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Vor neun Jahren mussten alle Mitarbeiter das Rathaus überstürzt verlassen. Jetzt läuft die Sanierung. Es ist ein Mammutprojekt.

Calw - Ups! Architekt Frank Hihn will auf der Baustelle im Haus am Marktplatz 7 nur zeigen, dass die Erbauer vor 300 Jahren unbehauene Steine zwischen die Fachwerkbalken gemauert haben – doch schon bei der ersten Berührung fallen ihm zwei Steine entgegen und fast auf die Füße. „Jetzt verstehen Sie, warum wir alle Steine austauschen müssen“, sagt er. Tatsächlich blieb von dem Haus links vom eigentlichen Rathaus nur die Balkenkonstruktion, fast alles andere ist neu.

Es ist eine Mammutaufgabe, die Calw zu bewältigen hat: Das Rathaus und vier umliegende Gebäude, bis auf eines alle denkmalgeschützt, müssen von Grund auf saniert werden. Die Arbeiten sollen im Herbst 2018 fertig sein, dann werden sie elf Jahre gedauert haben. Mit 16 Millionen Euro Kosten kommt Calw, dessen aktueller Etat 78 Millionen Euro umfasst und das so arm ist, dass es Vereinen ein paar Tausend Euro streicht, an die Grenze des Machbaren.

Das Rathaus war akut einsturzgefährdet

Vor allem dürfte selten zuvor die Sanierung eines Rathauses durch so dramatische Umstände ausgelöst worden sein. Im Sommer 2007 hatten sich Risse in den Wänden des Gebäudes gezeigt, das 1673 erbaut worden ist; tragende Stützbalken verlagerten sich. Nach zwei Messungen stand fest: Das Haus muss sofort geräumt werden. Im Amtsdeutsch las sich das so: Die „Standfestigkeit des Gebäudes ist unter den momentan sehr hohen Belastungen nicht mehr rechnerisch nachweisbar, beziehungsweise rückt der Zeitpunkt der Ermüdung der Konstruktion mit hoher Wahrscheinlichkeit schnell näher und ist in keinem Fall errechenbar.“ Im Klartext: Das Rathaus konnte jeden Moment einstürzen.

Wie sich später herausstellte, hatten die Erbauer für die senkrechten Balken Weichholz verwendet – nun bohrte sich das Hartholz der übrigen Konstruktionsteile bis zu zehn Zentimeter ins weiche Gebälk hinein. Das lag auch an den Archiven im Rathaus; deren Last war schlicht zu groß für das alte Haus.

An einer Sanierung führte also kein Weg vorbei. Doch wie das so ist mit betagten Gebäuden – es kam noch schlimmer, wo man hinlangte, taten sich neue Überraschungen auf. Da sich der Grund als nicht fest genug erwies, mussten 80 Bohrpfähle bis zu 15 Meter tief in die Erde gerammt werden. Im Haus am Marktplatz 7 links vom Rathaus wurden zwei alte Holzdecken entdeckt, die man rettete; umgekehrt musste ein Betonkorsett eingezogen werden. Wie Bauleiter Markus Schnell erzählt, waren Balken im Rathaus um bis zu 30 Zentimeter durchgebogen, der Giebel eines Hauses war nach vorne gekippt. Auch an der Fassade des ältesten Calwer Hauses – es stammt von 1523 – muss jeder Riss im Holz einzeln verfüllt werden. Der Eröffnungstermin 2017 war so nicht zu halten. Volker Goedel, der Leiter des Hochbauamtes, räumt ein: „Wir haben alle die Dimension unterschätzt. Ich habe noch nie ein Projekt in dieser Tiefe erlebt.“

Kosten bleiben bisher im Rahmen

Durch mehrere Sparrunden ist der Kostenrahmen bisher gehalten worden; ob es bis zum Ende der Arbeiten so bleibt, wird sich zeigen. Grundsätzliche Kritik an dem Vorhaben gab es nur zu Beginn, jetzt ärgern sich die Nachbarn und auch mancher Hesse-Pilger noch über Staub und Lärm mitten in der Fußgängerzone. Der Gemeinderat trägt das Projekt stoisch mit – er scheint froh zu sein, dass die Kosten trotz mehrerer Hiobsbotschaften im Rahmen bleiben. Nach den jüngsten Erfahrungen mit der Calwer Kanalisation, deren Bau deutlich teurer wurde, sind die Stadträte viel Leid gewöhnt. In das Haus links neben dem Rathaus wird die Stadtinformation einziehen, das Erdgeschoss des Hauses rechts davon wird gastronomisch genutzt. Auch die Besucher und die Einwohner werden also einen Nutzen haben von der teuren Sanierung des neuen und doch so alten Rathausensembles – auch wenn man ihm, wie Architekt Hihn vom Nürtinger Büro Weinbrenner, Single und Arabzadeh sagt, die Renovierung von außen kaum ansehen wird.