Holger Stockhaus als Markus Lindemann in der neuen Serie „Meuchelbeck“ Foto: WDR Presse und Information/Bildk

Holger Stockhaus (42) zeigt sein komödiantisches Talent nicht mehr nur auf der Bühne des Stuttgarter Schauspielhauses. Er ist in Fernseh-Serien wie „Meuchelbeck“ zu erleben – auch wenn er sich noch mehr Experimentierfreude im deutschen Fernsehen wünscht.

Stuttgart - „Mehr Enthusiasmus bitte. Und lauter. Wir sind hier nicht beim Fernsehen“, ruft Regisseur Armin Petras bei den Proben zu Fritz Katers „5 morgen“ und feixt. Holger Stockhaus sieht aus, als würde er innerlich mit den Augen rollen, lacht aber auch ein bisschen. Und spricht den wunderbaren Eröffnungsvortrag seiner Figur, eines überkandidelten Dozenten, dann auch enthusiastisch. Er plaudert am Abend sogar – sehr lustig – italienisch in der Vorstellung, denn das Ensemble des Stuttgarter Schauspielhauses spielt in Mailand am renommierten Teatro Piccolo.

Kurz vor den Theaterferien war das – die allerdings sind für Holger Stockhaus ausgefallen. Er reiste weiter zu Dreharbeiten. Der Schauspieler hat die Festanstellung im Theater sausen lassen und arbeitet frei – da hat man eben nur frei, wenn man gerade nicht dreht. Und so kommt es, dass Stockhaus an einem Augusttag seinen Sommerurlaub in Frankreich für eine Stunde unterbricht, um sich über seine jüngsten Projekte zu unterhalten.

Herr Stockhaus, Petras’ Anspielung bei den Proben – Häme, weil Sie gekündigt haben?
Neee. Das gehört dazu beim Proben. Ist es nicht das Fernsehen, sagt der Regisseur: ,Hey, du bist nicht mehr im Urlaub’, um zu signalisieren, dass man ’ne faule Sau ist.
Warum verlassen Sie das Theater?
Ich verlasse das Theater nicht! Ich spiele weiter. Theater ist immer ein Ort der Heimat für mich, auch wenn ich in einer anderen Stadt bin und weiß, da gibt es ein Theater, ist das ein gutes Gefühl. So wie Kirchen. Ich gehe in jeder Stadt in eine Kirche.
Zum Gottesdienst? Sind Sie gläubig?
Manchmal ist zufällig gerade Gottesdienst oder es ist Konfirmation oder Hochzeit. Ich würde mich nicht als ungläubig bezeichnen, ich bezahle sogar noch Kirchensteuer.
Haben vielleicht die bei Kritik und Publikum so heftigen Reaktionen nach Sebastian Hartmanns Inszenierungen „Staub“ und „Im Stein“ dazu geführt, dass Sie nun lieber Fernsehen machen? Wenn die Leute das nicht mögen, sehen Sie nicht, wenn die ausschalten.
Im Gegenteil. Ich spiele ja weiterhin Theater, gerade wegen des direkten und manchmal eben auch heftigen Kontaktes zum Publikum. Fernsehen und Filme mache ich nicht lieber, aber sehr gern, und das hat organisatorische Konsequenzen. Und streitbare Arbeiten mit Regisseuren wie Hartmann oder Petras sind ja für alle sehr vitalisierend.
„Staub“ war in Recklinghausen hart, als in der zweiten Vorstellung zwei Drittel der Leute nach einer Stunde gingen und gebuht haben. Das hatte ich noch nie erlebt, dass schon während der Vorstellung die Schauspieler ausgebuht werden. Das war ein krasser Moment, aber auch sehr belebend, das ist ja wie eine Bedrohungssituation, da wird wahnsinnig viel Adrenalin ausgeschüttet. Ich merkte, ich bin total wach und habe wie beim Schach blitzschnell alle möglichen Situationen durchgespielt.
Als Schauspieler will man aber doch geliebt werden oder ging es um Provokation?
Natürlich wollen wir geliebt werden, aber das ist nicht die Aufgabe von Kunst. 800 oder 1500 Leute sehen eine Arbeit, und alle sollen am Ende glücklich sein? Sollen wir das wollen? Ich glaube da für Sebastian Hartmann sprechen zu können, wenn ich sage, dass er nicht provozieren will, sondern die Dinge so inszeniert, wie er sie für richtig empfindet.
Die Figur, die Sie in der neuen Fernsehserie „Meuchelbeck“ spielen, Markus Lindemann, wagt auch einen Aufbruch. Er kehrt von der Großstadt in sein Heimatdorf zurück – wird aber nicht gerade toll empfangen.
Markus Lindemann scheint zu Beginn zumindest der Einzige in diesem Dorf voller verschrobener Geheimniskrämer zu sein, der unschuldig ist. Aber das ist das, was mir an Meuchelbeck gefällt, dass es in jeder Szene einen Cliffhanger gibt, wie bei Ibsen. Du weißt nie, was der andere vor Dir verbirgt. Man könnte sagen, Meuchelbeck ist die dunkle Seite des Versuchs, eine deutsche Heimat zu finden.
Was bedeutet Heimat?
Eine große Frage. Heimat ist angekommen sein. „Das, was wir bewusstlos suchen, was wir annehmen“, heißt es in Fritz Katers „5 morgen“
Und was ist Heimat für Sie?
Ich weiß es nicht. Ich suche noch. Ist es der Ort, an dem ich groß geworden bin, sind es die Menschen um mich herum? Es ist die Frage, ob Heimat an einem realen Ort oder eher in mir selbst zu finden ist. Jedenfalls ist sie nicht zu verwechseln mit Herkunft, die sehr unheimelig sein kann.
Die Serie wird als „horizontal erzählt“ angepriesen. Was meinen Sie denn damit?
Eine einzelne Folge erzählt keine in sich abgeschlossene Geschichte. Die verschiedenen Handlungsstränge entwickeln sich über mehrere Folgen hinweg. Man kann die Figuren über einen längeren Zeitraum kennenlernen, mit ihnen gemeinsam erleben, wie sie sich verändern und entwickeln. Das hat eine epischere Breite als ein 90-Minüter.
Die Serie läuft einmal wöchentlich im Fernsehen, ist aber auch online in einem Rutsch an- zuschauen. Unterscheiden sich die Erwartungen des Fernsehpublikums nicht sehr von denen der Leute, die Serien nur im Internet anschauen?
Ich glaube, dass sich auch traditionelle Fernsehgucker über die Serie freuen können. In US-Serien wird diese Art des Erzählens ja auch schon seit Jahrzehnten praktiziert; eine Serie wie „Six feet under“ ist schon 20 Jahre alt. Ich staune, wie wenig weit wir da, auch in der inhaltlichen Unangepasstheit, in Deutschland sind.
Schielen Fernsehleute zu sehr auf Quoten?
Das weiß ich nicht. Allerdings sind vielleicht gerade Formate wie ,Tatortreiniger’ so erfolgreich, weil da nur ein kleines künstlerisches Team Entscheidungen trifft und nicht zu viele Leute reinreden. Grundsätzlich finde ich, wir könnten erwachsener erzählen.
Wie meinen Sie das?
Es gibt auch hier in Deutschland viele sehr gute Regisseure. Immer heißt es, die US-Serien sind so toll, aber wir könnten hier nicht mit deren Produktionsmaßstäben mithalten – zu wenig Geld und zu geringe weltweite Auswertung aufgrund der Sprache – obwohl es auch hochkarätige Serien aus kleinen Ländern wie Dänemark gibt. Im deutschen Fernsehen verkaufen wir uns gern gegenseitig für dumm. Die Macher sagen, die Leute wollen das so. Und die Zuschauer denken, es gibt ja nichts anderes, dann schauen wir das halt an. Die Sender halten die Menschen für blöder als sie sind. Das hat auch mit Seh-Erziehung zu tun. Man muss auch im Privatfernsehen nicht den halben Tag Doku-Soaps senden. Wir können auch unvollständiger Geschichten erzählen, die Menschen mitdenken lassen. Die können das. Die mögen das sogar!
„Meuchelbeck“: Serienstart am 24. August um 20.15 Uhr im WDR Fernsehen. Alle sechs Folgen sind bereits jetzt online zu sehen (www.wdr.de/mediathek) und als DVD erhältlich. Stockhaus spielt Markus Lindemann, der 20 Jahre lang nicht mehr in seinem Heimatkaff Meuchelbeck war und nun mit seiner 16-jährigen Tochter dorthin zurückkehrt
INFO zu Holger Stockhaus: 1973 in Hannover geboren. 1994-1998 Schauspielschule in Bochum. Er spielte in Bochum, Wuppertal/Gelsenkirchen, Berlin, Frankfurt, Göttingen, Kassel, Heidelberg, Leipzig und Berlin. 2013-2015 Ensemblemitglied am Schauspiel Stuttgart. Zu sehen war Stockhaus in „Doppelgänger“ am Kammertheater, „5 morgen“ im Nord, „Staub“, „Pfisters Mühle“, zuletzt in Meyers „Im Stein“ im Schauspielhaus.
Weitere Projekte: Neue Comedy-Show: „sketch history – neues von gestern“. Zehn Folgen fürs ZDF ab 9. Oktober freitags einmal im Monat nach der „heute show“. Stockhaus: „Wir reisen durch die Menschheitsgeschichte und erzählen, wie es wirklich war“.
Live-Show mit Reinald Grebe im RBB im November. Stockhaus: „Das ist die Fortsetzung einer Theaterarbeit vom Gorki Theater: „dada berlin“. „Es geht darum, auf das Aussterben der Brandenburger Städte aufmerksam zu machen. Wir schauen, was da los ist, wer noch da lebt, was die da so machen. Es ist eine Live-Show mit Publikum und Gästen.“
„Friesland“: Samstagabend-Krimi im ZDF mit Sophie Dal und Florian Lukas. Holger Stockhaus spielt einen Bestattungsunternehmer. Termin: Anfang 2016. (StN)