Auf der Ifa ist die Technik zum Anziehen ein Trend. Manche gehen einen Schritt weiter. Sie spritzen sich einen Chip unter die Haut und fühlen sich als Pioniere. Ethische Bedenken haben sie nicht.

Berlin - Es ist vielleicht der Aufreger der Ifa: Am Donnerstagnachmittag setzt ein Tätowierer einem Mitarbeiter des IT-Sicherheitsspezialisten Kaspersky einen Chip unter die Haut. Binnen Sekunden gleitet die drei Millimeter dicke Nadel zwischen Daumen und Zeigefinger und drückt den Chip hinein. Zwei auf zwölf Millimeter misst er und hat genügend Speicherplatz, um den Träger eindeutig zu identifizieren. Der nimmt es wie eine Impfung hin – sein Gesicht verzieht sich nicht. „Jetzt bist du einer von uns“, sagt Evgeny Chereshnev anerkennend. Der 36-Jährige ist ebenfalls Mitarbeiter von Kaspersky und hat sich im Februar den gleichen Typ Chip für 50 Dollar unter die Haut gesetzt.

Ein Moment der Beklemmung, Schmerz und Euphorie sei es damals gewesen, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Der Schmerz sei gewichen, die Euphorie jedoch nicht. „Je länger ich den Chip nutze, umso mehr Möglichkeiten ergeben sich. Ich kann mit meinem eigenen Körper erleben, wie sich das Internet verändert. Es ist eine Forschungsarbeit für alle, ich liebe es.“

Mit jedem Gerät, das den elektronischen Chip unter seiner Haut über Funk auslesen kann, kommuniziert er. Hält er die Hand gegen ein elektronisches Schloss, öffnet sich die Tür. Das funktioniert auf seiner Abeitsstelle, mit seinem Auto. Noch steht die Technologie erst am Anfang, was den Speicherplatz und die Sicherheit angeht. Doch schon bald könnte eine neue Generation mit den Chips von Ausweisen und EC-Karten konkurrieren. Dann könnte Chereshnev im Supermarkt bezahlen und Bonuspunkte sammeln. Er trüge eine Fahrkarte oder gar einen Personalausweis oder eine Krankenversicherungskarte unter der Haut. Der Chip könnte im vernetzten Haushalt lernen, wie das Licht gedimmt und die Heizung programmiert werden soll. Die Voraussetzung wäre, dass Banken, Lebensmittelhändler und Behörden es zuließen.

Viele IT-Komponenten lassen sich hacken

Noch fehlt es aber an der nötigen Verschlüsselung, wie Sicherheitsexperte Marco Preuss betont. Momentan ließe sich der Chip hacken, wenn ein Angreifer Hautkontakt aufnehmen könnte. Dann hätte Chereshnev mit den gleichen Folgen zu kämpfen wie bei einer gehackten Bankkarte oder einem manipulierten Smartphone. Nur dass der Chip schwieriger auszutauschen wäre. Von ethischen Bedenken ganz zu schweigen: Sollte einmal wirklich alles erlaubt sein, nur weil es technisch möglich ist?

Chereshnev plädiert für die Wahlfreiheit. Habe nicht jeder das Recht, mit seinem Körper das zu tun, was er selbst für richtig hält? Und zeige man damit nicht, dass die Daten, die man unter der Haut trage, vor allem einem selbst gehörten? Er wolle die Grenzen zwischen Mensch und Maschine überschreiten, betont er. Mit dem Chip würde er ein Teil des Internets der Dinge. Wie eine Industrieanlage oder ein Smartphone. Er wäre eine Menschenmaschine, ein Cyborg.

So bezeichnet sich auch der Berliner Enno Park (41). „Ein Cyborg ist für mich ein Mensch, der mit der Technik eine enge Symbiose eingeht.“ Bei Park ist die Technik Teil seines Kopfs. Er gehört zu den Menschen, die aus medizinischen Gründen Implantate tragen – Herzschrittmacher oder Insulinpumpen zum Beispiel. Bei Park ist es ein sogenanntes Cochlea-Implantat, eine Hörprothese, für die er sich einen Teil der Schädeldecke ausfräsen ließ. Die Elektroden sind in die Hörschnecke eingeführt und leiten die Geräusche digital an den Hörnerv weiter. Zuvor war Park fast taub. Jetzt könnte er damit sogar Instrumente stimmen. Die Implantation war so etwas wie ein Urknall in Parks Denken, seitdem erforscht er die Interaktion zwischen Mensch und Maschine immer tiefer. Er gründete den Berliner Verein Cyborg e. V. – die „Gesellschaft zur Förderung und kritischen Begleitung der Verschmelzung von Mensch und Technik“.

Mutige setzen sich Chips unter die Haut

Park machte sich selbst zum Versuchsobjekt. Wenn er zum Beispiel sein Hörimplantat anders programmieren könnte – wie würde dann die Welt klingen? Die Software des Geräts ist unter Verschluss, also begann Park zu experimentieren, sie so zu modifizieren, dass er auch Infraschall wahrnehmen könnte, so wie eine Fledermaus. „Meine Vorstellung war leider naiv“, sagt er. „Ich dachte, ich würde im Sommer den Fledermäusen in den Bäumen lauschen. Stattdessen konnte ich nur in unmittelbarer Nähe eines Tiers etwas hören –so ein Knackgeräusch.“

Damit war für Park das erste Experiment zu Ende, doch die Faszination blieb. Mit Helden aus Science-Fiction-Filmen wie „Terminator“ wolle er nicht verwechselt werden, betont Park. „Es geht um die Sinneserweiterung.“ Aber macht er das nicht auf Kosten anderer? „Ich bin mir bewusst, dass meine Krankenkasse viel Geld ausgegeben hat, deshalb bin ich auch vorsichtig“, sagt Park. „Doch mein Implantat gehört mir. Darum darf ich es auch manipulieren."

Doch nicht immer geht es darum, Sinne zu erweitern oder Grenzen zu überschreiten. Steffen Fröschle trieb ein einfacher Jungstraum dazu, sich einen Chip unter die Haut zu setzen. „Ich wollte mit der Hand eine Tür öffnen können. Ich wollte etwas Einzigartiges, das andere nicht unbedingt sehen können, sagt der 41-jährige Stuttgarter. „Manchmal denke ich beim Baden im Leuze: „Wenn ihr wüsstet, wer ich bin!“

Fröschle ist wohl das, was man einen Pionier der Szene nennt. Vor rund zehn Jahren bekam er das Implantat, eine extrem einfache Variante. Er ist sich ziemlich sicher, dass er damit der Erste in Deutschland war. Fröschle renoviert gerade das Haus seiner Großeltern, er wirkt wie ein bodenständiger Typ mit einem kleinen Spleen. Nicht jeder seiner Bekannten fände gut, was er da mache, sagt er – aber angefeindet worden sei er noch nie. „Ich missioniere nicht, und die anderen lassen mich in Ruhe. So ist es gut.“

Vor kurzem hat sich Fröschle noch mehr Technik unter die Haut gespritzt. Im Oberarm sitzt ein Sensor, mit dem er die eigene Körpertemperatur messen kann. Weltbewegend sei das nicht, gibt er zu. „Aber es fühlt sich geil an. Es ist wie eine Sucht.“