Birgit Schweickhardt und Alexandra Ickrath (rechts) machen einen Ultraschall bei einer Patientin Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

In fünf Jahren geht ein Drittel aller Hausärzte in Stuttgart in den Ruhestand. Experten warnen vor einem bevorstehenden Mangel in der hausärztlichen Versorgung. Heute: Zwei unterschiedliche Stuttgarter Hausarztpraxen geben Einblicke in ihren Alltag.

Das Tandem

In der Praxis der „Hausärzte im Westen“ von Allgemeinmedizinerin Dr. Alexandra Ickrath und Internistin Birgit Schweickhardt beginnt der Morgen in der Regel mit einem gemeinsamen Frühstück aller Mitarbeiter. „Manchmal wird es allerdings 12 Uhr, bis wir Zeit für dieses Frühstück finden“, sagt Alexandra Ickrath. Doch egal zu welcher Uhrzeit – der Austausch in der kleinen Küche sei ihnen wichtig.

Die Praxis, die die beiden Frauen seit einem Jahr führen, unterscheidet sich von vielen Hausarzt-Praxen durch die hohen, lichtdurchfluteten Räume, die für die Häuser im Stuttgarter Westen typisch sind. In einem Detail unterscheidet sich die Praxis jedoch auch von anderen: Sie liegt im zweiten Stock, einen Aufzug gibt es nicht. Für Patienten, denen der Aufstieg schwerfällt, haben die Hausärztinnen deshalb an den Treppenabsätzen Stühle aufgestellt. „Der fehlende Aufzug hat uns erst schon zu denken gegeben. Aber die Patienten hier im Stuttgarter Westen sind das Treppensteigen von ihrem Zuhause gewohnt“, sagt Ickrath.

"Keine von uns wollte und konnte eine 60-Stunden-Arbeitswoche absolvieren"

Bereits vor einigen Jahren hatten die Medizinerinnen die Idee, sich selbstständig zu machen. Doch dazu hatte immer die richtige Praxis gefehlt: „Entweder war sie zu weit von unserem Wohnort entfernt, zu teuer, oder die Räume haben nicht gestimmt“, erzählt Birgit Schweickhardt. Die 50-Jährige machte ihre internistische Facharztausbildung am Stuttgarter Marienhospital, wo sie anschließend als Internistin in der Notaufnahme der Inneren Abteilung tätig war. Dennoch wechselte sie in eine Hausarzt-Praxis in Stuttgart-Büsnau, wo sie als Angestellte arbeitete.

Auch ihre Kollegin Alexandra Ickrath war im Krankenhaus tätig – erst in der Radiologie des Diakonie-Klinikums und des Katharinenhospitals. Anschließend machte sie ihren Facharzt in Allgemeinmedizin und praktizierte als angestellte Ärztin in einer Hausarzt-Praxis und am Marienhospital in der Inneren Notaufnahme. „Viele Mediziner wollen sich heute erst etwas Zeit lassen, bevor sie sich selbstständig machen“, berichtet Schweickhardt. Auch die beiden Ärztinnen wollten sich nicht um jeden Preis niederlassen. Für sie stand die Vereinbarkeit von Job und Familie im Vordergrund: „Keine von uns wollte und konnte eine 60-Stunden-Arbeitswoche absolvieren“, sagt die 50-jährige Alexandra Ickrath.

"Bei uns gibt es keine langen Wartezeiten"

Doch als sie mitbekamen, dass die Praxis im Westen – in ihrer Wohnortnähe – Nachfolger suchte, stimmte plötzlich alles, und der Schritt in die Selbstständigkeit fiel leicht. „Wir haben nur ein neues Ultraschall-Gerät gekauft, ansonsten war die Praxis in einem ausgezeichneten Zustand“, sagen die Ärztinnen. Einen Großteil der Patientenkartei konnten die Ärztinnen übernehmen und neue dazugewinnen. Weitere Patienten können sie nach wie vor noch aufnehmen. „Bei uns gibt es keine langen Wartezeiten – was auch durch die Arbeitsteilung zwischen uns möglich ist“, sagt Ickrath. Zusammen kommen sie auf 60 Arbeitsstunden in der Woche.

Als einen großen Vorteil sehen sie ihre langjährige Arbeit in der Klinik an: „Wir haben dadurch persönliche Kontakte zu den Ärzten in drei großen Stuttgarter Kliniken und zu vielen niedergelassenen Fachärzten.“ Noch nie haben sie die Erfahrung gemacht, von den Kollegen belächelt zu werden, weil sie sich für den Beruf des Hausarztes entschieden haben. „Wir brauchen uns doch alle gegenseitig“, sagt Ickrath.

Um den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen, kam für sie aber nur eine Gemeinschaftspraxis infrage: „Wir teilen nicht nur Sprechzeiten und Hausbesuche auf, sondern können uns auch über Patienten austauschen“, sagt Schweickhardt. Der größte Vorteil sei aber, dass sie die lästigen Verwaltungsaufgaben eines „undurchsichtigen Gesundheitssystems“ gemeinsam bewältigen können. Doch auch wenn sie sich die Arbeit teilen – um 18 Uhr ist oft noch nicht Feierabend.

„Bei einer ernsten Diagnose rufen wir den Patienten natürlich auch abends an“, sagt Ickrath. Denn für die beiden Hausärztinnen macht der enge und vertrauensvolle Umgang mit den Patienten den Reiz an ihrem Beruf aus. Schweickhardt:„Wir bereuen es nicht, uns selbstständig gemacht zu haben. Der Beruf des Hausarztes ist wundervoll.“

Der Einzelkämpfer

In seiner Praxis in Bad Cannstatt ist Hausarzt Dr. Markus Klett bereits seit 32 Jahren sein eigener Chef. Und hat damit auch die alleinige Verantwortung für seine Patienten, Angestellten und die Praxis. „14 Stunden am Tag zu arbeiten ist für mich normal“, sagt der 66-Jährige. Die Praxis übernahm er von seinem Vater und wusste daher, welches Arbeitspensum auf ihn zukommt. Welche betriebswirtschaftlichen Herausforderungen die Selbstständigkeit mit sich bringt, war ihm dagegen nicht bewusst: „Im Studium wird man auch heute noch nicht darauf vorbereitet. Das musste ich mir also selbst aneignen“, sagt er.

Der Beruf des Hausarztes ist für ihn noch immer spannend. „Als Frontmann bin ich derjenige, der entscheidet, ob ein Patient ernsthaft erkrankt ist oder nicht“, sagt Klett. Klage der Patient beispielsweise über Schwindel, könne dies zahlreiche Ursachen haben. „Man muss immer damit rechnen, dass etwas Unerwartetes passiert.“ Von Anfang an habe er sich gegen eine „Drehtür-Praxis, in der die Patienten im Fünf-Minuten-Takt durchgeschleust werden“, und für eine individuelle Praxis entschieden.

"Im Schnitt benötige ich pro Patient 20 Minuten"

„Im Schnitt benötige ich pro Patient 20 Minuten.“ Seine Patienten, sagt Klett, nehmen es in Kauf, auch mal länger im Wartezimmer zu sitzen, wenn er sich anschließend Zeit für sie nimmt. Eine Methode, die sich wirtschaftlich nicht unbedingt lohnt. Denn Klett verdient pro Patient. Je mehr Patienten er behandelt, desto mehr Geld zahlen ihm die Krankenkassen. „Man wird in ein Zeitraster eingekeilt“, findet er. Doch für ihn ist die Sorge um die Patienten wichtiger als ein möglichst hoher Gewinn: „Wer nur deshalb Arzt wird, weil er einen Porsche fahren will, wird in dem Beruf nicht glücklich werden.“

In der Ärzte-Generation von Klett war es noch selbstverständlich, dass die Grenze zwischen Privatleben und Beruf praktisch nicht existierte. „Früher hatte ich nicht einmal einen Anrufbeantworter eingeschaltet, sondern bin auch nach Feierabend ans Telefon gegangen“, sagt er. Auch am Wochenende habe er in Notfällen zur Stelle sein müssen. „Ich erinnere mich an einen Horrordienst am ersten Weihnachtsfeiertag, als ich 24 Stunden durcharbeiten musste.“

Inzwischen hat sich sein Arbeitsalltag dank der Notfallpraxis Stuttgart im Marienhospital erheblich verbessert. Als zentrale Anlaufstelle steht die Einrichtung seit 19 Jahren immer dann zur Verfügung, wenn die Arztpraxen geschlossen haben. So kann Klett seine Praxis auch freitagnachmittags mit gutem Gewissen früher schließen.

Wichtig, den Wert der Praxis zu erhalten

Dennoch muss auch Klett betriebswirtschaftlich denken. Um die Praxis stets auf dem neusten Stand zu halten, investiert er regelmäßig in neue medizinische Geräte, moderne EDV oder – damit sich seine Patienten wohlfühlen – auch in die Einrichtung. „Deshalb ist es mir natürlich wichtig, den Wert der Praxis zu erhalten, auch wenn ich eines Tages in den Ruhestand gehe.“

Auch wenn dieser Tag für ihn noch nicht in Sicht ist, macht er sich Gedanken, wie es weitergehen wird. Denn von Kollegen weiß er, dass die Suche nach einem Nachfolger auch für eine gutgehende Praxis schwierig sein kann. „Ich könnte mir vorstellen, eine Gemeinschaftspraxis mit einem Gynäkologen oder Kinderheilkundler zu führen und so die Arbeitszeit zunächst zu reduzieren.“ Vielleicht würde es sich dabei sogar um seine Tochter handeln, die Medizin studiert und Gynäkologin werden will. Doch von seinen Patienten – die er teilweise schon jahrelang begleitet – will er sich noch nicht trennen: „Einer meiner Patienten hat seine Jugendschutz-Untersuchung bei meinem Vater gemacht – inzwischen ist der Patient in Rente.“