Durchsetzungsstark im rechten Rückraum: Steffen Weinhold ist der neue Kapitän der deutschen Handball-Nationalmannschaft Foto: dpa

Auf Steffen Weinhold kommt viel zu bei der EM in Polen (15. bis 31. Januar): Der Linkshänder vom THW Kiel ist der neue Kapitän des Nationalteams. Im Interview spricht er über den letzten Test in Stuttgart und die extrem hohen Belastungen im Handball.

- Herr Weinhold, sind Sie gut ins neue Jahr 2016 gestartet?
Ja. Wir hatten bis 30. Dezember einen Lehrgang mit der Nationalmannschaft in Berlin – und dann zum Glück zwei Tage frei.
Wo haben Sie gefeiert?
In Leogang in Österreich.
Sie sind begeisterter Skifahrer, aber wir dachten bisher, Vereine würden ihren Profis das Skifahren vertraglich verbieten.
Ich weiß gar nicht so genau, was in meinem Vertrag steht (lächelt). Aber es hatte ohnehin keinen Schnee, insofern hat sich die Frage auch nicht gestellt.
Seit Samstag wird die EM-Vorbereitung in Stuttgart fortgesetzt, an diesem Dienstag (20.15 Uhr) geht es in der Porsche-Arena gegen Tunesien. Wie wichtig ist dieser Test?
Sehr wichtig. Wir haben vor der EM nur noch drei Spiele, die wir unbedingt gut gestalten wollen, um in positiver Stimmung nach Polen reisen zu können.
Von guter Laune konnte zuletzt keine Rede sein – es gab zu viele schlechte Nachrichten.
Stimmt. Die vielen Ausfälle tun richtig weh.
Schon länger steht fest, dass aus dem Team, das bei der WM 2015 in Katar im Viertelfinale stand, Patrick Wienczek (Kreuzbandriss) und Paul Drux (Schulter-OP) fehlen werden. Dann hat es Ende Dezember auch noch die Flügelzange Uwe Gensheimer (Muskelfaserriss in der Wade) und Patrick Groetzki (Wadenbeinbruch) erwischt. Ist das überhaupt wegzustecken?
Das sind vier enorm wichtige Stützen unserer Mannschaft. Vor allem für Uwe Gensheimer und Patrick Groetzki, die kurzfristig ausgefallen sind, ist es natürlich richtig bitter. Und dazu kommt ja noch Michael Allendorf, der wegen eines Sehnenrisses in der Hüfte absagen musste. Trotzdem sage ich: Es wird zwar nicht einfach, aber die Ausfälle sind zu kompensieren.
Wirklich?
Ja. Wir haben viele junge Spieler mit großem Potenzial, wie zum Beispiel Christian Dissinger, die sich bei ihrem ersten großen Turnier beweisen wollen. Und es hilft ja jetzt nichts, über die Ausfälle zu klagen. Auch wenn’s banal klingt: Wir müssen und werden das Beste draus machen.
Auf Sie wird es dabei besonders ankommen.
Das weiß ich. Aber diese Verantwortung hatte ich vorher auch schon.
Hat Bundestrainer Dagur Sigurdsson schon mit Ihnen darüber gesprochen, wer statt Uwe Gensheimer Kapitän des Teams sein wird?
Ja.
Und?
Ich.
Herzlichen Glückwunsch. Das bedeutet noch mehr Verantwortung.
Es ist eine Ehre für mich, die Mannschaft als Kapitän anzuführen. Aber letztlich werde ich deshalb auch nicht viel mehr gefordert sein als ohnehin.
Was ist bei der EM drin?
Eine gute Frage, die nur schwer zu beantworten ist. Wir treffen zunächst auf Spanien, Schweden und Slowenien. Das ist eine sehr schwere und ausgeglichene Vorrundengruppe. Viel wird davon abhängen, wie wir gegen Spanien ins Turnier starten. Letztlich ist alles möglich: Unter die ersten drei zu kommen und ein paar Punkte in die Hauptrunde mitzunehmen, aber auch, als Vierter schon in der Vorrunde auszuscheiden.
Wer holt den Titel?
Es gibt in Europa vier Teams, die ein Stück weit über den anderen stehen: Frankreich, Polen als Gastgeber, Dänemark und Spanien. Dahinter gibt es viele Mannschaften auf einem ähnlichen Level.
Wenn Deutschland ins Halbfinale einziehen würde, dann . . .
. . . wäre das eine Überraschung.
Schon im April folgt der nächste Höhepunkt. Haben Sie das Olympia-Qualifikationsturnier bereits im Hinterkopf?
Nein, jetzt zählt erst einmal die EM. Auch wenn ich schon sagen muss: In Rio dabei zu sein, das wäre ein Traum.
Obwohl Sie dann im Sommer wieder keine Pause hätten.
Für Olympia würde ich gerne auf meinen Urlaub verzichten. Allerdings sprechen Sie ein Problem an, das mich ziemlich belastet.
Der Terminkalender im Handball.
Richtig. Die vielen Verletzungen sind ja kein Zufall. Allein beim THW Kiel hatten wir im vergangenen Jahr drei Spieler mit Kreuzbandrissen. Oder nehmen Sie jetzt die Verletzungen von Gensheimer und Groetzki: Beide sind ohne Gegnereinwirkung passiert. Das hat natürlich mit der enorm hohen Belastung zu tun.
Diese Klage ist nicht neu, es ändert sich aber trotzdem nichts.
Und dabei wird es, fürchte ich, auch bleiben.
Hört sich ziemlich desillusioniert an.
Fakt ist: Es gibt viele Interessen von Vereinen, Verbänden, Vermarktern, die alle möglichst hohen Profit machen wollen. Und das geht nur mit vielen Turnieren und vielen Spielen. Deshalb wurden es zuletzt sogar eher noch mehr als weniger.
Was könnte geändert werden?
Einiges. Dass jetzt in der Champions League in Achtergruppen gespielt wird, aus denen sechs Mannschaften weiterkommen, ist sicher keine Lösung. Ich plädiere für eine frühere K.-o.-Runde wie im Fußball, das wäre zudem sportlich viel brisanter. Man müsste auch nicht jedes Jahr eine WM oder eine EM austragen. Oder man könnte die Bundesliga von 18 auf 16 Teams verkleinern.
Warum passiert das nicht?
Weil das Problem hauptsächlich die drei oder vier deutschen Vereine betrifft, die in der Champions League dabei sind und zudem viele Nationalspieler haben. Nur die Profis dieser Clubs kommen auf 80 Spiele im Jahr – die Topvereine anderer Länder, deren Ligen weniger attraktiv sind, wollen möglichst oft in der Champions League antreten. Und ein Bundesligist, der nicht europäisch spielt, hat natürlich andere Interessen als der THW Kiel, die Rhein-Neckar Löwen oder die SG Flensburg-Handewitt.
Die Folge ist . . .
. . . dass immer mehr Spieler verletzt sind oder, um hin und wieder regenerieren zu können, nicht mehr für ihr Land auflaufen. Und das stimmt mich traurig – denn letztlich leidet unter dieser hohen Belastung vor allem die Nationalmannschaft, die eigentlich das Zugpferd des Handballs sein sollte.
Ist der Termindruck auch ein Grund dafür, dass immer mehr Topstars die Bundesliga verlassen oder gar nicht erst nach Deutschland wechseln?
Das spielt natürlich eine Rolle, und das ist auch legitim. Abgesehen davon kann es aber auch interessant sein, in verschiedenen Ländern Handball zu spielen.
Gilt das auch für Sie? Sie haben Ihren Vertrag in Kiel bis 2020 verlängert.
Ich spiele gerne beim THW. Doch wenn ich gesund bleibe, kann ich ja auch noch mit 33 Jahren ins Ausland wechseln.
Die Bundesliga bezeichnet sich gerne als stärkste Liga der Welt. Ist sie das noch?
Es gibt mittlerweile absolute Spitzenteams in vielen Ländern. Aber in der Breite kann mit der Bundesliga nach wie vor keine andere Liga mithalten.