Das schönste Geschenk ist eines, das gar nicht auf der Wunschliste steht. Und manchmal ist es auch besser, sich gar nichts zu schenken, sagt Frank Adloff. Für den Soziologieprofessor ist Schenken nie nur altruistisch motiviert. Manchmal gehe es auch darum, dem Beschenkten seine Überlegenheit zu demonstrieren.
Stuttgart - Das schönste Geschenk ist eines, das gar nicht auf der Wunschliste steht. Und manchmal ist es auch besser, sich gar nichts zu schenken, sagt Frank Adloff. Für den Soziologieprofessor an der Universität Hamburg ist Schenken nie nur altruistisch motiviert. Manchmal gehe es auch darum, dem Beschenkten seine Überlegenheit zu demonstrieren.
Herr Adloff, wir leben im materiellen Überfluss. Trotzdem werden vor Weihnachten Milliarden für Geschenke ausgegeben. Warum schenken Menschen?
Beim Schenken geht es nicht um materielle Notwendigkeiten – in dem Sinne, dass einem etwas fehlt und man ein Geschenk bekommt, das diesen Mangel kompensiert. Ein Geschenk ist Ausdruck einer sozialen und emotionalen Beziehung. Der Lebensstandard spielt dabei keine Rolle. So lange es das Ritual gibt, sich an Weihnachten zu beschenken, werden die Menschen das auch tun.
Wer schenkt, gilt als Altruist. Aber geht es nicht auch darum, sich Geltung zu verschaffen oder die Chance auf eine Gegenleistung des Beschenkten zu erhöhen?
Schenken ist keine rein altruistische Handlung. In der Regel sind unterschiedliche Motive miteinander verwoben, die sich teilweise auch widersprechen. Ein Geschenk ist sowohl freiwillig als auch verpflichtend, es dient sowohl dem anderen als auch mir selbst. Wenn ich dem anderen gutes tue, führt das in der Regel dazu, dass er oder sie mir auch etwas zukommen lässt. So kommt ein Kreislauf in Gang. Das heißt aber nicht, dass wir nur geben, um etwas zurückzubekommen. Sonst würde unser Zusammenleben nicht funktionieren. Menschen kümmern sich um andere Menschen, ohne dass genau aufgerechnet wird, wer was für wen getan hat. Sie engagieren sich ehrenamtlich, helfen Familienangehörigen, Nachbarn oder Kollegen.
Manche wollen mit einem übertrieben großzügigen Geschenk ihr schlechtes Gewissen kompensieren – etwa weil sie im Alltag zu wenig Aufmerksamkeit für andere Menschen übrig haben.
Natürlich kann man mit aufwendigen Geschenken versuchen, Defizite an anderer Stelle zu kompensieren. Aber wenn das Geschenk unverhältnismäßig groß ausfällt, wird es für den Beschenkten offensichtlich, dass es in erster Linie um Kompensation geht.
Um ein passendes Geschenk zu finden, muss man einiges über den Beschenkten wissen. War das früher einfacher als in unserer schnelllebigen Zeit?
In jüngerer Zeit sehe ich da keine große Veränderung. Wenn man allerdings 60 oder 70 Jahre zurückgeht, sieht es anders aus. Da war die räumliche Mobilität, aber auch die Bildungsmobilität sicherlich nicht so hoch wie heute. Die Menschen waren stärker in einer gemeinsamen Lebenswelt verankert und wussten deshalb mehr übereinander.
Unterscheidet sich das Schenkverhalten verschiedener sozialer Schichten?
Dazu gibt es kaum belastbare Untersuchungen. Was man feststellen kann, sind große Geschlechtersunterschiede. Im Grunde ist das Schenken nach wie vor das Hauptmetier der Frauen. Interessanterweise ist diese Arbeitsteilung bis heute erhalten geblieben, obwohl viel mehr Frauen erwerbstätig sind als früher.
Manche Leute vereinbaren, sich gegenseitig nichts mehr zu schenken. Sie sagen, wir haben alles und wollen den ganzen Kommerz nicht. Geht damit nicht etwas verloren?
Es geht eine Chance verloren, die Wertschätzung für den anderen zum Ausdruck zu bringen. Gleichzeitig fällt aber auch das Risiko weg, etwas Falsches zu schenken, was ja in manchen Familien nicht so selten passiert. Ein kompletter Verzicht kann da extrem entlastend sein.
Schenken kann für den Schenkenden in Stress ausarten. Er kann es aber auch nutzen, um seine Überlegenheit zu demonstrieren – etwa mit Geschenken, die der andere nicht erwidern kann.
Genau. Beim sogenannten Potlatsch der Indianer im Nordwesten Kanadas nahm das extreme Züge an. Da ging es darum, sich durch gegenseitige Geschenke so lange zu überbieten, bis eine Seite das Geschenk nicht mehr angemessen erwidern konnte. Am Ende stand der, der immer noch geben konnte, in der Hierarchie am höchsten. Dieses kämpferische Moment schwingt beim Schenken auch heute noch mit – etwa wenn eines von mehreren Geschwistern wesentlich reicher ist als die anderen und das durch teure Geschenke demonstriert. Umgekehrt gilt aber auch: Wer weniger schenkt, als er könnte, gibt das Signal, dass ihm die Schwester oder der Bruder nicht so viel wert sind. Die Fallstricke sind auf beiden Seiten ausgelegt.
Was zeichnet ein gelungenes Geschenk aus?
Das beste Geschenk ist eines, das der Beschenkte nicht erwartet hat. Eines, das gar nicht auf seiner oder ihrer Wunschliste stand. Entscheidend ist, dass sich der andere in seiner Individualität angesprochen fühlt, dass er das Gefühl hat, dass ihn jemand kennt und einschätzen kann. Das Gegenteil davon ist ein standardisiertes Geschenk ohne Einfallsreichtum und Kreativität, das seinen Empfänger komplett verfehlt. Schenken kann so wunderbar sein – und so wunderbar schief gehen.
Viele verschenken lieber einen Gutschein, um das Risiko eines unpassenden Geschenks zu umgehen. Ist das nicht schade?
Wenn es im Grund nur noch um den Austausch von Geldwerten geht, lässt der soziale Zusammenhalt nach. Ein Gutschein drückt aus, dass man keine Lust hatte, darüber nachzudenken, was zu jemand passen könnte. Es gibt aber auch Fälle, in denen es sozial legitim ist, nicht zu wissen, was andere mögen – etwa bei einem Geschenk unter Arbeitskollegen. Da ist ein Gutschein durchaus passend.
Ist selber Machen besser als Kaufen?
Wenn man zwei Geschenke vergleicht, die den Geschmack des Beschenkten nicht treffen, ist das selbst gebastelte sicher das kleinere Übel.