Wenn alles gut geht, sollen im Sommer wieder Gäste einziehen können. Foto: Lichtgut/Verena Ecker

Der stationäre Bereich des katholischen Hospizes ist noch immer geschlossen. In vielen Bereichen gibt es noch immer keine neue Leitungskräfte. Wie kommt das Hospiz aus der Krise?

Auf der neu gestalteten Internetseite des katholischen Hospizes St. Martin steht seit einiger Zeit unter Aktuelles die Nachricht, dass der stationäre Erwachsenenbereich vorübergehend geschlossen sei. Man muss ein bisschen nach dieser Mitteilung suchen. Denn dieses „vorübergehend“ geht nun schon eine ganze Weile. Genauer gesagt  seit November. Vier Monate sind das. Acht Betten, in denen im Haus in Degerloch Menschen pflegerisch und spirituell gut versorgt die letzte Lebensphase verbringen konnten, werden seitdem nicht mehr belegt. Bereits im Vorfeld waren die Betten sukzessive reduziert worden. Am Ende waren es noch vier Menschen, „die sich uns in der letzten Lebensphase anvertrauen“, wie der Stadtdekan Christian Hermes sagt. Doch dann mussten auch diese letzten Gäste ausziehen. Auf die Palliativstationen der Krankenhäuser, aus denen sie gekommen waren.

Damit hat sich für Stuttgart die Zahl der Hospizbetten für Sterbende halbiert. Die insgesamt 16 Hospizplätze in der Stadt sind auf die verbleibenden acht geschrumpft, die das evangelische Hospiz in der Stafflenbergstraße vorhält. Die Schließung eines stationären Hauses ist in der Hospizlandschaft in Baden-Württemberg bisher einmalig, gilt doch die Arbeit in einem Hospiz für die auf dem Arbeitsmarkt raren Pflegekräfte als sinnstiftend, bei gutem Personal-Patienten-Schlüssel. Denn auch diese Häuser waren von Corona und der Zermürbung der Pflegekräfte betroffen. In der Palliativszene sorgt die Stuttgarter Entwicklung offenbar nachhaltig für Irritationen.

Die Sozialstationen als Zwischenstation

Ist das bisher Geschehene also ein Grund zur Sorge und Anlass, sich über den möglichen Vertrauensverlust, der mit dem Schritt der Schließung einher geht, Gedanken zu machen? Muss, wer ein Hospiz nach vielen erfolgreichen Jahren schließt, wieder bei Null anfangen? Auch die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter scheinen darüber in großer Sorge zu sein. Die vier Franziskanerinnen aus Reute, die ebenfalls in St. Martin tätig waren, wurden Mitte Februar mit einem Gottesdienst in ihren Konvent verabschiedet. Sowohl Hospiz als auch der Orden „bedauern die Geschwindigkeit des Abschieds“, heißt es vielsagend ebenfalls auf der Internetseite des katholischen Hospizes. Die verbliebenen pflegenden Mitarbeitenden des Hospizes arbeiten bis zur Wiedereröffnung des Hauses in anderen Diensten der katholischen Kirche in Stuttgart, der Sozialstation etwa. Offenbar nicht ganz freiwillig.

Hermes: „Unausweichliche Entscheidung“

Im katholischen Stadtdekanat und bei Stadtdekan Christian Hermes ist die Schließung ein Thema, über das nur ungern gesprochen wird. Im generellen Mangel an Pflegekräften, der zu dieser Entscheidung geführt habe, sah Hermes in einer ersten schriftlichen Pressemitteilung den Grund für die Entscheidung, „ die genauso unausweichlich wie traurig war“, wie er heute sagt. Für ein persönliches Gespräch stand er damals noch nicht zur Verfügung. Auch jetzt verweist er im Interview auf die Vertraulichkeit von Personalfragen, nennt aber den hohen Krankenstand in der Belegschaft als Grund, spricht zugleich „von keinem guten Signal“.

Tatsache ist, dass im Haus seit Monaten wichtige Führungspositionen unbesetzt sind. So ist die Leiterin Margit Gratz, die 2017 die Nachfolge von Angelika Daiker angetreten hat, seit November nicht mehr im Dienst. Ihre Abwesenheitsmail nennt das Datum ihrer Rückkehr nicht. Der Geschäftsführerposten war seit Spätsommer bis vor Kurzem unbesetzt. Ebenso ist die Stelle der Pflegedienstleitung seit einem Jahr verwaist. Nach einer Leitung des Kinderhospizes wird noch immer gesucht. Ebenso wie beim Trauerzentrum ist die Leitungsstelle dort unbesetzt. Dazu kamen Coronafälle unter den Mitarbeitern. Weiter ging unter diesen Bedingungen und dann auch nach der Schließung im November 2022 jedoch immer die Begleitung von Trauernden, der ambulante Hospizbereich und der Kinder- und Jugendhospizdienst – jedoch auch hier ohne Bereichsleitungen. Das Hospiz schlitterte sehend Auges in ein Führungsvakuum mit größtenteils nur noch kommissarisch agierenden Mitarbeitenden.

Viele Leuchtturmprojekte

Rückblende: Bei seiner Eröffnung im Jahr 2007 hatte das Dekanat stolz auf das auch architektonisch ambitionierte Haus mit der dort integrierten ambulanten Sterbe- und Trauerbegleitung geschaut. Das Haus war ebenso wie das Haus der katholischen Kirche auf der Königsstraße eines der letzten und bedeutendsten Projekte des dann scheidenden Stadtdekans und Prälaten Michael Brock, dem Vorgänger von Christian Hermes. Beide Häuser waren damals Aushängeschilder für die katholischen Kirche Stuttgart. Hermes hat im Rahmen des Entwicklungsprozesses „Aufbrechen – katholische Kirche in Stuttgart“ ebenso ambitionierte Leuchtturmprojekte dazugesetzt: Neben der Weiterentwicklung kirchlicher Standorte im Stadtgebiet das Zentrum S, das spirituelle Zentrum im Stuttgarter Westen, die musikalischen Zentren und ganz frisch das Trauerzentrum in unmittelbarer Nachbarschaft des Hospizes. Als sich im Jahr 2017 die Gründungshospizleiterin Daiker verabschiedete, bekam ihre Nachfolgerin den Arbeitsauftrag, aufbauend auf den Vorarbeiten ihrer Vorgängerin eine Konzeption für dieses neue Zentrum vorzulegen. Darauf legte auch Hermes seinen Fokus. Am 3. März war dort nun Hausfest in den neuen Räumen.

Langsamer Personalaufbau

Doch was geschient im 150 Meter davon entfernten stationären Hospiz, auf dessen Ideen das Zentrum fußt?„Wir werden erst das Personal im Hospiz aufbauen und dann langsam, nicht mit voller Gästezahl beginnen“, sagt Hermes, der die aktuelle Situation lieber eine Betriebsunterbrechung statt eine Schließung nennt. Eine neue Pflegedienstleitung scheint gefunden. Was nun folgen müsse, sei der Teambildungsprozess, „der in einem Hospiz etwas anspruchsvoller ist als anderswo“. Wenn alle gut geht, könnte das Hospiz im Sommer wieder öffnen. Auf der neu gestalteten Homepages des Hospizes St. Martin taucht der Name der abwesenden Leiterin schon jetzt nicht mehr auf.

Hospize in Stuttgart

Angebote
Das katholische Hospiz St. Martin, Jahnstraße 44-46, 70597 Stuttgart, führt seine Angebote der ambulanten Sterbebegleitung und auch die Trauerbegleitung weiter. Nähere Infos unter www.hospiz-st-martin.de. Der stationäre Bereich ist momentan geschlossen.

Betrieb
Das evangelische Hospiz, Stafflenbergstraße 22, 70182 Stuttgart bietet acht Betten für Gäste an. Weitere Informationen unter www.hospiz-stuttgart.de.