Die Situation der Flüchtlinge in Moria hat die Marbacher Räte beschäftigt. Foto: Archiv (dpa/Petros Giannakouris)

Die Stadträte sprechen sich gegen einen Antrag der Gruppe Puls aus, zusätzliche Geflüchtete aufzunehmen.

Marbach - Insgesamt 192 Städte folgen der Initiative Seebrücke, die gegen das Sterben im Mittelmeer protestiert und sich dafür einsetzt, dass sich Kommunen zu so genannten sicheren Häfen erklären. In Baden-Württemberg sind dies Stand heute 20. Im Landkreis Ludwigsburg gehören Asperg, Bietigheim-Bissingen und die Schillerstadt dazu.

Die Stadt Bietigheim-Bissingen ist seit Juli diesen Jahres Teil der Initiative Sicherer Hafen. Mit der politischen Entscheidung habe man dem Bund signalisieren wollen, im Rahmen der Kapazitäten weitere Geflüchtete aufnehmen zu wollen, erklärt Ina Klein vom Presseamt der Stadt. Aber: „Kommunen fehlt für solche Entscheidungen die rechtliche Zuständigkeit.“ Das betont auch Liza Pflaum von der Initiative Seebrücke. Kommunen hätten derzeit noch keine Rechtsgrundlage, um eigenständig Menschen aufzunehmen. Allerdings habe ein Großteil der Kommunen beschlossen, dass sie bereit sind, über die Quote hinaus, Menschen aufzunehmen.

Marbach trat dem Bündnis auf Antrag der Gruppe Puls im Oktober 2019 bei. Allerdings konnte sich die Mehrheit der Ratsrunde vor einem Jahr nicht dazu durchringen, dem Antrag von Puls vollumfänglich zu folgen und sich auf alle Konsequenzen einzulassen, die mit der Ausrufung zum sicheren Hafen eigentlich verbunden wären – wie speziell die Bereitschaft, über die gesetzliche Quote hinaus Flüchtlinge aufzunehmen.

Am Donnerstag machte Puls einen erneuten Vorstoß – und fing sich wieder einen Korb ein. Lediglich die Grünen unterstützten den Antrag der Kollegen, wonach Marbach zusätzlich Flüchtlinge aufnehmen soll – vorausgesetzt der Bund willigt bei der Verteilung von Flüchtlingen auf die Kommunen ein, die sich zu sicheren Häfen erklärt haben. Und unter der Voraussetzung, die zusätzliche Aufnahme überfordert die Unterbringungskapazitäten der Stadt nicht, weshalb die Zahl auf maximal zehn begrenzt werden sollte.

Man habe sich gefreut, dass der Gemeinderat 2019 mit großer Mehrheit die Stadt zum „Sicheren Hafen“ erklärt habe, so Puls-Sprecher Hendrik Lüdke. Gut sei auch, dass die Verwaltung an dieser Erklärung festhalten wolle. „Leider aber werden die darüber hinausgehenden Forderungen aus dem Katalog der ‚Seebrücke’ von der Stadtverwaltung nicht unterstützt.“ Es bleibe bei der mehr symbolischen Unterstützung. Die sei nicht unwichtig, denn sie verstärke den politischen Druck, nicht weiter untätig zu bleiben. „Das ist uns aber zu wenig. Wir sollten auch die Konsequenz aus dieser Erklärung ziehen und soweit uns das möglich ist, zusätzlich Menschen in Not eine sichere Unterkunft geben“, warb Lüdke. „Das ist sozusagen ein moralischer Imperativ. Denn die Europäische Union versagt und Besserung ist nicht zu erwarten.“ So sehen es auch die Grünen. Immer nur auf die Europäische Union zu schauen, sei beinahe unmenschlich, betonte Barbara Esslinger. „Wir sind in einem reichen Land. Der Antrag ist ein gutes Symbol und Recht kann sich auch ändern.“

Eben auf die aktuelle Rechtslage verwies Ordnungsamtsleiter Andreas Seiberling – und auf damit verbundene Bedenken. „Die Kommune kann im Alleingang nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen, als der Verteilschlüssel das hergibt.“ Besagter Schlüssel werde sich mit Beginn des Jahres 2021 ändern, wie sei aber nicht abschätzbar und vieles hänge an Faktoren, die von städtischer Seite aus nicht beeinflussbar seien. „Wir können die zehn morgen aufnehmen, aber es geht nicht um morgen.“ Derzeit hat die Stadt 212 Plätze für Geflüchtete belegt, 25 Plätze sind frei.

Ein klares Nein zum Antrag kam von SPD, CDU und den Freien Wählern. Die obdachlos gewordenen Flüchtlinge in Moria gingen einem ans Herz, betonte Jürgen Schmiedel (SPD), doch Deutschland könne das Problem nicht allein lösen. Europa sei gefragt. Jeder Flüchtling, der nach Deutschland komme, habe einen sicheren Hafen. „Wir wollen, dass das solidarische Prinzip weiter besteht.“ Ähnlich argumentierte Heike Breitenbücher für die CDU. Aufgabe der Kommune sei es, den Geflüchteten eine menschenwürdige Unterkunft zu geben. Die weltpolitische und europäische Ebene könne man nicht beeinflussen. FW-Rat Dr. Michael Herzog warf den Akteuren auf europäischer Ebene Versagen vor, würdigte hingegen die Arbeit und Haltung der Bundesregierung. Die Initiative Sicherer Hafen mit dem Ziel, zusätzlich Flüchtlinge aufzunehmen, unterstütze seine Fraktion moralisch. „Wir wollen aber keinen kommunalpolitischen Alleingang.“ Außerdem warnte er davor, zu sehr rein moralisch zu argumentieren. „Dafür ist das Problem zu sensibel und auch zu komplex.“ Argumentiere man alleine zu moralisch, wie in 2015 zu oft geschehen, laufe man Gefahr, dass die Gesellschaft sich weiter spalte beziehungsweise radikalisiere, warnte Herzog.