Die tatsächliche Schuldenquote im Euro-Raum lag, gemessen am Bruttosozialprodukt, deshalb 2010 nicht nur bei 86, sondern bei 340 Prozent. Foto: dapd

Forscher belegen: Die tatsächliche Belastung der Länder ist weitaus höher als bislang errechnet.

Frankfurt - Während die Politik und die Finanzmärkte gebannt auf den Kampf gegen die wachsenden Schuldenberge in der EuroZone schauen und wie jetzt im Falle Spaniens mit Feuerwehraktionen versuchen, den Brand zu löschen, ist das Problem in vielen Ländern noch viel gravierender. Tatsächlich haben die Akteure nur die Spitze eines Eisbergs im Blick. Hauptgrund: Die aktuell registrierten Schuldenquoten betrachten nur die expliziten, in den vergangenen Jahrzehnten angehäuften Schulden.

Dagegen gehen die künftigen Lasten etwa für Renten, Gesundheit, Pflege, Arbeitslosigkeit und Bildung nicht in die Berechnung ein. Die tatsächliche Schuldenquote im Euro-Raum lag, gemessen am Bruttosozialprodukt, deshalb 2010 nicht nur bei 86, sondern bei 340 Prozent. Erstaunlich auch: So gesehen steht das Krisenland Italien vor den geringsten, aber der vermeintliche Musterknabe Luxemburg vor den größten Herausforderungen. Das sind zentrale Ergebnisse einer Studie des Forschungszentrums Generationenverträge der Uni Freiburg für die Stiftung Marktwirtschaft.

Eigentlich darf die Schuldenquote nach den Kriterien des Maastricht-Vertrags für die Währungsunion nur bei 60 Prozent liegen – gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Aber schon da liegen fast alle Euro-Staaten darüber. „Im Hinblick auf die Zukunft sind die Kriterien blind“, sagt Professor Bernd Raffelhüschen, Co-Autor der Studie. „Künftige Schulden, die heute schon absehbar sind, weil staatliche Leistungsversprechen für die kommenden Jahre ohne eine ausreichende Finanzierungsbasis gemacht wurden, fallen durch ihr Prüfraster.“

Anteil der Menschen über 65 werde sich bis 2060 auf 53 Prozent verdoppeln

Hintergrund für die Entwicklung der impliziten oder auch geheimen Staatsschulden ist der steigende Altersdurchschnitt durch den Rückgang der Geburtenrate und die zunehmende Lebenserwartung. Der Anteil der Menschen über 65 Jahren werde sich bis 2060, so die Studie, auf etwa 53 Prozent verdoppeln. Das belastet die Rentenkassen und die Ausgaben für Gesundheit und Pflege. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Erwerbstätigen, was das Wachstum bremst und die Einnahmen der öffentlichen Haushalte mindert. Die Staaten müssen also neue Schulden machen, die Schuldenquote schießt nach oben.

Dabei erscheinen die Probleme in Deutschland der Studie zufolge fast noch überschaubar. Die geheime Staatsschuld treibt die Schuldenquote von 83 auf 193 Prozent. Erstaunlich ist, dass Italien seine Schuldenquote nur von 119 auf 146 Prozent steigert. Grund sei zum einen der geringste Anstieg der Renten-, Gesundheits- und Pflegeausgaben, zum anderen der mit der sinkenden Schuldenquote verbundene Rückgang der Zinsaufwendungen.

Zweite erstaunliche Erkenntnis der Studie: Luxemburg wird in den nächsten Jahrzehnten zu einem Problemfall und steht künftig sogar noch schlechter da als Griechenland. Die zu erwartende massive Steigerung der Ausgaben für Renten, Gesundheit und Pflege treibt die Schuldenquote von 19 auf unvorstellbare 1116 Prozent. Griechenland kommt der Studie zufolge von 145 auf 1017, Irland von 92 auf gigantische 1497 Prozent. Unter den aktuellen Krisenstaaten sieht es für Portugal mit einem Anstieg von 93 auf 359 Prozent und für Spanien von 61 auf 549 Prozent fast schon gemäßigt aus.

Die Lasten der Finanz- und Wirtschaftskrise bezeichnen die Autoren der Studie vor dem Hintergrund ihrer Analyse „lediglich als Klacks“. Deutschland etwa müsste seine Staatsausgaben, gemessen am BIP, um jährlich vier Prozent senken, um vom Schuldenberg herunterzukommen.