Bildhafte indische Poesie ist ein zentrales Element in "Udaan"... Foto: promo

Indien ganz nah: Am Mittwoch beginnt im SI-Centrum das indische Filmfestival Bollywood & Beyond.

Weit weg erscheint von Stuttgart aus das Mysterium Indien mit seinen Traditionen und Riten - aber nicht mehr ganz so weit, seitdem das Filmfestival Bollywood & Beyond Einblick gibt in indische Mentalitäten und Lebenswelten.

Bildhafte indische Poesie ist ein zentrales Element in "Udaan", dem Drama übers Erwachsenwerden, das beim Filmfestival in Cannes Standing Ovations bekam und nun zur Eröffnung in Stuttgart gezeigt wird. Am Anfang steht ein Lausbubenstreich: Mit drei Freunden schleicht sich Rohan nachts aus dem Internat, um in der Stadt heimlich ins Kino zu gehen - wo sie der Aufseher der Schule entdeckt und beim Rektor verpfeift.

Das Quartett hat bereits einiges ausgefressen und wird der Schule verwiesen. Rohan muss zurück zu seinem autoritären Vater, den er acht Jahre nicht gesehen hat, der keinerlei Verständnis für den Wunsch aufbringt, Schriftsteller zu werden, der den Sohn vormittags in die Fabrik schickt und nachmittags auf die Ingenieursschule.

"Gandu", ein Film über einen Außenseiter

Regisseur Vikramaditya Motwane zeigt eine Initiation, das schmerzhafte Selbstständigwerden eines knapp 18-Jährigen, der einerseits lernen muss, für sich selbst einzustehen, und andererseits, für einen fünfjährigen Halbbruder aus zweiter Ehe Verantwortung zu übernehmen, von dessen Existenz er keine Ahnung hatte.

Wie kleine Inseln in stürmischer See wirken Rohans wunderbare Gedichte und Geschichten, die die Zuschauer im Kino genauso faszinieren wie die Zuhörer im Film - Rohans Vater ausgenommen. Viel indisches Lokalkolorit ist zu sehen in der aus europäischer Sicht vorsintflutlich anmutenden Fabrik, auf den Wiesen hinter dem Industriegebiet, auf die Rohan sich zum Schreiben zurückzieht.

Im krassen Gegensatz dazu steht "Gandu", ein Film über einen Außenseiter in Kalkutta, der sich Drogen und Pornografie hingibt, während er von einer Karriere als Rap-Star träumt. Regisseur Kaushik Mukherjee, Jahrgang 1973, zeigt in seinem Film das Indien nach der Globalisierung, in dem die Abgründe des Westens angekommen sind - genau wie die Einflüsse westlicher Filmästhetik, die hier deutlich zutage treten: Mukherjee hat überwiegend in Schwarz-Weiß gedreht, arbeitet mit geteilter Leinwand, Hip-Hop-Musikeinlagen und Sexszenen, die im indischen Kino bis vor kurzem undenkbar waren.

"Sound of Heaven" zeigt magisches Indien

 "Sound of Heaven" zeigt magisches Indien

Zurück in eine Zeit, in der Indien noch durch und durch magisch war, reist Ravi Jadhav in seinem Drama "Sound of Heaven - The Story of Bal Gandharva". Anfang des 20. Jahrhunderts durften Frauen in Indien noch nicht im Theater auftreten, weshalb alle weiblichen Rollen von Männern gespielt wurden.

Narayan Rajhans, bekannt als Bal Gandharva ("himmlischer kleiner Sänger"), war einer der berühmtesten dieser Frauendarsteller, dessen Leben der Film beschreibt: Die Begeisterung des Publikums für die Kunstfigur und die Probleme im realen Leben, etwa wenn seine Frau irrtümlich annimmt, sein neuer, für die Bühne bestimmter Nasenschmuck sei für sie. Dann wird die erste Frau ins Theaterensemble zugelassen und Rajhans Tage als Star sind gezählt.

Der Film bietet schöne Kostüme und historische Theaterkulissen auf, die Männer tragen Turban, die Frauen Saris und üppigen Schmuck. Er zeigt auch viele Ausschnitte aus einer sehr anderen Theateraufführungspraxis, die so exotisch wirkt wie die Figuren. Das melodramatische Ende inszeniert Jadhav als wehmütigen Abschied von einem sehr indischen Phänomen, das Europäern sehr fremd und sehr weit weg erscheinen muss.

Gesprächsrunde gehört auch zum Festival

Unter den Gästen vom Subkontinent, die Stuttgart in diesem Jahr besuchen, sind mehrere Prominente - ob der Jungstar Siddarth kommt, der vor allem weibliche Fans in aller Welt umtreibt, ist allerdings nach wie vor nicht ganz sicher. Auf jeden Fall anwesend sein wird der britisch-kanadische Regisseur Roger Spottiswoode, der unter anderem den James-Bond-Film "Der Morgen stirbt nie" (1997) gedreht hat. Er sitzt in der Spielfilmjury, die den German Star of India vergibt, denn er plant ein indisches Projekt - bei dem der oben erwähnte Siddarth in einer Hauptrolle zu sehen sein könnte.

Bei den vier "Tea Talks" im Rahmenprogramm werden aktuelle Themen besprochen: Wie Bollywood seit Mitte der 1990er Jahre Europa und die USA erobert hat, wie es um den Klimaschutz in Indien bestellt ist, wie sich die riesigen Metropolen entwickeln und wie der Subkontinent mit der Vielsprachigkeit umgeht - neben Hindi und Englisch gibt über 100 weitere Sprachen.

Bollywood & Beyond ist auch ein Festival der Völkerverständigung, die Städtepartnerschaft Stuttgarts mit der Filmmetropole Mumbai spielte bei der Gründung eine Rolle, Schulklassen besuchen die Filmprogramme, am SI-Centrum werden wie gewohnt kulinarische Spezialitäten serviert. Und nach vier Festivaltagen erscheint den Besuchern das Mysterium Indien plötzlich ganz nah.

Das indische Filmfestival Bollywood & Beyond findet vom 20. bis zum 24. Juli vor und im Palladium-Theater im SI-Centrum in Stuttgart-Möhringen statt. Mehr Infos unter www.bollywood-festival.de.

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