Olympia 2024? Hamburg hat die Wahl. Foto: dpa

Michael Vesper, Generalsekretär des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), spricht im StN-Interview über Hamburgs Bewerbung für die Olympischen Spiele in Zeiten von Korruptionsaffären, Terrordrohungen und der Erneuerung des IOC.

Stuttgart - Herr Vesper, auf einer Skala von 1 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut): Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, dass sich die Bürger von Hamburg am Sonntag für eine Olympia-Bewerbung entscheiden?
Ich bin zuversichtlich und glaube, dass die Chancen im oberen Drittel dieser Skala liegen. Hamburg hat in den vergangenen Wochen und Monaten eine echte Mobilisierung erlebt. Es sieht so aus, als ob die Wahlbeteiligung über 50 Prozent liegen könnte – oder sogar über der Wahlbeteiligung bei der Bürgerschaftswahl in diesem Jahr. Das beweist, dass die Bürger sich für Olympia interessieren. Kurzum: Wir hoffen, dass sich die Mehrheit für die Bewerbung entscheidet, die Meinungsumfragen der letzten Zeit gehen auch in diese Richtung.
In den vergangenen Jahren sind mehrere Bewerbungen deutscher Städte für olympische Spiele schief gegangen. Das jüngste Beispiel ist die an einem Bürgerentscheid gescheiterte Bewerbung der Region München für die Winterspiele 2022. Was würde es für Deutschland bedeuten, wenn man sich nun wirklich mal wieder bewirbt?
Olympische und Paralympische Spiele sind das größte Weltereignis. Das ist ein hoher emotionaler Wert, das ist praktizierte Völkerverständigung, da werden Athleten aus allen Sportarten und aus mehr als 200 Nationen zusammenkommen, um sich im Wettbewerb zu messen.
Das ist die sportliche Sicht der Dinge. Aber Olympia ist immer auch Politik, ist Macht.
Natürlich sind Olympische Spiele längst mehr als eine reine Sportveranstaltung. Aber gerade jetzt, da viele Menschen in der Welt wegen Unruhen, Kriegen und dem Terror verunsichert sind, kommt einem Ereignis wie Olympischen Spielen eine noch größere Bedeutung zu. Der Sport verbindet, der Sport sorgt für ganz eigene Emotionen. Insofern glaube ich, dass dieses große Fest die Stimmung in Deutschland heben kann und damit auch ein Signal ist, dass man die Zukunftsgestaltung aktiv und gemeinsam angeht.
Aber die Skepsis, ja Abneigung vieler Menschen gegenüber solchen Großereignissen wächst. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre und Monate mit der Explosion von Kosten oder den Korruptionsvorwürfen sind für das Image nicht unbedingt förderlich.
Die Investitionen, die in Hamburg für die Olympischen Spiele getätigt werden müssten, sind überschaubar. 23 Sportstätten gibt es bereits, sie müssen zu Teilen saniert werden. Nach jetzigem Stand müssen nur vier Sportstätten neu gebaut werden. Olympia in Hamburg wird keine weißen Elefanten hinterlassen. Die Stadt würde, wenn sie den Zuschlag vom IOC erhält, einen neuen, voll inklusiven Stadtteil mitten in der City mit 8000 Wohnungen erhalten und hätte eine unglaubliche Werbewirkung weltweit. Das olympische Erbe wird über Jahrzehnte hin wirken, ähnlich wie das bis heute mit dem Olympiapark in München der Fall ist.
Nochmals: Was sagen Sie den Kritikern, die beim Thema Olympia den Gigantismus in allen Bereichen anprangern?
Wenn man gegen Olympische Spiele oder andere Großveranstaltungen in Ländern opponiert, die nicht unser Gesellschaftssystem haben, sondern autoritär regiert werden, sollte man auch eine Alternative bieten. Denn eins ist doch klar: Die Spiele finden statt, egal wo. Wir hätten mit unserer Bewerbung von München für die Winterspiele 2022 auf ein weitgehend bereits existierendes Netz von Sportanlagen zurückgreifen können, da wären kaum Neubauten nötig gewesen, alles sehr umweltfreundlich und landschaftsverträglich. Nun finden die Winterspiele in einem anderen Teil der Welt statt, wo die Anlagen erst gebaut werden müssen, wo es sehr viel mehr Co2-Ausstoß gibt, wo die Natur deutlich stärker geschädigt wird, als das in Garmisch oder im Berchtesgadener Land der Fall gewesen wäre. Aber das Thema ist erledigt, wir haben den Bürgerentscheid natürlich akzeptiert.
Olympia soll eigentlich ein bunter, fröhlicher Wettstreit der Sportler sein. Ist das vor dem Hintergrund der Terrorgefahr noch möglich? Es verwundert, dass Hamburg nur mit 500 Millionen Euro Sicherheitskosten plant, es bei Olympia in London aber drei Milliarden waren.
Der Betrag in London belief sich auf rund 1,3 Milliarden Euro. Die Zahlen sind aber nur bedingt vergleichbar, da in London eine Vollkosten-Betrachtung gemacht wurde, in Hamburg aber die Olympia-bedingten Mehrkosten berechnet werden. Aber sind wir auch mal bitte ehrlich: Niemand kann heute voraussehen, wie die Sicherheitslage in neun Jahren aussehen wird. Der Kostenaufwand, mit dem wir jetzt für Spiele in Hamburg planen, ist seriös abgeschätzt und mit den Sicherheitsbehörden erarbeitet worden. Wir alle wollen, dass es sichere Spiele gibt.
Aber macht Olympia noch Spaß, wenn man nicht weiß, ob die Rechte mit Schmiergeldern erkauft wurden, ob ganze Nationen gedopt teilnehmen?
Das IOC hat seinen Skandal Ende der 90-er Jahre aufgearbeitet, sich reformiert und vor einem Jahr nun noch seine neue Reform-Agenda unter den Leitsätzen mehr Glaubwürdigkeit, mehr Transparenz, mehr Bescheidenheit beschlossen. Das Bewerbungsverfahren 2024 ist die Premiere, die unter dieser Agenda läuft. In Hamburg geht das gut voran. Wir haben ein sehr kompaktes Konzept, bei dem mehr als 90 Prozent der Wettbewerbe in einem Radius von zehn Kilometern rund um das Olympische Dorf stattfinden und bei dem ein umfassendes Transparenzgesetz gilt. Alle relevanten Verträge können eingesehen werden. Und, nicht zu vergessen: Hamburg ist die einzige Stadt in dem internationalen Verfahren, in der die Bürger vor der Entscheidung gefragt werden.
Wird das beispielhaft für die Zukunft sein?
Ich weiß, dass unsere Herangehensweise und das Referendum in der olympischen Familie sehr genau beobachtet werden. Das habe ich zuletzt schon bei mehreren internationalen Veranstaltungen festgestellt.
Aber bei aller Transparenz wäre es hilfreich gewesen, wenn sich der Bund und die Stadt Hamburg vor dem Bürgerentscheid geeinigt hätten, wie sie die Kosten von 7,4 Milliarden Euro aufteilen.
Niemand kann erwarten, dass der Bund innerhalb weniger Wochen die Kalkulation, die Hamburg erstellt hat, durchwinkt und mehrere Milliarden Euro von heute auf morgen freigibt. Das muss auf Arbeitsebene intensiv geprüft werden und dann wird es sicher eine Einigung über die Lastenverteilung geben.
Und was passiert, wenn die Bürger am Sonntag in Hamburg Nein sagen? Dann dürfte Olympia in Deutschland für längere Zeit, wahrscheinlich Jahrzehnte, erledigt sein, oder?
Wer zu einem solchen Wettkampf antritt, der verschwendet jetzt kurz vor der Entscheidung keinen Gedanken an eine Niederlage. Sollte es aber wider Erwarten nicht genügend Befürworter für die Hamburger Bewerbung geben, haben wir anschließend Zeit satt, uns mit den Folgen zu beschäftigen. Das würde nicht einfach.
Sie bleiben optimistisch, dass es am Sonntag klappt?
Absolut, aber ich bin auch ein gebranntes Kind. Vor zwei Jahren gab es vor dem Bürgerentscheid in Bayern auch Umfragen mit 60 Prozent Zustimmung. Aber dann hatten wir eine Wahlbeteiligung von 29 Prozent und eine knappe Entscheidung von 52 zu 48 Prozent gegen Olympia. Deshalb müssen wir bis zur letzten Stunde mobilisieren.
Wenn’s klappt, gibt’s am Montag die große Feier.
Nein. Dann werden wir die Bewerbung weiter vorantreiben und unsere Mitgliederversammlung am nächsten Samstag vorbereiten. Zum Feiern bleibt da wenig Zeit.