Die Menschen in Spanien sind Medizinern und Pflegern dankbar – doch es gibt auch Hassattacken. Foto: dpa/Xavi Herrero

Einerseits ist Spaniens Bevölkerung dem Gesundheitspersonal zutiefst dankbar für das, was es derzeit leistet. Andererseits liegen nach Wochen des Lockdown die Nerven blank - und die Angst vor Ansteckung wächst.

Madrid - Silvana Bonino wollte ihren Augen nicht trauen, als sie in die Garage ging, um zur Arbeit ins Krankenhaus zu fahren. Die Gynäkologin aus Barcelona fand ihren Wagen mit zerstochenen Reifen vor. Auf den weißen Lack der Fahrertür war in großen schwarzen Buchstaben „infizierte Ratte“ gesprayt.

„Zuerst war ich traurig und überrascht. Doch danach wurde ich richtig wütend“, sagte die zweifache Mutter spanischen Medien. Was Silvana Bonino passierte, ist kein Einzelfall. Je länger die Corona-Krise und die strikten Ausgangssperren dauern - ohne dass die Zahl von Infizierten und Toten sonderlich abnimmt -, desto mehr scheint die allgemeine Solidarität in Hass und Angst überzugehen, vom Gesundheitspersonal angesteckt zu werden.

Das bekam auch Jesus Monllor zu spüren. Als der Allgemeinmediziner eine Zwölf-Stunden-Schicht in seiner Klinik in Alcazar de San Juan beendet hatte und nach Hause kam, fand der er einen Zettel an seiner Tür: „Hallo Nachbar. Wir wissen um deine gute Arbeit im Krankenhaus und schätzen sie. Aber du musst auch an deine Nachbarn denken. Es gibt hier Kinder und alte Menschen. Es gibt ein Hotel, in dem sie Fachkräfte unterbringen. Solange das andauert, bitte ich dich, darüber nachzudenken.“

Ärzte und Pfleger sind besonders hohem Ansteckungsrisiko ausgesetzt

Offiziell infizierten sich in Spanien bereits mehr als 25.000 von ihnen bei der Pflege von Erkrankten in Kliniken und Altenheimen mit dem Virus. Neuste Untersuchungen gehen sogar von bis zu 70.000 aus. Anscheinend haben immer mehr Nachbarn Angst, Ärzte und Pfleger könnten das Virus in die Hausgemeinschaft schleppen.

„Die große Mehrheit der Gesellschaft ist uns dankbar“, versichert Allgemeinmediziner Monllor, der den Umzugsaufruf des anonymen Nachbarn ins Internet stellte und damit für Empörung und Solidaritätserklärungen sorgte. Ein anderer Nachbar brachte im Treppenhaus ein Plakat mit der Aufschrift „Hier lebt ein Held“ an. Die Bürgermeisterin der Ortschaft übergab ihm einen Dankbrief.

Seit über einem Monat treten die Spanier nach wie vor jeden Abend um 20.00 Uhr an Fenster und Balkone, um Ärzten und Pflegern für ihren Einsatz im Corona-Kampf zu applaudieren. Und doch wächst bei immer mehr Menschen offenbar die Angst. „Die Angst, sich anzustecken. Aber auch die Angst vor der Zukunft“, sagte der Psychologe Antonio Espino der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Millionen Spanier bangen

Millionen Spanier bangen derzeit um ihre Arbeitsplätze. Laut Schätzungen des Internationalen Währungsfonds könnte die Arbeitslosenquote wegen der Corona-Krise in diesem Jahr von 13 auf bis zu 20,8 Prozent steigen. Die Nerven vieler Menschen liegen blank; die strikte Ausgangssperre tut ihr Übriges.

Nur so kann sich Miriam Armero erklären, was ihr diese Woche passierte. Als die Supermarktkassiererin aus dem südspanischen Cartagena von der Arbeit nach Haus kam, fand sie im Hausflur eine von ihren Nachbarn handgeschriebene Botschaft: Sie solle sich doch bitte eine andere Wohnung suchen.

Miriam war empört und hängte ein Antwortschreiben daneben, auf dem sie ihre Nachbarn daran erinnerte, dass sie und alle anderen Supermarktangestellten sich täglich einem hohen Risiko aussetzten, damit der Rest der Bevölkerung zu essen und zu trinken habe.