Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger über Lobbyisten in Brüssel, die Privatisierung der Energieversorgung und den Bubenkopf der AfD. Foto: dpa

Die Freien Wähler erhoffen sich bei der Europawahl im Mai einen Anteil von zwei bis drei Prozent. Für ihren Vorsitzenden Aiwanger steht das Thema Regionalisierung im Vordergrund.

Die Freien Wähler erhoffen sich bei der Europawahl im Mai einen Anteil von zwei bis drei Prozent. Für ihren Vorsitzenden Aiwanger steht das Thema Regionalisierung im Vordergrund.
 
Stuttgart - Herr Aiwanger, noch scheinen sich die Freien Wähler nicht so richtig im Europa-Wahlkampf zu befinden. Womit wollen sie bis zum 25. Mai bei den Wählern punkten?
Wir stehen für ein Europa der Bürger und Regionen, nicht für ein Europa der Lobbyisten. Angesichts von vielen Kommunalwahlen am gleichen Tag der Europawahlen kann man die thematischen Zusammenhänge zwischen Europa und unseren Städten und Gemeinden gut darstellen. Wir sind da richtig positioniert, etwa mit unserem klaren Nein zur Privatisierung der Trinkwasserversorgung und unserer Forderung nach Stärkung des ländlichen Raums.
Sind das Europa-Themen?
Das sind kommunale Themen, die aber auf europäischer Ebene eingefädelt werden. Unser Wahlslogans zur Europawahl heißt „Europa bist Du – misch Dich ein“. Wir wollen mit unserer kommunalpolitischen Erfahrung darauf hinwirken, dass in Europa die Anliegen der Bürger und Regionen wieder mehr gehört werden. Auch zur Euro-Krise haben wir klare Vorstellungen: Krisenländer wie Griechenland kommen mit einem „Weiter so!“ nicht aus der Schuldenfalle, aber auch radikale Forderungen anderer Parteien wie der Austritt Deutschlands aus dem Euro oder der Ausschluss Griechenlands sind nicht zielführend und politisch nicht realisierbar. Wir machen hier wie namhafte Fachleute den Vorschlag, Griechenland soll zwar den Euro behalten – den wir ihnen aufgrund der Vertragslage ohnehin nicht nehmen können –, sie sollen aber zusätzlich zum Euro die Drachme als Parallelwährung wieder einführen, um den Wechselkursmechanismus wieder in Gang zu setzen und damit selbst einen Beitrag leisten zu können, wenigstens einen Teil der Schulden wieder zurückzubezahlen.
Warum kann man den Freien Wählernkein zentrales Thema zuordnen?
Wir sind keine Einthemenpartei oder Protestpartei mit Unterhaltungswert für die Talkshows, sondern wir müssen auf alle politischen Fragen eine vernünftige Antwort haben. Ein zentrales Thema der Freien Wähler ist die Regionalität. Das trifft einen Nerv auch in der Europa-Debatte. Es geht uns um eine starke Unabhängigkeit vor Ort bei den Themen, die wir ohne Brüssel besser entscheiden können. Wir sind gegen EU-Kommissare, die unsere Trinkwasserversorgung privatisieren wollen, wir wollen keine EU, die bei uns die Gentechnik einführt, über Glühlampen bestimmt oder Dorfmetzgereien ruiniert. Brüssel soll sich um die großen Themen kümmern und die Bürger vor Ort ansonsten in Ruhe lassen. Und was den Streit um neue Stromtrassen betrifft, wo die Energielobbyisten aus Brüssel auch kräftig mitmischen: Wenn man eine dezentrale Energiewende mit Wertschöpfung vor Ort zulässt, sind neue milliardenschwere Leitungstrassen kaum nötig.
Sind Sie ein Europa-Kritiker?
Die Frage ist doch: Was versteht man unter Europa? Wir sehen Europa als einen Kontinent mit rund 800 Millionen Menschen – ich zähle Russland dazu. Und dieser Kontinent muss gemeinsam gesehen und im Sinne der Menschen und nicht nur von Konzernen regiert werden. Viele Menschen verbinden mit dem Wort „Europa“ aber mittlerweile leider die bürokratische Brüsseler Machtzentrale und nicht mehr den Traum von einem Europa der Bürger und der Freiheit. Das muss wieder anders werden! Wir wollen den Menschen ihr Europa wieder zurückgeben und kritisieren deshalb Fehlentwicklungen, die von Lobbyisten herrühren.
Und die wären?
Seit 20 Jahren werden die Finanzströme in die falsche Richtung gelenkt, zum Beispiel bei der Privatisierung der Energieversorgung. Wo früher der Staat verdiente, machen heute große, häufig ausländische Investoren den Reibach. Die Stromkunden werden geschröpft, und das Geld fehlt am Ende im System, etwa für Lehrer, Krankenschwestern und zur Straßensanierung. Das müssen wir korrigieren. Es muss darum gehen, Wertschöpfung vor Ort zu betreiben. Die bäuerliche Landwirtschaft, kleine Lebensmittelhändler, Molkereien, Metzger oder Bäcker werden von großen Handelsketten immer mehr an die Wand gespielt. Das ist schädlich.
Warum tun Sie sich im Gegensatz zur AfD so schwer, Aufmerksamkeit zu erlangen?
Die AfD hat einige Geldhäuser und Geldgeber im Hintergrund, damit mehr Finanzen und kann mehr Plakate aufhängen. Die Parteigründung fand nach einer politischen Marktanalyse rund um das Thema Euro statt – wie die Platzierung einer Shampoomarke. Ich will niemandem persönlich zu nahe treten – aber der AfD-Sprecher ist ein Werbegesicht wie der Bubenkopf auf der Kinderzwiebacktüte. Wir dagegen finanzieren uns selber und haben eine jahrzehntelange kommunale politische Tradition, die kein so schrilles Marketing verträgt. Bei uns sind Handwerksmeister, Landwirte, Beamte, Hausfrauen zu Hause, vernünftige Leute, keine politischen Radikalinskis.
Was soll die EU denn anders machen?
Die EU soll die Dinge machen, die die Region nicht kann. Außenpolitik zum Beispiel.
Mit welchen Kräften wollen Sie im Europaparlament kooperieren?
Wir sind bereits in Zusammenarbeit mit der EDP, der Europäischen Demokratischen Partei, eine liberale Gruppierung, die sich wie wir für starke Kommunen einsetzt.
Mit wie viel Abgeordneten rechnen Sie?
Wir hatten 1,7 Prozent vor fünf Jahren, ich rechne jetzt mit mehr, da die Fünfprozenthürde bei der Europawahl weggefallen ist und niemand fürchten muss, seine Stimme zu verschenken, wenn er die Freien Wähler wählt.