Heisskalt im Zwölfzehn: Marius Bornmann, Philipp Koch, Mathias Bloech und Lukas Mayer Foto: Peter Michael Petsch

Das Label Chimperator ist mehr als Cro und Die Orsons, mehr als Hip-Hop. An diesem Freitag erscheint „Vom Stehen und Fallen“, das Debüt von Heisskalt, dem ersten Rockact des Stuttgarter Erfolgslabels.

Stuttgart - „Wenn unsere Platte ein Film wäre, wäre sie ein romantischer, ein trauriger, ein leicht hoffnungsvoller und ein sehr melancholischer Film“, sagt Mathias Bloech, der bei Heisskalt singt. „Und ein wütender Film“, ergänzt Bassist Lukas Mayer. Gitarrist Philipp Koch und Schlagzeuger Marius Bornmann nicken eifrig. Und sie haben recht: „Vom Stehen und Fallen“ ist ein vielseitiges Album. Mal erinnern die verzerrten Gitarren und Bloechs Schreien, an den Post-Hardcore, der Band musikalisch prägte, mal deuten sanfte Klänge und melodischer Gesang in hymnischen Refrains eine deutliche Popnote und Chartpotenzial an. Mal gibt es sphärische, ambientartige Klanggebilde und mit extremen Halleffekten verzierte, kunstvolle Gitarrenpassagen, mal dezente Synthesizer. Und das alles häufig in einem einzigen Lied.

Die vier sympathischen Jungs sitzen im Stuttgarter Club Zwölfzehn. Hier haben sie einige Tage für die anstehende Tour geprobt und wirken entspannt. Und das obwohl die Erwartungen hoch sind. Schließlich gibt es nicht wenige, die glauben, dass Heisskalt das nächste große Ding in Sachen deutschsprachiger Rockmusik werden könnten.

Im Herbst 2010 hat die Band zusammengefunden. Zwei EPs und gut drei Jahre später hat sich für sie vieles verändert. Vor allem wegen des Vertrags, den Heisskalt bei dem Independent-Label Chimperator unterschrieben hat, das ebenfalls in Stuttgart zu Hause und dank Cro und den Orsons eine feste Größe in der deutschen Musikindustrie ist. In Stuttgart müssen Heisskalt sowieso keinem mehr etwas beweisen: Die Karten für ihr Konzert am 17. Mai im Universum waren so schnell ausverkauft, dass gleich noch ein zweites Konzert am 16. Mai organisiert wurde – für das es auch schon fast keine Karten mehr gibt. Im Vorprogramm treten übrigens An Early Cascade auf – eine Band, die Heisskalt so sehr bewundern, dass sie ihnen gleich in einem ihrer Songs mit einer Textzeile ein Denkmal setzen: „Die Lichter der Stadt / Eine frühe Kaskade.“

Einer der Songs, der den Charakter von „Vom Stehen und Fallen“ besonders gut repräsentiert, ist „Identitätsstiftend“. Alles beginnt mit hallendem Gitarrenspiel, zu dem Bloech mit leicht brüchiger Stimme eröffnet: „Ich atme die Nacht ein / Luft anhalten / abtauchen.“ Nach einer Minute herrscht für einen Moment Stille. Dann setzen die anderen Instrumente mit voller Wucht ein, der Gesang wird zweistimmig und aggressiv, die Stimmen von Bloech und Koch überschlagen sich. „Mit 200 gegen die Wand“, schreit Bloech. Aber auch die Wut ist nur von kurzer Dauer. Es folgt ein tragender, hymnischer Refrain, mit mehrstimmigem, melodischem Gesang. All diese Elemente wechseln sich ständig ab, bis der Song nach einem hallenden Gitarrengewitter ausklingt. Das Lied, auf das sich alle Bandmitglieder einigen können, ist jedoch ein anderes und heißt „Gipfelkreuz“.

Immer wieder singt Bloech seine Text nicht, sondern spricht sie. Will das Label Chimperator womöglich die Rocker zu Rappern umerziehen? Heisskalt widersprechen und sind sich einig, dass der Sprechgesang an sich nichts mit Hip-Hop zu tun haben muss. Der Hip-Hop-Einfluss auf sie sei durch den Kontakt zu Chimperator zwar größer geworden, sie würden zurzeit zum Beispiel privat mehr Hip-Hop hören als früher. mehr Sprechgesang in ihre Musik einzubinden sei jedoch keine bewusste Entscheidung gewesen. „Schon bei unserem allerersten Song habe ich den Text nicht gesungen, sondern gesprochen“, sagt Bloech: „Sprechen hat als Ausdrucksform in der deutschen Musik seinen Platz“ – auch abseits vom Deutschrap.

Während Bloech die ersten Heisskalt-Songs noch allein schrieb, haben die Bandmitglieder die Musik der Songs auf „Vom Stehen und Fallen“ zusammen geschrieben. Das tut der Platte gut, die ausgewogen und durchdacht klingt. „Wir haben uns Gedanken gemacht, ob es Übergänge und einen Spannungsbogen geben soll. Denn wir finden, das Album als Format hat noch seine Daseinsberechtigung“, sagt Lukas Mayer. Tatsächlich klingt das Album nicht wie eine Ansammlung einzelner Lieder, obwohl dies die Vermarktung im digitalen Zeitalter erleichtern könnte, sondern wirklich wie ein romantischer, trauriger, wütender Film mit einem offenen Ende.

Die Texte schreibt Bloech immer noch meistens allein, weil es ihm schwerfällt, bei so persönlichen Storys „Input von außen“ zuzulassen. Es geht häufig um Liebe und Trauer, um Hoffnung, Wut und Träume. Heisskalt singen aber auch von der Rebellion in einer Welt, in der es hauptsächlich darum geht zu funktionieren, einer Gesellschaft, in der man lieber auf der sicheren Seite ist, das Risiko scheut und damit viele Chancen verpasst, einer Welt, in der „vieles scheitert, weil man aneinander vorbeiredet“. Das klingt manchmal poetisch, meistens direkt, manchmal aber auch sogar ein bisschen pathetisch und kitschig.

Und was, wenn das Album eine Farbe wäre? „Man schaut am besten einfach auf unser Cover“, sagt Bornmann.. „Ja, Rot und Blau“, bestärkt ihn Philipp Koch. „Aber eher ein dunkles Nachtblau, kein helles Azur-Floridablau“, präzisiert Bloech.