Die Zahl der Internet-Cafés geht in Stuttgart immer weiter zurück Foto: Piechowski

In Zeiten von Smartphones und mobilem Netzzugang wirken Internet-Cafés fast wie aus der Zeit gefallen. In Stuttgart kämpfen die wenigen gebliebenen Läden immer härter ums Überleben.

Stuttgart - Es erinnert etwas an Kannibalismus. Im Internet-Café von Sayed Islam hängt ein Plakat, das Werbung für jene Konkurrenz macht, die sein Geschäftsmodell mit jedem Monat ein wenig mehr auffrisst: „Festnetz und mobil in 10 Länder für 19,99 Euro“, steht auf dem Hochglanzpapier geschrieben. Und: „Spartarif. All-inclusive“. Die SIM-Karten für das Handy bekommen Kunden kostenlos hinterhergeworfen, sie rubbeln für 4,99 Euro einen Code frei, mit dem sie in 49 Länder weltweit telefonieren können, 100 Minuten inklusive. Das Ferngespräch ist kein Luxus mehr, sondern eine Allerweltsware, erschwinglich für viele.

Anny Singh zum Beispiel, der schiebt sich an der kleinen Theke neben dem Eingang vorbei. Der junge Italiener zieht einen zu häufig gepackten, abgenutzten Rollkoffer hinter sich her und betritt eine der Kabinen: Er nimmt den Hörer ab, blickt in den Raum und versinkt dann Wort für Wort im Gespräch. Anny telefoniert mit seiner Großmutter in Neapel. „Es geht um Familiendinge. Probleme, Probleme!“

Am Rotebühlplatz beinahe rund um die Uhr geöffnet

Das Call Shop Internet-Café in der Unterführung vom Rotebühlplatz hat beinahe rund um die Uhr geöffnet. Während in den vergangenen Jahren viele Internet-Cafés in der Stadt geschlossen haben, hielt sich das Geschäft in der Stadtmitte. Laut Mitinhaber Sayed Islam hat rund die Hälfte der ehemals fast ein Dutzend Shops den Betrieb in den vergangenen drei Jahren eingestellt. Doch hier, auf den eng bestuhlten 20 Quadratmetern, drehen sich an diesem irrwitzig schwülen Sommernachmittag noch immer die Ventilatoren an der Raumdecke.

Unter einem sitzt Murat Simir mit einem Freund. Auf dem Bildschirm haben sie das blaue Fenster von Skype geöffnet, sie unterhalten sich auf Arabisch mit Verwandten in Tunesien. Es geht um Privates, um das Essen, am Rande um eine Razzia der Polizei gegen mutmaßliche Terroristen. Wird Murat nach seinem Alter gefragt, schnappt er sich Stift und Papier und kritzelt darauf: 26. 9. 1993. Nur wenige Zentimeter neben ihm besetzen zwei kichernde Mädchen die Nachbarplätze und scrollen sich durch ihren Facebook-Stream. Murat fläzt sich zurück auf den lederbezogenen Bürostuhl, dreht sich ganz leicht nach links, nach rechts, wieder nach links, sein Blick haftet auf dem Schirm. Er hat Zeit, ihm geht´s gut.

Weniger Gelassenheit hat Geschäftsführer Sayed, wenn er über seine eigene Branche im Allgemeinen und diesen Laden im Speziellen spricht. „Das Telefon ist tot“, sagt er mit so ernster Miene, als habe es einen Todesfall in der Verwandtschaft gegeben. Wenn etwas noch Geld einbringe, dann der Verkauf von Prepaid-Karten von Lebara, Ortel Mobile, Mobi, Lyca Mobile und wie sie alle heißen, sagt der Inhaber.

Mehr als jeder zweite Deutsche hat ein Smartphone

Den Niedergang beschleunigt die rasant steigende Verbreitung von Smartphones in der Bundesrepublik: Laut Zahlen des Internet-Portals Statista besaßen im Jahr 2010 erst 8,4 Millionen Deutsche ein Smartphone, im Frühjahr dieses Jahres sind es mehr als 45,6 Millionen – mehr als jeder zweite Deutsche.

Dass es nicht rund läuft in der Branche der Internet-Cafés, lässt sich auch am Marktplatz in Stuttgart-Vaihingen besichtigen: Das Iranet Call-Shop Web-Café ist erst vor vier Wochen hier eingezogen. An den Wänden hängen Bilderrahmen ohne Inhalt, an denen noch die Preisschilder kleben.Mohammed Nosrati sitzt müde blickend hinter der Kasse. „Den größten Umsatz machen wir mittlerweile mit Geldtransfers ins Ausland“, sagt Mohammed. Die Plätze vor den Rechnern sind unbesetzt, und der leere Raum lässt Raum für Gedanken: Gehören Internet-Cafés so wie Videotheken bald der Vergangenheit an?

Mohammed Nosrati jedenfalls überlegt, einige Telefonkabinen zurückzubauen. Vier Kabinen, vier Hörer, das müsste reichen, meint er. Eine ältere Dame schlappt mit einem Jutebeutel über der Schulter in den Laden. Mohammed grüßt, die Frau schlurft über die weißen Fliesen in eine Telefonkabine. Sie rufe von ihr aus immer ihren Bruder an, sagt die Serbin nach dem kurzen Telefonat. Sie verabschiedet sich, die Plätze sind allesamt unbesetzt.

Ob es neue Geschäftsmodelle gibt, die ihn aus der Misere retten könnten? Mohammed schüttelt mit dem Kopf. Hinter ihm führte vor dem Einzug eine Treppe in den ersten Stock. Früher kam auf den beiden Etagen ein Gemüsehändler unter. Nosrati hat sich dazu entschlossen, den Aufgang zuzubetonieren. Zwei Etagen, die wären für das darbende Geschäft nun wirklich zu viel Platz gewesen.