Warum gibt es noch keine schwäbische Weltfirma? Experten machen hiesigen Tüftlern Mut.

Stuttgart - Es geht um Aufbruchstimmung an diesem Abend, um Wachstum, Chancen, Wandel - es geht um IT und das Internet. August-Wilhelm Scheer, Präsident des High-Tech-Branchenverbandes Bitkom, skizziert auf Einladung der Stuttgarter IHK die Trends der Branche. Leute wie Scheer - mit seinen 69 Jahren nach Internet-Maßstäben ein Methusalem der IT-Zeit - sind gefragt wie noch nie. Vor ein paar Tagen hat der Professor vor dem Landeskabinett doziert - Datensicherheit und Wachstumstechnologien sind auch Wahlkampfthemen.

Scheer preist das Cloud Computing. Dabei werden IT-Leistungen in Echtzeit über Datennetze, eine Art Computer-Wolke, genutzt statt auf lokalen Rechnern. Das ist für die Firmen oft effizienter, billiger, aber auch heikler beim Datenschutz - schließlich werden die Informationen nicht nur auf den eigenen Rechnern verarbeitet. Cloud Computing sei derzeit für 62 Prozent der Firmen in der Informations- und Telekommunikationstechnologie der Trend des Jahres. Der Umsatz könnte in Deutschland von 1,9 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 8,2 Milliarden Euro im Jahr 2015 steigen, so eine Studie der Experton Group. Das wären dann zehn Prozent der gesamten IT-Ausgaben. "Das wird auch das Verhältnis zwischen Anbietern und Nutzern ändern", sagt Scheer.

Womit er beim Crowd Computing ist, dem zweiten großen Trend. Das ist eine Organisationsform, die mit dem gemeinsamen Wissen vieler Computernutzer arbeitet, ein Projekt des Web 2.0: viele Ideen, kurze Wege, flache Hierarchien, kein Meinungsmonopol. "Wenn Großunternehmen nicht innovationsfähig sind, gehen sie kaputt", sagt Scheer. "Viele fördern das Gleiche, das ist Inzucht." Anders sei es bei Cisco: Weltweit lobe der US-Branchenriese einen Wettbewerb aus - und erhalte Tausende Ideen. Die Erstauflage im Jahr 2008 gewann ein Team um die Karlsruher Studentin Anna Gossen.

Es gibt sie also, die Talente. Die Region punktet vor allem in der Grundlagen- und Anwenderforschung. Nicht ganz so überzeugend ist die Zahl der Firmengründungen, die daraus entstehen. Danach hapert es. Scheer: "Wir haben kein einziges deutsches Unternehmen zu Weltgeltung gebracht."

Das nächste Silicon Valley könnte am Neckar entstehen

Das ist das Stichwort für die Diskussion: Warum fehlt der ganz große Coup? Die IHK hat auch Ulrich Dietz geladen. "Man muss in der Lage sein, die Trends zu nutzen", kritisiert der Chef des Stuttgarter IT-Dienstleisters GFT Technologies. "Die Softwareentwicklung findet doch in Indien statt."

Doch wie die Gründerzahlen auch hier in die Höhe treiben? Das Coaching von Unternehmen sei der Dreh-und-Angel-Punkt, meint Dietz. Man müsse Hochschulen und Unternehmen enger vernetzen. Die Forscher versprächen sich vor allem von den wissenschaftlichen Aufsätzen Renommee, sagt Scheer. "Aber ist es etwa kein Erfolg, wenn durch die Beratung Unternehmen wachsen?" Überhaupt, die Hochschulen: Da habe SAP-Mitbegründer Hasso Plattner in Karlsruhe Nachrichtentechnik studiert, doch im Sammelband der Uni bleibe er unerwähnt. "Die Vorbilder können andere zu neuen Erfolgsgeschichten motivieren", sagt Scheer. Stattdessen: zu wenig Standortwerbung, kaum Vernetzung der Absolventen, schlechtere Perspektiven. Und zu wenig Fachkräfte, um im Erfolgsfall zu wachsen. Scheer und Dietz blicken abermals nach Indien: 16.000 schließen in Deutschland pro Jahr ihr Informatik-Studium ab, in Indien sind es 150.000 mit einer vergleichbaren Qualifikation. Zurzeit seien in Deutschland 28.000 Stellen im IT-Bereich frei. Die Zuzugspolitik müsse liberaler werden, die gesetzlich geforderten Mindesgehälter sinken. Vielleicht gelinge es gar, dass einige Inder in Deutschland Unternehmen gründeten, sagt Dietz. Und Scheer: "In den USA haben die Einwanderer Silicon Valley mit groß gemacht." Dietz entgegnet: "Das können wir hier auch machen."

Doch wer? Die Zuhörer - fast alle männlich - sind dem Gründungsalter längst entwachsen. Vielleicht haben sich die Geschichten vom möglichen Erfolg noch nicht herumgesprochen.