IG-Metall-Landeschef Roman Zitzelsberger will, dass mobiles Arbeiten nicht nur den Belangen der Unternehmen dient. Foto: dpa

18 Monate lang will die IG Metall das Thema Arbeitszeit ganz oben auf ihre Agenda setzen. Im Interview sagt Landes-Chef Roman Zitzelsberger, warum er das für so wichtig hält.

Herr Zitzelsberger, immer mehr Beschäftigte arbeiten heute von unterwegs oder zu ganz unregelmäßigen Zeiten. Wer hat bei dieser Form von Flexibilität das Sagen: die Beschäftigten oder die Chefs?
Beschäftigte außerhalb der Produktion arbeiten zunehmend entkoppelt von den bisher festen Arbeitszeiten und auch von ihrem Büroarbeitsplatz. Das hilft, die persönlichen Belange besser mit der Arbeit zu vereinbaren, doch es ruft auch nach Schutzmechanismen. Es darf nicht dazu kommen, dass das mobile Arbeiten dazu genutzt werden muss, das zu erledigen, was während der regulären Arbeitszeit nicht zu schaffen war. Mobiles Arbeiten soll die Tätigkeit im Büro teilweise ersetzen, aber nicht auf die normale Arbeit draufgesattelt werden.
Doch was kann ein Arbeitnehmer tun, der mit seinen Aufgaben in der regulären Zeit schlicht nicht fertig wird? Ist der nicht gezwungen, in seiner Freizeit weiterzumachen?
Arbeitszeit und Leistung müssen immer zusammen betrachtet werden. Die Arbeit darf nicht in einer Weise verdichtet werden, dass sie in der regulären Zeit gar nicht zu schaffen ist. Da haben wir schon einiges geregelt. Aber die Umsetzung dieser Regeln im Alltag ist ein täglicher Kampf. Die Verdichtung nimmt sowohl in den Angestelltenbereichen als auch in der Produktion zu.
Wie lässt sich denn definieren, was Arbeitnehmer in einer bestimmten Zeit zu schaffen haben?
Dort, wo die Ergebnisse der Arbeit mess- und zählbar sind, ist das Problem eher zu fassen. Das gilt insbesondere für die Produktion. Hier lässt sich vergleichsweise einfach nachvollziehen, ob zusätzliche Anforderungen durch verbesserte Abläufe erklärbar sind oder ob das Unternehmen einfach Zeitpuffer entfernt, in denen die Beschäftigten einen Moment verschnaufen können.
Außerhalb der Produktion geht das mit dem Zählen nicht so einfach.
Dort, wo die Arbeit stärker an einem Gesamtergebnis gemessen wird, wird es schwieriger. Das gilt zum Beispiel für das Erstellen einer Präsentation. Man kann hier ja schlecht die Zahl der Folien zum Maßstab machen. Um den Aufwand zu bemessen, geht es etwa um Fragen wie die, welcher Rechercheaufwand erforderlich war und welche geistige Leistung eingeflossen ist. Bei solchen Tätigkeiten besteht die Gefahr, dass der Zeitaufwand höher ist als die Arbeitszeit, die dafür zur Verfügung steht. Umso wichtiger ist es, dass die gesamte Zeit, die in einer solchen Arbeit steckt, auch gemessen und bezahlt wird. Ansonsten steigen die Anforderungen noch weiter, und die Entgrenzung der Arbeit schreitet immer mehr voran.
Was ist, wenn die Arbeitgeber Mitarbeitern, die Überstunden aufschreiben, vorwerfen, zu langsam zu sein?
Gegen das Unterlaufen von Regeln gibt es leider kein Patentrezept. Da sind vor Ort unsere Betriebsräte und Vertrauensleute gefragt. Sie müssen einschreiten, wenn sie von solchen Verhaltensweisen erfahren. Aber auch ein guter Arbeitgeber muss ein Interesse daran haben, dass die Arbeit in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit zu meistern ist.
Es gibt ja in Deutschland nach wie vor ein Arbeitszeitgesetz mit festen Regeln. So sind zwischen den Arbeitstagen Ruhepausen von elf Stunden vorgeschrieben. Passt das noch zur heutigen Realität?
Wenn Beschäftigte ihren Tag in mehrere Arbeitszeitphasen aufteilen können, sind solche Regelungen unpassend. Man kann ja den Menschen nicht vorschreiben, dass zwischen dem Ende der einen Phase und dem Beginn der nächsten elf Stunden Pause liegen müssen.
Sollte das Arbeitszeitgesetz somit abgeschafft werden?
Nein, das Arbeitszeitgesetz brauchen wir weiter. Wir können uns aber sehr wohl vorstellen, dass der Gesetzgeber den Tarifparteien die Möglichkeit gibt, abweichende Regelungen zu vereinbaren. Dann würden in diesem speziellen Fall die gesetzlichen Ruhepausen nicht gelten, sondern das, was die Tarifparteien stattdessen vereinbaren.
Zu diesen Entwicklungen gehört auch das Entstehen neuer Formen der Zusammenarbeit – etwa mit Clickworkern, die formal selbstständig sind, über das Internet ihre Arbeit anbieten und bei jedem Auftrag im weltweiten Wettbewerb stehen. Lässt sich deren Arbeit überhaupt gewerkschaftlich organisieren?
Diese Menschen sind schwieriger zu erreichen, aber es ist extrem wichtig, auch sie zu vertreten. Sie mögen zwar formal selbstständig sein, befinden sich meist aber doch in einer großen Abhängigkeit vom Arbeitgeber. Auch für sie muss es bei der Bezahlung eine Untergrenze geben . . .
. . . die aber durch einen Anbieter aus Indien leicht unterboten sein muss, zumal dieser viel niedrigere Lebenshaltungskosten hat.
Ja, der Inder und der Anbieter aus Karlsruhe stehen nun in direkter Konkurrenz. Ich muss offen zugeben, dass wir hier noch am Anfang stehen. Um zu erkennen, was die Menschen bewegt, die in diesen Verhältnissen arbeiten, haben wir im Internet die Kommunikationsplattform Faircrowdwork.org geschaffen und zählen täglich bis zu 1000 Zugriffe auf die Seite. Das zeigt, wie groß das Interesse ist.
Was sind denn bisher Ihre Erkenntnisse?
Zum Beispiel die, dass die Bandbreite der Crowdworker enorm groß ist. Ihre Arbeit reicht von einfachsten Dienstleistungen bis zu komplexen Programmier- und Konstruktionsaufgaben. Klar ist, dass man diese Menschen nicht alle auf die gleiche Weise ansprechen kann.
Während in der Verwaltung die Arbeit immer flexibler wird, müssen die Beschäftigten in der Produktion zu festen Zeiten an ihren Plätzen sein. Lässt sich auch in der Produktion die Arbeit flexibler gestalten?
Die Arbeit in der Produktion ist schon hochflexibel – zugunsten der Arbeitgeber. Obwohl die Beschäftigten in der Produktion ein Auto ja nicht zu Hause zusammenbauen können, brauchen auch sie mehr zeitliche Gestaltungsspielräume. Vielversprechend ist eine technische Lösung des Fraunhofer-Instituts. Hier können Mitarbeiter über eine App namens Kapaflexcy ihre Diensteinteilung im Zusammenspiel mit anderen organisieren. Dabei ist allerdings wichtig, dass die Mitspracherechte der Betriebsräte nicht unter den Tisch fallen. Auch lässt sich im Schichtbetrieb Gleitzeit einführen, die dann in Absprache genommen wird. Auch eine längerfristige Veränderung der Arbeitszeit ist möglich. Warum sollte nicht jemand zeitweise kürzertreten, wenn es in der Familie einen Pflegebedarf gibt oder ein Kind schulische Probleme hat? Da ist sicher vieles machbar – und wenn die Arbeit später nachgeholt wird, muss während der verkürzten Arbeitszeit nicht einmal das Gehalt entsprechend sinken.