Eindrucksvolle Wandlung, physisch wie mental: Peter Kurth als alternder Boxer, den eine Krankheit dazu zwingt, das Leben neu zu denken. Foto: Wild Bunch/Central

Der Ludwigsburger Filmakademie-Absolvent und Studenten-Oscar-Gewinner Thomas Stuber zeigt in seinem Langfilmdebüt „Herbert“ am Beispiel eines alternden Boxers, wie die Muskelkrankheit ALS den stärksten Mann umhaut.

Leipzig - Der frühere Boxer Herbert ist nicht zimperlich, wenn er für zwielichtige Gauner Geld eintreibt – und oft reicht schon seine Erscheinung, um „Kundschaft“ gefügig zu machen. Mit breitem Kreuz, muskulösen Oberarmen, Tätowierungen und Narben sieht er aus wie einer, der früher ein Champion war. Peter Kurth, der sich den athletischen Körper eigens für den Film antrainiert hat, verleiht Herbert die Aura eines Mannes, der sich selbst genügt in seinem kleinen Dasein und niemanden sonst braucht.

Das ändert sich schlagartig, als ihn immer öfter Krämpfe plagen und schließlich die tückische Nervenkrankheit ALS diagnostiziert wird, die nach und nach die Muskulatur außer Gefecht setzt. Das Gehirn funktioniert unbeeinträchtigt weiter, die Erkrankten sind dazu verdammt, ihrem eigenen Verfall zuzusehen. Ein schweres Los, ganz besonders für einen, der sich sein Leben lang über seinen Körper definiert hat.

Thomas Stuber, Absolvent der Ludwigsburger Filmakademie und Träger eines Studenten-Oscars für seinen Kurzfilm „Von Hunden und Pferden“ (2011), stürzt das Raubein Herbert in ein Dilemma nach dem anderen. Das junge Box-Talent, das er aufgebaut hat, geht zu einem anderen Trainer, er braucht die Hilfe seiner Freundin, die er stets auf Abstand gehalten hat, er sucht die Versöhnung mit seiner alleinerziehenden Tochter, die er einst hat hängen lassen – und findet eine kleine Enkelin, durch deren Bekanntschaft ihm klar wird, was er alles verpasst hat im Leben.

Peter Kurth vollzieht die fundamentale Wandlung seiner Figur in feinen Nuancen und ohne große Worte

In seiner Heimatstadt Leipzig hat Stuber Boxstudios, dunkle Gassen und triste Blockwohnungen gefunden, die der Hauptfigur Verortung und wahrhaftige Grundierung geben. In drei Abschnitten hat der Filmemacher sein virtuos montiertes Langfilm-Debüt gedreht, für die sein Hauptdarsteller sich auch körperliche gewappnet hat: Auf Kraft- und Boxtraining folgte eine Diät, für den dritten Teil musste er gar fasten.

Peter Kurth (58), am Staatsschauspiel Stuttgart zu sehen in Stücken wie „Du weiß einfach nicht, was Arbeit ist“ oder ganz aktuell in „Nathan der Weise“, vollzieht die fundamentale Wandlung seiner Figur in feinen Nuancen und ohne große Worte. Dabei durchläuft er alle Gefühlszustände, die man sich dazu vorstellen kann: Mal trotzig, mal verzweifelt stemmt Herbert sich gegen sein Schicksal, und erst nach und nach kann er sich darauf einlassen, es anzunehmen. Eine grandiose Leistung.

Niemand weiß, wem einer wie Herbert seine Stimme geben würde

In „Von Hunden und Pferden“ nach einer Kurzgeschichte von Clemens Meyer („Als wir träumten“) blickte Stuber liebevoll auf skurrile Typen, Leipziger Abbruch-Charme, vorgestrige Rennbahn-Romantik. Er zeigte, wie schön das Leben trotz allem sein kann. In „Herbert“ nun – Meyer fungierte als Co-Autor – geht es um den schmalen Grat, auf dem Bürger wie Herbert und sein gesamtes Umfeld wandeln, die an der gesellschaftlichen Abbruchkante leben.

Politikern ist es lange leichtgefallen, diese kleinen Schattenexistenzen zu ignorieren – „die im Dunkeln sieht man nicht“, hat Brecht einst formuliert. Am vergangenen Sonntag nun sind ehemalige Nichtwähler zuhauf ins Licht getreten und haben das politische Gefüge des Landes erschüttert. Niemand weiß, wem einer wie Herbert seine Stimme geben würde, und es spielt auch keine Rolle. Entscheidend sind die ganz realen Nöte, von denen dieser nie explizit politische Film erzählt anhand eines fiktiven, sehr glaubhaften Beispiels, das zutiefst anrührt.