Die Kuppel krönt den lichtdurchfluteten Gebetssaal der Esslinger Moschee. Foto: /Andreas Kaier

Die Esslinger Moschee setzt auf Offenheit: Die Gemeinde ist zwar türkisch geprägt, will aber eine Anlaufstelle für alle Muslime sein – und für Gäste aus anderen Religionen.

Der große, helle Gebetssaal bietet 600 Menschen Platz – ein Raum nicht der bedrückenden, sondern der offenen sakralen Wirkung, der harmonisch die Formensprache der islamischen Tradition mit der Architekturmoderne in Kontakt bringt. Ebenso die gläsern durchbrochenen Außenwände der Moschee, die wie ein Transparenzsignal wirken.

 

„Der türkische Bezug verliert an Gewicht“

In Kontakt bringen – für Necmiye Yildiz ist das überhaupt ein Anliegen der Esslinger Moscheegemeinde. Sie ist Vorstandsmitglied in dem eingetragenen Verein, der eigentlich Türkisch-Islamische Gemeinde zu Esslingen heißt und dem Dachverband Ditib angehört. Eigentlich – denn die Einschränkung im Vereinsnamen ist zwar der Historie, der Herkunft und dem Hintergrund der nach wie vor meisten Mitglieder verpflichtet. Aber: „Der türkische Bezug verliert allmählich etwas an Gewicht“, sagt Yildiz. Sie verweist auf muslimische Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, aus Afghanistan oder aus Afrika, die in der Moschee eine Anlaufstelle suchen. Die islamische Community in Esslingen werde vielfältiger, als sie eh schon sei.

In Kontakt bringen, integrieren nach innen, in die Gemeinde, und nach außen, in die deutsche Gesellschaft, als deren Teil man sich verstehe: Darum gehe es, sagt Yildiz. Sie sieht das auch als Auftrag der islamischen Religion. Erdal Senbay, der Dialogbeauftragte der Esslinger Moschee, versichert denn auch: „In den Gottesdiensten sind alle Muslime willkommen und auch Gäste anderer Religionszugehörigkeit.“ 600 Plätze sind da eine stolze Ziffer – immerhin hat Esslingen mit dem Bau in der Rennstraße eine der größten Moscheen Deutschlands. Doch eher bescheiden erscheint das Platzangebot angesichts von über 9000 in der Stadt lebenden Muslimas und Muslimen – eine sehr ungefähre Schätzung, die wiederum auf einem Vergleich mit Schätzungen aus Stuttgart basiert; die genaue Zahl ist unbekannt, da die islamische Religionszugehörigkeit nirgends erfasst wird. 300 bis 400 Gläubige kämen freitags zu den Gebeten, sagt Senbay, an hohen Feiertagen deutlich mehr: „Da wird es schon manchmal richtig eng.“

An hohen Feiertagen wird es eng in der Moschee

„Vielfalt ist typisch für den Islam

Allerdings rückt er ein falsches Bild des Islams zurecht: „Unser Glaubensverständnis beinhaltet nichts, was mit der Mitgliedschaft in einer Kirche vergleichbar wäre.“ Nicht die Einheit einer Konfession sei typisch für den Islam, sondern die Vielfalt unterschiedlicher Richtungen, bei denen nicht nur die persönliche religiöse Überzeugung, sondern eben auch die ethnisch-geografische Herkunft eine Rolle spiele. Die Esslinger Gemeinde stehe für religiöse Offenheit und praktiziere sie in einer Kontaktgruppe mit den Kirchen, der jüdischen Gemeinde sowie anderen islamischen Gemeinden, betonen Yildiz und Senbay. Gleichwohl, so die beiden Gemeindevertreter, komme man vom sunnitischen Islam türkischer Prägung her, die für eine liberale, weltoffene Tradition stehe. Das Bekenntnis zu Demokratie und Religionsfreiheit, so Yildiz, sei für die Esslinger Gemeinde selbstverständlich.

Von Spenden abhängig

Ebenso wie die Organisationsform einer Kirche sei dem Islam die Vorstellung einer Religionssteuer fremd, sagt Senbay. Die Esslinger Gemeinde sei daher abhängig von Spenden. Unabhängig aber, darauf legen Senbay und Yildiz ausdrücklich Wert, vom türkischen Staat, auch wenn man dem von der staatlichen türkischen Religionsbehörde organisierten Ditib-Dachverband angehört. „Wir sind ein eigenständiger Verein, wir sind unpolitisch und unterliegen keinerlei Weisungen“, erklärt Senbay.

Seit 1991 gibt es den Esslinger Moscheeverein mit seinen heute rund 500 aktiven Mitgliedern. Man verfüge seit Langem über einen nur für Esslingen zuständigen Imam, einen studierten islamischen Theologen, sagt Senbay. „Ein bloßer Prediger, wie sie bei uns auch verbreitet sind, würde den Ansprüchen der Gemeinde wohl nicht genügen.“

Moschee ist nach langen Jahren fast fertig

Der 2006 begonnene Moscheebau indes zog sich gerade wegen jener Spendenabhängigkeit in die Länge. Während der Finanzkrise 2007/08 versiegte der Zufluss ganz. Es kam zu einem zweijährigen Baustopp. Danach ging es Stück für Stück weiter.

Jetzt ist das von außen schon lang markante Gebäude auch im Innenausbau fertig – „bis auf ein paar Kleinigkeiten“, sagt Yildiz. Wenn es Energiekrise und Inflation zulassen, kann die Moschee noch in diesem Jahr offiziell eingeweiht werden.

Glauben und Glaubenspraxis

Statistik
 Laut der jüngsten Hochrechnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge von 2020 leben zwischen 5,3 und 5,6 Millionen Muslime in Deutschland (6,4 bis 6,7 Prozent der Gesamtbevölkerung). Knapp die Hälfte von ihnen sind deutsche Staatsbürger. Nur ein Teil der Muslime in Deutschland – rund 20 Prozent – gehört Moscheevereinen oder anderen islamischen religiösen Organisationen an.

Religion
 Aus dem niedrigen Organisationsgrad auf die subjektive Religiosität zu schließen wäre dem Islam nicht angemessen. Gut ein Drittel der Muslime in Deutschland, so die Studie, besucht regelmäßig eine Moschee, rund 80 Prozent bezeichnen sich als gläubig – Frauen noch etwas häufiger als Männer. Die zahlenmäßige Diskrepanz zeigt, dass organisatorische Zugehörigkeit im Islam nicht nur von der Religion, sondern von etlichen Faktoren, etwa Herkunft oder Glaubensrichtung, abhängt.