Auf der Insel North Sentinel werden Fremde mit Pfeilen bedroht. Foto: SURVIVAL INTERNATIONAL

Die Bergung der Leiche eines von Eingeborenen getöteten US-Missionars auf der Insel North Sentinel im Indischen Ozean ist äußerst schwierig. Ein Polizeiboot musste wieder abdrehen – in einer bedrohlichen Lage.

Neu-Delhi - Der Leichnam des von Ureinwohnern der Insel North Sentinel getöteten US-amerikanischen Missionars John Chau konnte immer noch nicht geborgen werden. Am Wochenende war ein indisches Polizeiboot zur Insel gefahren, um die sterblichen Überreste Chaus zu bergen. Just an jener Stelle, wo er vor zehn Tagen getötet und im Sand verscharrt worden sein soll.

Laut indischen Medien musste das Boot aber 400 Meter vor dem Strand abdrehen angesichts einer mit Pfeil und Bogen bewaffneten Menge von Sentinelesen, die die Ankömmlinge aufmerksam beobachteten.

„Hätten wir uns weiter genähert, wären wir angegriffen worden“, berichtete der Polizeioffizier Dependra Pathak. Der Fall sei für ihn das Bewegendste, was er jemals erlebt habe: „Wir versuchen, in eine andere Welt einzutreten.“

Äußerst aggressiv gegenüber Fremden

Die indischen Behörden suchen nach der Tötung des 26 Jahre alten US-Amerikaners auf der Insel im Indischen Ozean nun den Rat von Anthropologen für ihr weiteres Vorgehen und studieren einen ähnlichen Tötungsfall aus dem Jahr 2006. Damals waren zwei Fischer – ebenso wie Chau – von dem indigenen Stamm der Sentinelesen mit Pfeilen getötet worden. Ihre Leichname wurden, offenbar zur Abschreckung, an Bambusstäbe gebunden.

Die Sentinelesen sind eine kleine Gruppe von heute nur noch 50 bis 150 Menschen, die vor 50 000 Jahren aus Afrika einwanderten und seit vielen Jahrtausenden isoliert und ohne Kontakt zur Außenwelt auf dem zu den Andamanen-Inselgruppe zählenden Eiland leben, das in etwa so groß ist wie Manhattan. Auf der mit Regenwald bedeckten Insel leben sie als Sammler und Jäger, Fremden begegnen sie äußerst aggressiv. Neben der Tötung der beiden Fischer und Chaus gab es bereits 1972 einen Vorfall, als einem anreisenden Dokumentarfilmer von Sentinelesen ein Pfeil ins Bein geschossen wurde.

Ein erster Pfeil blieb in seiner Bibel stecken

Auch berichtet Chau in seinem Tagebuch, dass er bei einem ersten Landungsversuch beschossen worden und ein Pfeil in seiner Bibel stecken geblieben sei. Chau hatte dies als Fingerzeig Gottes gesehen, der ihn zum Weitermachen ermutigte. An einer Stelle seines Tagebuchs fragt er: „Ist dies die letzte Bastion des Satans? Warum sind die Menschen so abwehrend und feindselig zu mir?“ Mehrfach beschreibt Chau seine Ängste und Zweifel und betont: „Ich will nicht sterben. Wer sollte meinen Platz einnehmen?“ Aufschlussreich und offenbar auch wichtig für seine Eltern, die den Tätern verziehen haben, ist jedoch ein ganz anderer Tagebucheintrag: „Sollte ich getötet werden, seid bitte nicht böse mit den Sentinelesen oder mit Gott.“

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen hält eine Strafverfolgung der Sentinelesen für „nicht realistisch“. Es könne nicht ermittelt werden, wer den Missionar getötet habe, „wenn man nicht das Überleben der gesamten Gruppe gefährden will“, etwa durch eingeschleppte Krankheitskeime. Diese indigene Gruppe habe kein Unrechtsbewusstsein, sie kenne die indischen Gesetze nicht und habe sich verteidigen wollen, sagte GfbV-Direktor Ulrich Delius unserer Zeitung. „Wir gehen nicht davon aus, dass Ermittlungen vorgenommen werden.“

Bisher sei das Vorgehen der indischen Behörden „sehr sensibel“ gewesen. Er hoffe, dass dies auch bei weiteren Bergungsversuchen so bleiben werde. Die Bergung der Leiche Chaus könne beispielsweise nachts erfolgen.