Geladene Wortkanone: Henry Rollins hat stets was zu erzählen Foto: AP

Kleine Weltreise im Wizemann: Die US-Undergroundlegende Henry Rollins berichtet in Stuttgart vom Leben auch an unwirtlichen Orten.

Stuttgart - Auf die Sekunde genau um 20 Uhr kommt Henry Rollins auf die Bühne spaziert. Zweieinviertel Stunden später wird er sie nach einer knappen Verbeugung und einer glänzenden Schlusswendung wieder verlassen. Dazwischen steht er die ganze Zeit, trinkt keinen Tropfen Wasser, legt sein Mikrofon keine Sekunde aus der Hand, setzt es nicht einmal nennenswert vom Mund ab, gönnt sich keinen Atemzug Pause – und redet in kalaschnikowartigem Schnellfeuertempo in einer nicht endenden Kaskade von Worten in einem fort durch.

Ermüdend gerät das aber in keinem Moment dieses wunderbaren Abends; weder für den nach wie vor wahnsinnig austrainiert wirkenden Mann am Mikrofon, noch für das am Mittwochabend zahlreich ins Wizemann geströmte Publikum. Weil der glänzend phrasierende und seine Stimme modulierende Henry Rollins ein begnadeter Vortragsredner ist. Weil er es wie kaum ein anderer schafft, einerseits vom Hölzchen aufs Stöckchen zu kommen und anderseits stets den großen Bogen im Blick zu behalten, den er inhaltlich immer wieder aufgreift und am Ende auch überzeugend zu etwas Rundem schließt. Aber vor allem, weil er klug, fesselnd, ergreifend, zutiefst menschlich ohne jegliche Moralinsäuernis und anklagend ohne einen Anflug von Selbstgerechtigkeit oder belehrender Besserwisserei einfach nur über sein Leben sprechen kann. Und das Leben als solches.

Von Nordkorea zur Antarktis

Vordergründig betrachtet handelt es sich um einen Dia-Abend mit dem Onkel aus Amerika, der über seine Weltreisen berichtet. Denn in der Tat hat Rollins diesmal ein ganzes Fotoalbum dabei, das er auf die Leinwand im Bühnenhintergrund werfen lässt. Von zwei Ausnahmen abgesehen hat er diese Bilder selbst aufgenommen, sie überzeugen in ihrer Qualität, Ausdrucksstärke und dem Blick für den besonderen Moment – aber sie dienen ihm in erster Linie als Rüstzeug, als Grundlage für die Geschichten, die Henry Rollins um sie webt. Denn der einstige Sänger der stilbildenden Hardcorepunkband Black Flag, Vorsteher seiner eigenen Rollins Band, Filmschauspieler, Spoken-Word-Performer, Schriftsteller, Verleger, Talkshowmoderator und Freund ausgiebiger Tourneen, ist in einer der genannten Funktionen schon in so ziemlich jeder größeren Stadt in so ziemlich jedem zivilisierten Land auf Erden zu Gast gewesen. Doch darum geht es auf seiner aktuellen Tour, von ihm „Henry Rollins Travel Slideshow“ betitelt, nicht. Es geht um die abseitigen Orte, eben jene, an denen der Weltenbummler Rollins bislang noch nicht war. Und an die es so manch andere auch nicht ziehen mag.