Die pneumatische Roboterhand von Festo kann zählen, winken und greifen. Foto: Ines Rudel

In ihrem Bionik-Labor tüftelt die Firma Festo an Innovationen für die Fabrik der Zukunft. Dabei orientiert sie sich an Vorbildern aus der Tierwelt.

Esslingen - Diese Hand ist etwas Besonderes. Menschlich ist sie nicht. Trotzdem kann sie winken, zählen und Buchseiten umblättern. Vor allem aber kann sie Objekte verschiedenster Größe, Form und Beschaffenheit greifen. Damit könnte die sogenannte „Bionic Soft Hand“ ein Produkt mit großer Zukunft sein, hoffen ihre Entwickler im Bionik-Labor der Firma Festo. Und das der menschlichen Hand nachempfundene Konstrukt ist längst nicht das einzige, mit dem der Esslinger Spezialist für Automation im Bereich der Robotik punkten will.

 

Zum ersten Mal hat die Firma Festo jetzt einen Blick hinter die Kulissen ihres Bionik-Labors gewährt. Was hier an Innovationen entwickelt wird, ist streng geheim und wird nur einmal im Jahr bei der Hannover Messe, einer international bedeutsamen Industriemesse, vorgestellt. Bei der coronabedingt digitalen Ausgabe der Messe in diesem Jahr wurde eine Weiterentwicklung der „Bionic Soft Hand“ präsentiert – eine erste Version hatte Festo im Jahr 2019 gezeigt.

Das Besondere an der vor Technik strotzenden Hand sei die Pneumatik, sagt Karoline von Häfen, Leiterin des Bionik-Labors. Viele Roboterhände funktionierten rein elektrisch und bestünden aus sehr harten Elementen. Die Hand aus ihrem Labor hingegen sei durch die pneumatisch gesteuerten Finger weich und flexibel. Ein Sensor erkennt, wie weit die einzelnen Kammern der Finger mit Luft gefüllt werden müssen, damit sie sich in die gewünschte Richtung biegen können – um zu verhindern, dass die Kammern bei den bis zu vier Bar Luftdruck platzen, sind die Finger mit einem reißfesten Gestrick bezogen.

Künstliche Hand wie gemacht für Interaktion von Mensch und Maschine

Damit ist die künstliche Hand laut von Häfen wie gemacht für die Interaktion von Mensch und Maschine. „Wir denken dabei an die Fabrik der Zukunft, in der Menschen und Roboter sehr eng zusammenarbeiten“, sagt sie. Noch seien die Maschinen aus Sicherheitsgründen stark abgeschirmt von den menschlichen Mitarbeitern. Mit Hilfsmitteln wie der „Soft Hand“ könne der Roboter aber mehr und mehr zum Gehilfen des Menschen werden, weil Mensch und Maschine gefahrlos zusammenarbeiten könnten. Hinzu komme die Multifunktionalität der Hand: Werden reguläre Greifer im Bereich der Automation bislang auf ein bestimmtes Teil angepasst, kann die bionische Hand ganz unterschiedliche Objekte greifen. Eine integrierte Kamera erfasst die Dimensionen im Vorfeld und richtet die Hand darauf aus. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz entwickelt diese ihre Fähigkeiten zudem immer weiter.

Allerdings kann die Nähe zum natürlichen Vorbild Segen und Fluch sein. Der Industriedesigner Sebastian Schrof, der seit 2014 als Entwickler im Bionik-Labor tätig ist, bringt es auf den Punkt: „Die Schwierigkeit ist, dass man dem Vorbild so nah wie möglich kommen will, aber immer im Kopf haben muss, dass das nicht zu hundert Prozent möglich ist.“

Roboterhand ist bislang nur ein Prototyp

Noch ist die flexible Roboterhand ohnehin nur ein Prototyp, bis zur Serienreife ist noch viel Entwicklungsarbeit nötig. Anders sieht das beim sogenannten „Flex Shape Gripper“ aus, der ebenfalls im Bionik-Labor entwickelt wurde und dessen Funktion der Zunge eines Chamäleons nachempfunden ist. Das Chamäleon kann verschiedenste Insekten fangen, indem sich seine Zunge über die Beute stülpt und sie umschließt. Dieses Prinzip macht man sich bei Festo zunutze: Die elastische Silikonkappe des Greifers kann sich über Objekte verschiedenster Form stülpen und so auch empfindliche Güter sanft greifen, halten und anreichen. Das Produkt sei bereits in Serie gegangen und in verschiedenen Branchen im Einsatz, berichtet Karoline von Häfen – gerne genutzt werde es etwa beim Kommissionieren oder beim Packen von Kisten.

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Allerdings wird im Bionik-Labor von Festo nicht nur an Produkten für ganz bestimmte Anwendungen getüftelt. Zwar suche man in der Bionik gezielt nach Antworten in der Natur, so Karoline von Häfen. Aber es gebe auch Prinzipien, die man einfach aufgrund ihrer Faszination nachbauen wolle – und hoffe, damit vielleicht Vorreiter für Innovationen zu sein oder bestimmten Trends vorzugreifen. Dazu gehört etwa der „Bionic Wheel Bot“, eine künstliche Spinne, deren Funktionen von der sogenannten Radlerspinne inspiriert wurden. Diese Wüstenspinne kann sich unter anderem durch Rollen fortbewegen – damit nutze sie gewissermaßen das Rad als Fortbewegungsmittel, erklärt der Mechatroniker Dominic Micha. Ihr automatisiertes Pendant kann ebenfalls rollen – allerdings nur ein Mal in Folge, und das ist schon ein hochkomplexes Unterfangen. Regelungstechnisch sei das Rollen sehr anspruchsvoll, erklärt Karoline von Häfen. Es gebe zwar noch keine Anwendung dafür in der Industrie, aber das könne noch kommen.

Darüber hinaus wurden im Bionik-Labor auch die Flugobjekte „Bionic Flying Fox“, der dem Flughund nachempfunden wurde, und „Bionic Swift“ nach dem Vorbild der Schwalbe entwickelt. Woran man für die nächste Hannover Messe tüftelt, ist noch ein Geheimnis. Das wird erst bei der Veranstaltung selbst im kommenden April verraten.

Global vernetztes Familienunternehmen

Festo
Die Firma Festo ist ein Familienunternehmen mit Sitz in Esslingen. Nach eigenen Angaben liefert das Unternehmen pneumatische und elektrische Automatisierungstechnik für rund 300 000 Kunden der Fabrik- und Prozessautomatisierung in über 35 Branchen. Dabei wachse die Bedeutung von Medizin- und Labortechnik. Laut Festo erwirtschafteten im Jahr 2020 weltweit rund 20 000 Mitarbeiter in 61 Ländern mit über 250 Niederlassungen einen Umsatz von etwa 2,84 Milliarden Euro.

Bionik-Labor
Im Bionik-Labor der Firma Festo wird versucht, Lösungen aus der Natur auf Prozesse in der Automation zu übertragen und diese so effizienter zu gestalten. Dabei wird unter anderem versucht, die sogenannte Soft-Robotik voranzutreiben, die das gefahrlose Zusammenarbeiten von Mensch und Maschine ermöglichen soll. Im Vordergrund steht die Frage, was überhaupt möglich ist. Dafür werden Prototypen erstellt – ob diese in Serie gehen, wird erst im Nachgang entschieden. Erste Ansätze im Bereich der Bionik gab es bei Festo bereits in den 1990er Jahren, seit Gründung des Bionik-Netzwerks 2009 kann auch mit anderen Partnern zusammen gearbeitet werden.