Hensoldt aus Taufkirchen bei München ist ein Rüstungselektronikkonzern, der es gerade passend zur neuen Bedeutung der Branche in den Börsenindex M-Dax geschafft hat. Foto: dpa/Lino Mirgeler

Die Zeitenwende ist vor allem auch eine für die Rüstungsindustrie. Thomas Müller, der Chef des Rüstungselektronikkonzerns Hensoldt, spricht da Klartext. An die Klimaaktivisten verteilt er Lob.

Thomas Müller vertritt provozierende Standpunkte. „Wir müssten auf unsere Klimaaktivisten unheimlich stolz sein“, sagt der im Gespräch bisweilen väterlich wirkende 64-jährige Manager. Denn sie zeigten, was an Freiheit und Protest in Deutschland möglich sei im Gegensatz zu Nationen wie Russland, der Türkei oder Ungarn. Binnen Minuten wären dort Klimakleberaktionen beendet, schätzt der Hensoldt-Chef.

Verschämtes sucht man bei Müller vergebens

Bei solchen Worten beginnt man an seiner Branchenzugehörigkeit zu zweifeln. Hensoldt aus Taufkirchen bei München ist ein Rüstungselektronikkonzern, der es gerade passend zur neuen Bedeutung der Branche in den Börsenindex M-Dax geschafft hat. Auch mit Blick auf seine Branche wählt Müller klare Worte. „Eine neue Ära liegt vor der Rüstungsindustrie“, betont er vor dem Club Wirtschaftspresse München – mit einer Anmerkung versehen: „Ich ziehe dieses Wort dem der Verteidigungsindustrie vor, denn es ist genau das – Rüstung.“ Verschämtes sucht man beim Rüstungsmanager vergebens.

Er macht auch klar, warum das so ist. „Ich warne davor, Russland zu unterschätzen“, betont er angesichts der Beharrlichkeit von Russlands Diktator Wladimir Putin. „Die Russen sind lernfähig, und sie lernen gerade“, beobachtet Müller. Die Geschichte zeige, dass Russland immer eine Zeit gebraucht habe, um in militärischen Konflikten erfolgreich zu sein. Und Russland sei nicht das einzige Problem, das die globale Sicherheitsarchitektur bedrohe.

Thomas Müller Foto: Hensoldt

Für seine Branche sind gute Zeiten angebrochen

Wenn Müller dann von China und Taiwan spricht, wo ein Großteil aller Computerchips weltweit produziert werden, oder dem kurz vor einer Atombombe stehenden Terrorregime in Iran, durchziehen Sorgenfalten sein Gesicht. Der Epochenwechsel, den die Welt gerade erlebe, sei fundamental, und er werde in eine anhaltend diffuse Konfliktordnung münden, sagt der 64-Jährige voraus.

Für seine vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine mit einem Schmuddelimage kämpfende Branche fließt damit nun Milch und Honig, räumt er ein. Hensoldt steht dabei für moderne Hightechkriegsführung. Keine Rakete trifft ohne die Radargeräte, kein Panzer ohne Optronik. Die erst 2017 gegründete Airbus-Abspaltung ist ein Elektronikspezialist, wie es ihn in Deutschland kein zweites Mal gibt. Europaweit ist nur die französische Thales im Bereich Rüstungselektonik größer, das allerdings um ein Mehrfaches. Auf 17,6 Milliarden Euro Umsatz kamen die Franzosen 2022. Hensoldt, das seine Erlöse seit der Airbus-Abspaltung verdoppelt hat, erlöste zuletzt 1,7 Milliarden Euro. Für 2023 peilt Müller zwei Milliarden Euro an.

Hensoldt will massiv Stellen aufbauen

Erste Aufträge aus dem 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen Bundeswehr sollen endlich in Taufkirchen ankommen. Kapazitätsaufbau ist die Folge. Bei der Produktion hochpräziser Radarsysteme, von denen zwei bereits in der Ukraine ihren Dienst tun und zwei weitere bestellt sind, geht Hensoldt in Vorleistung und baut auf Halde, um Lieferzeiten zu verkürzen, sagt Müller. Das schafft Stellen. Dieses Jahr würden 600 Jobs aufgebaut und in den drei Folgejahren weitere rund 1000 auf dann rund 8000 Arbeitsplätze, kündigt Müller an.

Betroffen seien vor allem deutsche Standorte, deren größte in Baden-Württemberg liegen. Allein in Ulm arbeiten knapp 2800 Leute. Danach folgen Oberkochen mit 800 und die Zentrale in Taufkirchen mit 520 Mitarbeitern. Technologisch bleibe Hensoldt bei der Elektronik – unter zunehmender Zuhilfenahme Künstlicher Intelligenz. Man werde nicht diversifizieren, stellt Müller klar. Er sieht seinen Konzern als Keimzelle für eine neue paneuropäische Konsolidierung in der Rüstungselektronik. Ein zweites Schwergewicht neben Thales könne so entstehen.

Müller baut auf mehr Kooperationswillen bei der Politik

Neben industriellem sei aber auch politisches Zusammenrücken in Europa nötig. „Wir können uns nationale Alleingänge nicht mehr erlauben“, sagt er im Angesicht einer vielfach noch an nationalen Egoismen orientierten Beschaffungspolitik. Müller nennt entlarvende Zahlen. Mit 32 großen Waffensystemen kämen die USA als größte Militärmacht der Erde aus. 177 solcher Systeme erlaube sich Europa, was große Zersplitterung und Verschwendung mit sich bringt. Weniger wäre an der Stelle deutlich mehr, was aber die Politik entscheidet. „Gebt Brüssel fünf Milliarden Euro, um Waffensysteme für Europa zu beschaffen“, appelliert Müller – im Wissen, dass das nicht passieren wird. Vor allem auch das militärisch-industrielle Selbstbewusstsein Frankreichs stehe dem entgegen.

Andernorts aber baut Müller auf mehr Kooperationswillen seitens Industrie und Politik. Auch mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahlen 2024 sei das eventuell bitter nötig. Denn bei einem republikanischen US-Präsidenten Donald Trump oder Ron de Santis brauche Europa voraussichtlich dringend mehr Rüstungssouveränität.

Die Firma und ihre Geschichte

Beginn
Der Firmenname geht auf Moritz Carl Hensoldt zurück, der 1852 in Wetzlar eine optische Werkstatt für Fernrohre aller Art gegründet hat. An diesem Standort fertigt die heutige Hensoldt immer noch. 2017 wurde sie von Airbus an den Finanzinvestor KKR verkauft und ging 2020 an die Börse. Heutige Ankeraktionäre sind der Bund und der italienische Rüstungskonzern Leonardo, die je gut ein Viertel der Aktien halten. Seit Ende März notiert Hensoldt im M-Dax.

Mitarbeiter
Der Rüstungselektronikspezialist beschäftigt konzernweit aktuell 6500 Mitarbeiter, von denen mit 4700 Beschäftigten die meisten in Deutschland tätig sind. Größere Standorte im Ausland sind in Südafrika, Frankreich und Großbritannien.

Produkte
Bekanntestes Produkt von Hensoldt ist das Hochleistungsradar TRML, das jetzt in der Ukraine unter anderem dazu dient, dass Iris-T-Abwehrraketen russische Raketen abfangen. Auch Panzer wie den Leopard 2 unterstützt Hensoldt-Elektronik.