Wirtschaftsjurist Jens Haubold. Foto: Kanzlei

Umweltbehörde, Justizbehörden, Aktionäre – die Fronten , an denen VW kämpfen muss, sind unübersichtlich. Der Stuttgarter Wirtschaftsanwalt Jens Haubold sortiert die Gemengelage.

Stuttgart - Herr Haubold, wie lange wird die Affäre um manipulierte Schadstoffmessungen von VW-Dieselmotoren die Juristen beschäftigen?
Da wurde eine Lawine losgetreten, die so schnell nicht zum Stillstand kommen wird. Die Erfahrung zeigt, dass die Verfolger in den USA besonders dann aktiv sind, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit groß ist. Das hat sich bei den Ermittlungen gegen den Fußball-Weltverband FIFA gezeigt und dürfte bei VW ganz ähnlich sein.
An welchen Fronten wird VW überall angegriffen werden?
Da ist zum einen die amerikanische Umweltbehörde EPA, die schon ein Bußgeld in Milliardenhöhe angedroht hat, weil Volkswagen gegen Vorschriften zum Schadstoff-Ausstoß verstoßen hat. Zudem will die US-Justiz auch strafrechtlich ermitteln, zum Beispiel wegen Betrugs.
Welche Rechte haben Aktionäre in dieser Lage?
In Deutschland können Aktionäre zwar auf Schadenersatz klagen, wenn sie Kursverluste hinnehmen mussten. Doch die rechtlichen Möglichkeiten, diesen Schaden vor Gericht geltend zu machen, sind bedeutend geringer als in den USA.
Was ist der entscheidende Unterschied?
In den USA gibt es die Sammelklage, bei der der einzelne Kläger nicht einmal vor Gericht erscheinen muss. Er steht in einer langen Liste hinter der Klage, und wenn diese erfolgreich war, bekommt er sein Geld. In Deutschland muss dagegen jeder Einzelne um sein Recht kämpfen. Zwar gibt es seit einigen Jahren die Möglichkeit, wichtige Rechtsfragen, die eine Vielzahl ähnlicher Verfahren betreffen, vorab verbindlich klären zu lassen – doch das hat nie richtig funktioniert. Die Verfahren von Tausenden geschädigter Aktionäre gegen die Telekom zeigten bereits vor Jahren, dass das neue Recht praktisch schwer zu handhaben ist.
VW hat die Manipulationen ja im Geheimen vorgenommen. Wird je herauskommen, was wirklich geschehen ist?
Auch hier haben die Kläger in den USA wesentlich größere Rechte. Sie können von VW verlangen, sämtliche internen Unterlagen wie E-Mails auf den Tisch zu legen. Da werden Sie als Kläger immer etwas finden. Auch in Deutschland ließe sich immer etwas finden – aber hier kommen Sie an diese Unterlagen nicht heran. Sie sind im Wesentlichen auf das angewiesen, was Sie vor dem Prozess schon wissen.
Wie hilfreich wäre für die geschädigten Aktionäre denn ein Strafprozess? Die Staatsanwälte können ja genau die Unterlagen beschlagnahmen, die den Klägern ansonsten vorenthalten werden.
Das können die Staatsanwälte tun, aber sie müssen es nicht. Wenn das Unternehmen kooperiert, wird womöglich gar nichts beschlagnahmt. Außerdem gibt es für die Kläger kein allgemeines Recht auf Akteneinsicht – und wenn, dann erst am Ende eines Verfahrens, das aber Jahre dauern kann. Erfahrungsgemäß sind die Behörden aber sehr zurückhaltend, wenn es um die Freigabe von Akten geht. Womöglich muss ein Aktionär nachweisen, dass er durch den erhöhten Schadstoffausstoß geschädigt wurde. Für diesen Nachweis reicht ein Kursverlust der Aktie aber nicht aus.
Welche Rechte gegenüber VW stehen denn den Autokäufern zu?
Das kommt darauf an, ob den Käufern bestimmte Eigenschaften zugesichert worden sind, die in der Praxis nicht eingehalten worden sind. Auch hier sind die Chancen für amerikanische Kunden am größten. Bezeichnungen wie „Clean Diesel“ deuten darauf hin, dass es sich um ein besonders sauberes Fahrzeug handelt. Käufer, die sich durch diese Aussage getäuscht fühlen, können Ansprüche gegen VW geltend machen. Mit dieser Argumentation sind in den USA bereits mehrere Sammelklagen von Autokäufern eingereicht worden.
Um welche Ansprüche kann es sich dabei handeln?
In Deutschland wäre ein finanzieller Schaden schwer geltend zu machen, denn wie sollte man ihn bemessen? Allenfalls wäre an eine Rückgabe zu denken. In den USA argumentieren die Käufer, ein Fahrzeug, das die Grenzwerte nicht einhält, sei weniger wert, und verlangen Erstattung dieses Minderwerts.
Das US-Justizministerium hat erst vor zwei Wochen seine Linie gegenüber Unternehmen verschärft, die Regelverstöße begangen haben. Was kann das für die bisherigen VW-Chefs bedeuten?
Das verheißt nichts Gutes. Bisher wurden die Strafen für Verstöße dieser Art regelmäßig ausgehandelt – das beschuldigte Unternehmen hat einen Teil der Vorwürfe eingeräumt; im Gegenzug mussten sich die Ermittler nicht durch Millionen von E-Mails quälen, die das Unternehmen auf den Tisch gelegt hatte.
VW kann nun keinen Deal mehr aushandeln?
Die USA wollen nun offenbar nicht mehr nur die Unternehmen, sondern vor allem die verantwortlichen Personen selbst zur Rechenschaft ziehen. Nachlässe bei Strafzahlungen soll es nur noch geben, wenn das Unternehmen vorher alle verantwortlichen Personen und die Einzelheiten über deren Fehlverhalten benannt hat. Bisher konnte ein Deal sogar dann zustande kommen, wenn das Unternehmen gar keine Beschuldigten benannt hat. Damit werden sich die USA bei VW nicht mehr zufrieden geben.
Heißt das, der bisherige VW-Chef Martin Winterkorn sollte besser nicht mehr in die USA reisen?
Solange es um Geldstrafen für das Unternehmen geht, dürfte er in den USA nicht persönlich belangt werden. Doch wenn VW die Verantwortlichen und deren Verschulden benennen muss, könnten diese schnell ins Visier der Strafverfolgungsbehörden gelangen. Spätestens dann sollten sie sich eine solche Reise gut überlegen.