Lehrt Liedgesang an der Musikhochschule in Nürnberg und will 300 Hugo-Wolf-Lieder neu auf die Bühne bringen: Marcelo AmaralFoto: Nancy Horowitz Foto:  

Hugo Wolf (1860–1903) zählt zu den wichtigsten Liedkomponisten des späten 19. Jahrhunderts. Die Inter­nationale Hugo-Wolf-Akademie in Stuttgart wagt nun ein von Marcelo Amaral initiiertes Mammutprojekt – die Aufführung aller bekannten fast 300 Lieder.

Stuttgart -

Herr Amaral, als Liedprofessor, Liedbegleiter und stellvertretender Vorsitzender des künstlerischen Beirats der Hugo-Wolf-Akademie kennen Sie sich ja bestens aus mit dem Schaffen von Hugo Wolf. Von wie vielen Wolf-Liedern gehen Sie denn aus?
Man kann von ungefähr 300 Liedern ausgehen, von denen wir wohl so um die 260 vortragen wollen. Die Differenz ergibt sich zum einen aus Fragmenten, die zwar publiziert, aber noch nie gespielt wurden, da sie ja nicht vollständig sind. Und sie ergibt sich aus Jugendwerken, die Wolf schon mit 15 oder 16 Jahren geschrieben hat, die aber noch eher als Versuche zu werten sind. Da ist eine persönliche Prägung noch nicht erkennbar, auch wenn hier schon einiges von Wolfs besonderem Können anklingt. Weitgehend unbekannt sind 50 inzwischen edierte Lieder aus seinem Nachlass.
„Der ganze Hugo Wolf“: Ist das ein ganz neues Vorhaben?
In dieser Form schon. Das Publikum liebt und schätzt das „Italienische“ und das „Spanische Liederbuch“ von Wolf, es mag seine Mörike-, Goethe- und Eichendorff-Vertonungen, weniger bekannt sind schon die Keller-Lieder sowie seine Rückert-, Scheffel- oder Reinick-Vertonungen. Natürlich haben auch Elisabeth Schwarzkopf oder Dietrich Fischer-Dieskau kaum bekannte Lieder von Wolf in ihrem Repertoire gepflegt und aufgenommen, aber nicht mit diesem Anspruch auf Vollständigkeit.
In Stuttgart hat das Stuttgarter Kammerorchester unter der Leitung von Dennis Russell Davies alle Haydn-Sinfonien eingespielt und veröffentlicht, Helmuth Rilling hat alle Bach-Kantaten publiziert. Wird es auch diesen „ganzen Hugo Wolf“ auf CD geben?
Mal sehen, so etwas hängt von vielen Faktoren ab, über die noch nicht endgültig entschieden ist. Das wäre natürlich ganz toll, wenn wir dies fortsetzen könnten. Auf jeden Fall werden wir alle Konzerte aufzeichnen.
Über welchen Zeitraum reden wir?
Ein Konzertabend soll ungefähr eine Stunde dauern, da können etwa 20 bis 23 Lieder vorgetragen werden. Natürlich auch manchmal weniger, Wolf hat ja auch viele längere Lieder komponiert. Das dürften dann voraussichtlich gut ein Dutzend Liederabende werden, die in einem Zeitraum von fünf bis sechs Jahren stattfinden.
Und wie werden Sie diese Abende inhaltlich gestalten?
Als Hugo-Wolf-Akademie haben wir einen dramaturgischen Anspruch, es wird also keine Konzerte geben, in denen wir ausschließlich das eine oder andere Liederbuch vorstellen. Wir wollen Lieder verschiedener Zeiten von Texten verschiedener Dichter unter thematischen Überschriften zusammenführen. Im ersten Konzert am 12. März etwa erklingen Goethe-, Mörike- und Eichendorff-Lieder, aber auch ein weniger bekanntes von Keller. Und am 13. März folgt auf bekannte Lieder auch ein unbekanntes aus dem Nachlass auf einen Heinrich-Heine-Text.
Und wer wird da alles singen?
Das Tolle ist, dass es sehr viele Anfragen gibt. Für uns ist das eine gute Gelegenheit, viele unserer Preisträger aus den früheren Akademie-Liedwettbewerben vorzustellen und andere, die uns gewogen sind. Die Anforderung, auch mal etwas weniger Bekanntes von Wolf vorzutragen, ist ein großer Ansporn. Da ist noch nicht alles durchgeplant, denn die Künstler haben ja auch andere Verpflichtungen. Und wir wollen schon, dass sie speziell zu diesen Konzerten optimal vorbereitet sind.
Und wie sieht es mit den Liedbegleitern am Flügel aus?
Ob ich alles bewältigen kann, weiß ich noch nicht, aber ich hänge mit viel Herzblut an dieser großen Herausforderung, all diese Lieder selbst zu begleiten. Das ist eine große Aufgabe, da bin ich privilegiert, dass ich da herangehen kann. Aber es ist auch eine große Verantwortung, ich muss ja auch dafür geradestehen. Eine Sache der Eitelkeit ist das jedenfalls nicht für mich, es ist eher die ganz große Begeisterung für Hugo Wolf.
Wird denn auch das Publikum diese Begeisterung teilen?
Unsere Konzerte zu den Liedwettbewerben sind immer ausverkauft, das hat man selten. Das Stuttgarter Publikum ist ganz besonders: Liedkunst erlebt es hier auf allerhöchstem Niveau und in enormer Vielfalt, das belohnt es mit sehr viel Treue, Neugier und Unterstützung der Liedkunst.
Befürchten Sie nicht, dass Liederabende eine aussterbende Kunstgattung sind?
Davor ist mir nicht bange. Wenn Künstler mit all ihrem Engagement und ihrer Herzlichkeit zu ihrem Konzertabend stehen, erlebt das Publikum immer etwas Besonderes. Und das nimmt das Publikum mit all der damit verbundenen Euphorie auch auf. Sicher, die Zeit heute ist anders als zu Zeiten von Fischer-Dieskau oder Schwarzkopf, aber es gibt nach wie vor viele großartige neue Interpreten, die nachkommen. Das sehen wir auch in unseren Wettbewerbskonzerten in der Musikhochschule. Deshalb finden die ersten beiden Konzerte auch auf jeden Fall dort im Kammermusiksaal statt.

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