Das Beethoven-Denkmal in Bonn Foto: dpa/tmn

Der Hype um Kulturgedenkjahre wird immer größer – und beginnt noch früher als zuvor. Beethovens 250. Geburtstag ist zwar erst am 17. Dezember 2020. Aber keiner will mit dem Feiern zu spät anfangen. Eine Polemik.

Stuttgart - Er hat einfach Pech gehabt – Theodor Fontane, am 30. Dezember 1819 von der Apothekersgattin Emilie Fontane, geborene Labry, zur Welt gebracht, an diesem Montag vor genau 200 Jahren. Wobei, an sich hat Fontane in seinem Leben natürlich viel Glück gehabt, hat ein grandioses Werk an Romanen, Gedichten, Artikeln verfasst und so ein nicht ganz unbedeutendes Stück deutscher Literaturgeschichte geschrieben. Noch heute, zwei Jahrhunderte später, wird er von vielen so gern gelesen, dass es vollkommen angemessen war, das Jahr 2019 zum Fontane-Jahr zu erklären.

 

Pech allerdings, dass sein eigentlicher 200. Geburtstag eben erst an diesem Montag, knapp vor Silvester, zu feiern wäre. Da haben wir alle im Laufe von Winter, Frühling, Sommer und Herbst schon so viel über Fontane rauf und runter gehört, gesehen, bedacht, diskutiert und gelesen, dass nun keiner mehr so recht Lust hat zum Gratulieren. Es ist schon verrückt: Weil alle Instanzen, natürlich auch wir Medien, inzwischen furchtbar Angst haben, die großen Jubiläen zu spät zu feiern, rufen wir sie immer früher aus. Das Fontane-Jahr begann darum am 1. Januar 2019. Damit ist er jetzt schon wieder abgehakt. Einige sind natürlich unermüdlich beim Würdigen. Die Kulturwelle SWR 2 beispielsweise versuchte es kurz vor Weihnachten noch mal mit einem Forum unter dem Motto: „Klassiker des Realismus – Was macht Theodor Fontane so modern?“ Aber offen gestanden, alles, was da gesagt wurde, hatten wir zuvor längst schon zur Kenntnis genommen.

Wer wagt noch einen „Fidelio“?

So schön es ist, dass auch populäre Medien große Gestalten der Kulturgeschichte mit Titelstorys bedenken, die Jubilare selbst kommen dabei schnell unter die Räder. So könnte es 2020 selbst Ludwig van Beethoven passieren. Keine Frage, dass der 250. Geburtstag des weltberühmten deutschen Komponisten nicht nur in aller Welt, sondern auch in Deutschland gebührend gefeiert wird. Der Haken an der Geschichte: Die Musiklehrersgattin Maria Magdalena Leym aus Bonn brachte den kleinen Ludwig erst im Dezember 1770 zur Welt und ließ ihn am 17. des Monats taufen; Stichtag wird also eigentlich erst am 17. Dezember 2020 sein. Das nationale Festkomitee fand es aber nötig, das Beethoven-Jubeljahr bereits ein ganzes Jahr früher, nämlich am 17. Dezember 2019, einzuläuten. Eigentlich ist alles Nötige schon längst wieder gesagt.

Nun hat der Meister so viel großartige Musik komponiert, dass man damit mühelos noch viele Konzertabende bestreiten kann. Trotzdem prophezeien wir: Spätestens Ende September wird uns der B. aus den Ohren herauskommen. Und jenes Opernhaus, das sich noch im November 2020 traut, eine weitere „Fidelio“-Premiere anzusetzen, muss mit Hohn, Spott und Missachtung rechnen.

Luther als warnendes Beispiel

Wir gedenken uns die Gedenktage zu Tode, wir jubeln uns die Jubilare in das andere Extrem, in die Missachtung und das große Achselzucken. Dabei hätte uns schon das Jahr 2017 eigentlich eine Lehre sein müssen – 500. Jahrestag des Beginns der Luther-Reformation! Welch ein Kulturereignis von globaler Ausstrahlung! Die evangelische Kirche war sich so sicher, mit dieser Nummer zwölf Monate lang das ganze Land bespielen und rocken zu können, dass sie das Reformationsjahr bereits am 31. Oktober 2016 startete. Der Effekt: das historische Großereignis versank nach wenigen Wochen in einer Flut von Reden, Ausstellungen, Theaterprojekten, Predigten, Klanginstallationen und Leitartikeln ins Nirwana des allgemeinen Achselzuckens. Die Festwiesen blieben gähnend leer. Gut, dass die Reformation frühestens 2117 wieder auf dem Programm steht.

Wer bis hierher gelesen hat, wird nun natürlich denken: Ja, aber Ihr macht es ja in Eurer Zeitung gerade ganz genau so! Und wir gestehen: Ja, stimmt, auch bei uns war der Neuruppiner Dichter vor einem Jahr ebenso früh im Blatt wie jetzt der Bonner Komponist. Aber wir versprechen: Es wird auch am 17. Dezember 2020 einen interessanten Artikel über Ludwig van Beethoven zu lesen geben. Termingerecht. Mit Geburtstagsschleife.