Felix Magath. Foto: dpa

Felix Magath steht als Mensch und Trainer für Werte, die scheinbar nicht mehr gesellschaftsfähig sind. Vielleicht traut sich aber auch niemand mehr, sie einfach nur durchzusetzen.

Felix Magath steht als Mensch und Trainer für Werte, die scheinbar nicht mehr gesellschaftsfähig sind. Vielleicht traut sich aber auch niemand mehr, sie einfach nur durchzusetzen.

Stuttgart/München - Guten Tag, Herr Magath. Was macht ein Arbeitstier ohne Aufgabe?

(Überlegt kurz) Ich genieße meine Freiheit!

Und das reicht Ihnen?

Ich habe jetzt mehr Zeit für meine Familie, andere Aufgaben und vielfältige Projekte. Langweilig wird es mir daher nicht.

Diesen Samstag sind Sie beim Boxkampf zwischen Huck und Arslan in Stuttgart.

Stimmt.

Sind Sie ein Box-Fan?

Ja, als Trainer saß ich samstagnachts auch gern mal vor dem Fernseher.

Um sich abzureagieren, wenn ein Spiel in die Hosen ging?

Auch nach Siegen habe ich gerne den Kampf Mann gegen Mann verfolgt, weil das purer Sport ist.

Meinen Sie wirklich?

Das Wesen des Wettkampfs ist doch, besser zu sein als der andere. Das ist im Boxring hautnah gegeben. Da tut jeder Fehler weh.

Haben Sie selbst schon mal geboxt?

Nur verbal (lacht).

Das Box-Training gilt als eines der anstrengendsten. Das ist nach Ihrem Geschmack.

Ein Boxer käme nie auf die Idee, mit zwei, drei Kilo Übergewicht in den Ring zu steigen. So was erlebt man schon eher mal im Fußball.

Dabei ist der Körper das Kapital des Spielers.

Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass ein Profisportler zumindest sein Gewicht ständig überprüft.

Sie bleiben Ihrem Ruf treu ...

... welchem Ruf?

Als Schleifer. Stört Sie dieses Klischee?

Das ist die verkürzte Darstellung von Menschen, die unsere Branche beobachten.

"Meine Mannschaften waren am wenigsten verletzungsanfällig"

Sie dürfen es gerne ungekürzt darstellen.

Es ist einfach so, dass viele meine Arbeit nur oberflächlich kennen. Und dann greift man sich das eine Prozent an Trainingsarbeit mit dem Medizinball raus, lässt aber die restlichen 99 Prozent weg. Wer Spitzenleistung erreichen will, muss mehr Einsatz bringen.

Kratzt Sie das Image, das Ihnen anhaftet?

Es macht die Arbeit nicht leichter. Die Spieler lesen so was ja auch und glauben dann schnell, dass zu viel und zu hart trainiert wird. Einem Weltklassespieler wie Raul war mein Training übrigens nie zu viel, obwohl er schon lange dabei war. Es hat sich auch noch nie jemand die Mühe gemacht, genau in die Statistiken zu schauen.

Um was zu entdecken?

Dass meine Mannschaften immer fit und mit am wenigsten verletzungsanfällig waren.

Sind die Profis heute wehleidiger als früher?

Sie sind heute anders.

Wie anders?

Um die Spieler herum gibt es viele Leute, die gut am Fußball verdienen und daher den Spieler auch beeinflussen.

Was sich wiederum auf die Einstellung der Profis auswirkt.

Natürlich. Aber da ist der Fußball auch Spiegel unserer Gesellschaft. Da hat man ja manchmal den Eindruck, dass man das Wort Spitzenleistung kaum noch in den Mund nehmen darf.

Was bedeutet das für die Arbeit eines Trainers?

Dass er sich mit Problemen auseinander- setzen muss, wo es eigentlich keine geben dürfte.

Das klingt, als hätten Sie mit Ihrem Job abgeschlossen.

Auf keinen Fall! Ich werde wieder arbeiten, mein Job bringt mir sehr viel Spaß, am meisten natürlich durch Siege.

Was bedeutet das für ein mögliches Engagement?

Dass die Voraussetzungen stimmen müssen.

Würden Sie noch mal den Retter vor dem Abstieg spielen – wie damals beim VfB?

Nein. Das habe ich oft genug gemacht.

"Das Ausland würde mich reizen"

Warum?

Weil sich der Dank für die enorme Belastung in Grenzen hält.

Wie beim VfL Wolfsburg?

Als das Engagement beim FC Schalke 04 zu Ende ging, hätte ich liebend gern mal ein paar Wochen Urlaub gemacht.

Sie haben stattdessen am nächsten Tag bei den Wölfen angefangen.

Weil der VfL in akuter Abstiegsnot war. Soll ich da sagen: Ich brauche noch ein bisschen frei? Ich habe dann mein Privatleben zurückgestellt. Aber ich bereue nichts.

Was würde Sie denn reizen?

Ach, wissen Sie, ich bin in der Situation, unabhängig zu sein. Das Ausland wäre auch interessant: Spanien, England, Italien. Ich könnte mir aber auch eine Aufgabe in den USA vorstellen, Florida wäre nicht schlecht. Angenehmes Klima ...

Meteorologisch betrachtet wäre der Hamburger SV dann die falsche Wahl.

(Lächelt) Ich lebe mit meiner Familie zwar in München, doch Hamburg bleibt für mich die schönste deutsche Stadt.

Aber der HSV nicht der beste Club.

Ich habe dort zehn Jahre gespielt. Wir haben große Erfolge gefeiert. Da gibt es natürlich eine Menge emotionale Bindungen.

Und eine geschäftsmäßige zum umstrittenen Investor Klaus-Michael Kühne, der Sie gern zum Clubchef machen würde.

Für mich ist Klaus-Michael Kühne ehrbar und nicht umstritten. Ich bin aber völlig unabhängig und gehöre zu keiner Gruppierung im Umfeld des HSV.

Ihr Ex-Club schwebt in Abstiegsgefahr und arbeitet gleichzeitig unter großem Getöse an der Vereinsstruktur.

Dass sich beim HSV auch was an den Strukturen ändern muss, ist unbestritten. Ich glaube allerdings, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist. Wie Sie schon sagten: Der HSV steckt sportlich in einer Abwärtsspirale. Deshalb würde ich mich jetzt nicht so sehr um neue Strukturen kümmern, sondern die volle Konzentration auf die sportliche Leistung legen. Außerdem bezweifle ich, dass Investoren für ein eher schwaches Produkt hohe Preise zahlen. Mit Ausnahme von Herrn Kühne vielleicht, weil ihm der Verein sehr am Herzen liegt.

Wie sehr ist der HSV gefährdet?

Der SC Freiburg hat sich gegen Ende der Vorrunde wieder gefangen. Eintracht Braunschweig und der 1. FC Nürnberg brauchen nur zwei-, dreimal zu gewinnen, dann wird es eng für den HSV. Aber auch für alle anderen, die nur auf einem zweistelligen Tabellenplatz stehen.

Der VfB Stuttgart ist Zehnter und hat auch schon bessere Tage erlebt. Was sagt Ihnen der Blick aus der Distanz auf Ihren Ex-Club?

Alle wirken relativ zufrieden, so nach dem Motto: Es gibt ja noch Schlechtere. Es scheint, man hat sich damit arrangiert, dass die Ansprüche nicht mehr so hoch sind. Das ist schade. Denn die Bedingungen in Stuttgart sind doch sehr gut.

Auch der VfB denkt an die Ausgliederung der Profiabteilung, will sich kapitalisieren.

Das wird schwierig. Der VfB muss aufpassen, dass er sich nicht unter Wert verkauft. Er muss sich attraktiver machen.

"Eine Weiterentwicklung ist beim VfB nicht zu erkennen"

Die Tabelle lässt sich nicht schminken.

Ja, eine Weiterentwicklung ist beim VfB zur Zeit nicht zu erkennen.

Warum ist das so schwierig?

Das ist ja nicht nur beim VfB so. Auch andere Traditionsvereine tun sich mit Veränderungen schwer.

Weil der Bedarf der Veränderung meistens erst unter Leidensdruck erkannt wird.

Da gebe ich Ihnen recht. Deshalb habe ich beim FC Schalke nach der Vizemeisterschaft das Team umgebaut. Schalke spielt seit diesem Umbau zum dritten Mal in der Champions League, hat aber in der einen Saison ohne Champions League die höchsten Einnahmen in seiner Geschichte erzielt.

Der deutsche Fußball insgesamt hat sich verändert. Offensiv macht er Freude, defensiv eher Sorgen. Was ist passiert?

Die Nachwuchsarbeit hat sich verändert. Die Spieler sind taktisch besser geworden, individuell aber nicht.

Was heißt das konkret?

Vorne sieht man kaum mehr einen Spieler, der mal ins Dribbling geht, hinten greift kaum mehr einer an. Man verschiebt lieber auf einer Linie und wartet, bis der Gegner einen Fehler macht.

Es funktioniert doch.

Ja, man kann auch auf diese Weise Erfolg haben. Aber diese abwartende Spielweise begünstigt die Mannschaften, die technisch bessere Spieler haben.

Weil den Bayern keiner mehr so richtig gegen die Hölzer haut?

Man stellt den Gegner jedenfalls nicht mehr so konsequent. Es fehlen Einzelaktionen, das begünstigt Teams, die in der Breite besser besetzt sind – wie eben die Bayern.

Das klingt, als wäre die Meisterschaft auf Jahre hinaus entschieden.

Das ist auch so. Die Bayern können sich nur selber schlagen. Aber wissen Sie was?

Bitte!

Es scheint, als ob andere Vereine gar nicht wollen. In Dortmund hat man sich gar schon mit der Vizemeisterschaft abgefunden.

Das ist Realismus.

Das mag sein. Manchmal scheinen Geschäfte heute wichtiger zu sein als der sportliche Erfolg. Nur ein Beispiel: Da wechselt ein Spieler alle vier Wochen die Schuhe, weil es der Ausrüster so will. Neue Farbe, neues Design. Sie werden keinen Tennisprofi finden, der nach jedem Turnier sein Schlägermodell tauscht. Das ist doch nicht leistungsfördernd.

"Deutschland kommt mindestens ins Halbfinale"

Glauben Sie an den WM-Titel der deutschen Elf?

(Überlegt) Unsere Nationalmannschaft hat in den letzten Jahren einen guten Fußball gespielt, sie hat ohne Zweifel Qualität, aber sie konnte in der Vergangenheit in den entscheidenden Partien ihr Spiel nicht durchsetzen.

Was bedeutet?

Dass uns die Spiel-Philosophie von Joachim Löw zwar schönen Fußball beschert hat, aber noch keine Titel. Da gibt es jetzt schon einen gewissen Erwartungsdruck.

Wer sind Ihre Favoriten?

Brasilien, Deutschland, Spanien, Italien. Wenn es Brasilien nicht schafft, wird ein europäisches Team Weltmeister. Unser Team kommt mindestens ins Halbfinale.

Anderes Thema: Thomas Hitzlsperger. Hat Sie sein Bekenntnis zur Homosexualität überrascht?

Ja, ich hatte keine Ahnung. Ich habe mich in Wolfsburg immer gefragt, was mit ihm los ist. Er hat super trainiert, im Spiel aber nie diese Leistung gebracht. Er hätte sich mir anvertrauen sollen und können. Das hätte mit Sicherheit eine gewisse Last von ihm genommen und seiner Leistung gutgetan.

Diskutiert wurde zuletzt auch über die deutschen Schiedsrichter.

Was mich nicht wundert.

Weshalb?

Weil die Regeln von zu vielen Menschen definiert werden, die selbst nicht Fußball gespielt haben. Sie geben vor, die Schiedsrichter schützen zu wollen, machen aber genau das Gegenteil. Nehmen Sie doch nur mal das Durcheinander mit dem passiven Abseits oder die völlig verquere Auslegung beim Handspiel. Unnatürliche Handbewegung! Wenn ein Spieler hochspringt, nimmt er nun mal die Arme auch mit hoch.

Was ist zu tun?

Man sollte, bevor man sich auf eine neue Regelauslegung verständigt, mehr mit Spielern und Trainern reden.