, ohne „handfeste Beweise“ den Todesmeldungen von „Dschihadi John“ zu vertrauen. Der aus London stammende Mohamed Emwazi enthauptete mehrere Geiseln des IS. Die Köpfe der Briten, Japaner, Syrer und US-Amerikaner und Japaner hielt der 27-jährige Terrorist in die Kamera. Am vergangenen Freitag hatte das Pentagon vermeldet, es sei sich „zu 99 Prozent sicher, dass wir ihn erwischt haben“.

Das passt offenbar bestens in eine neue Strategie der Terrorgruppen IS und Jabhat al-Nusra, die der el-Kaida nahe steht. „Seit dem Frühling haben alleine diese beiden Organisationen 19 neue Ausbildungslager in Syrien gegründet“, weiß Kommandant Khalid. Aktuell würden junge Dschihad-Rekruten ebenso wie Veteranen in Syrien in 121 Camps gedrillt. Der Chefspäher sagt: „Wir beobachten, das in diesen Lagern viele sind, die von den Toten auferstanden sind: putzmunter und mit neuen Identitäten“.

Perfekte Tarnung für die Rückkehr nach Europa

Wie Munir Ibrahim. Der Pforzheimer soll im vergangenen Jahr getötet worden sein, macht seine vermeintliche Witwe glauben. Statt im Paradies weilte ihr Mann aber in diesem September in der Oasenstadt Palmyra. Da übte er den Häuserkampf, wie Fotos im Handy eines von der FSA gefangen genommenen IS-Kämpfers beweisen.

Für Abdelhamid Abaaoud, der die Anschläge von Paris am vergangenen Freitag orchestriert haben soll, war der Tod die perfekte Tarnung, nach Europa zurückzukehren.