Tieren wird oft nachgesagt, dass sie den Sex nur zur Fortpflanzung betreiben würden. Weswegen auch Homosexualität bei ihnen keine Rolle spielen würde. Doch wissenschaftliche Studien belegen das Gegenteil.
Stuttgart - Sie wird noch immer gerne erzählt: die Geschichte vom Adebar, der die Babys bringt. Tatsächlich jedoch gehört der Storch zu den Vogelarten mit einer ausgeprägten Neigung zur Homosexualität. Wer derzeit auf die Horste von Dächern, Masten und Bäumen schaut, wird dort immer auch lesbische oder schwule Paare finden. Und die Störche sind damit nicht allein. Forscher schätzen, dass rund 1500 Tierarten weltweit die Homosexualität pflegen. Von Makaken und Bonobos bis zu Seesternen und Spinnen. Doch was treibt sie an? Denn dem Arterhalt dient ja der Sex zwischen gleichen Geschlechtern – zumindest auf den ersten Blick – nicht unbedingt.
Eine aktuelle Studie der University of North Carolina hat sich nun dieser Frage angenommen. Die Evolutionsbiologen Maria Servedio und Brian Lerch haben unterschiedliche Modelle durchgespielt und berechnet, wann sich Homosexualität für eine Tierart am meisten lohnt und ihre Chancen erhöht, sich in der Evolution zu behaupten. Denn darum geht es ja letzten Endes: Ein bestimmtes Verhalten entwickelt sich nur, wenn es die Chancen auf den Arterhalt erhöht. Sofern es das nicht tut, verschwindet es wieder – und wenn das am Ende bedeutet, dass gleich die ganze Tierart verschwindet.
Lesen Sie hier: Das Rätsel des weiblichen Orgasmus
Die Forscher haben ausgerechnet, dass Homosexualität vor allem dann dem Arterhalt dient, wenn das jeweilige Geschlecht kein sexuelles Signal sendet, um sich als Weibchen oder Männchen zu offenbaren, und das Geschlechterverhältnis bei eins zu eins liegt. Idealerweise sollte die jeweilige Tierart außerdem noch relativ lange leben.
Servedio und Lerch verdeutlichen ihr Modell am Beispiel des Kammseesterns Astropecten polyacanthus, der auch oft in Aquarien zu finden ist. Es gibt hier gleich viele Männchen und Weibchen, die zudem nahezu identisch sind, sowohl optisch als auch geruchlich. Das erspart ihnen jede Menge Energie, die sonst für das Ausbilden geschlechtsspezifischer Merkmale draufgehen würde – und Energieersparnis ist immer ein gewichtiges Argument für eine erfolgreiche Evolution. Die Seesterne verfahren bei der Partnerwahl vielmehr nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“, und weil beide Geschlechter gleich präsent sind, liegt die Wahrscheinlichkeit für jedes Weibchen und Männchen bei 50 Prozent, auf einen Partner zu treffen, mit dem sich Nachwuchs produzieren lässt. Und weil diese Seesternart drei Jahre oder länger lebt, macht es ihr nichts, wenn sich ein Exemplar öfter homosexuell und damit ohne Chancen auf Nachwuchs vermählt. Es wird irgendwann der „richtige“ – sprich: fortpflanzungstaugliche – Partner kommen, so dass am Ende jedes Seesternlebens für Nachwuchs gesorgt wurde.
Eintagsfliegen können sich kurze Liebschaften nicht leisten
Umgekehrt kennen Eintagsfliegen keine Homosexualität. Sie können sich diese aufgrund der Kürze ihres adulten, fortpflanzungsfähigen Lebens gar nicht erlauben. Und der Pfau kennt die gleichgeschlechtliche Liebe nicht, weil das Männchen ja sehr viel Energie auf sein prunkvolles Federkleid aufbringt. Warum sollte er diese Investition für eine Partnerschaft verschwenden, aus der kein Nachwuchs hervorgehen kann? Beim Storch hingegen gibt es keinen Geschlechterdimorphismus, Männchen und Weibchen sehen gleich aus. Außerdem werden sie bis zu 35 Jahre alt, was ihnen genug Zeit für eine fortpflanzungsfähige Beziehung lässt. Es wundert daher nicht, dass man beim Storch – wie übrigens auch bei Pinguinen, Möwen und Flamingos – relativ häufig homosexuelle Paare findet.
Servedio und Lerch betonen allerdings, dass es neben ihrem Modell noch diverse andere Erklärungen für die Homosexualität bei Tieren gibt. So lösen etwa Löwenmännchen ihre Konflikte und Führungsfragen durch gleichgeschlechtlichen Sex: Sie verpaaren sich, um sich gegenseitig Loyalität zu sichern und einvernehmlich das Rudel zu führen. Männliche Elefanten finden hingegen eher notgedrungen zur Homosexualität, wenn sie abseits der eigentlichen Herde leben müssen und keinen Kontakt zu Weibchen haben können. Bei Giraffenmännchen – sie praktizieren bis zu 90 Prozent ihrer Sexualkontakte zum gleichen Geschlecht! – wird vermutet, dass sie auf diese Weise von den Weibchen ferngehalten werden sollen, so dass die sich ungestört um ihre Kälber kümmern können.
Es macht Spaß
In vielen Fällen lässt sich aber folgende Erklärung für die Homosexualität bei Tieren finden: Sie macht einfach nur großen Spaß. „Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass es in der Tierwelt spaßbefreit zugeht“, betont der US-amerikanische Verhaltensforscher Jonathan Balcombe. Dies gelte erst recht für den Sex. „Manche Tiere erfreuen sich an einer Art Kamasutra und probieren immer wieder neue Sexualpraktiken aus.“ Und dazu gehöre auch die Homosexualität. So verfügten bei Säugetieren nicht nur die Männchen, sondern auch oft die Weibchen über lustempfängliche Sexualorgane, bei denen es letztendlich egal sei, von wem sie bedient werden.
Ein US-amerikanisches Forscherteam entdeckte kürzlich, dass Delfin-Weibchen über eine ausgeprägte Klitoris verfügen. Zu deren Stimulierung braucht es keinen männlichen Penis. Es reichen die Berührungen eines Weibchens, das sich zudem mit diesem Lustorgan bestens auskennen sollte. „Unter Delfinen gibt es sehr viele lesbische Kontakte“, betont Studienleiterin Dara Orbach vom Mount Holyoke College in Massachusetts. Möglicherweise liegt es ja daran, dass die Weibchen dabei besonders viel sexuelle Erfüllung erfahren.