Sebastian Menzel ist an Multipler Sklerose erkrankt. Der Hallensprecher der Riesen Ludwigsburg will Menschen, die dieselbe Diagnose wie er bekommen, Hoffnung machen. Wie geht die Krankheit mit dem Job des Animateurs zusammen?
Sebastian Menzel ist Sportfan durch und durch. „Auch wenn meine kleine Wampe etwas anderes sagt“, sagt der 42-Jährige. Menzel redet frei von der Leber drauf los – das hilft ihm auch bei seinem Job als Sprecher der Basketballer MHP Riesen Ludwigsburg. Vorbereiten könne man sich dabei auf vieles, das müsse man sogar: Spieler, Statistiken, das Drumherum. Situativ zu reagieren sei aber die große Kunst, die man eigentlich nicht so richtig lernen könne. Oder wie es Menzel auch ausdrückt: „Man muss schon ein bisschen ein Laberkopf sein, das Rampensau-Gen haben.“
Menzel hat es. Mit elf oder zwölf moderierte er im Sommerurlaub in Griechenland seinen ersten Abend. Die Animateure waren auf ihn aufmerksam geworden, weil er „einfach nicht den Schnabel halten“ konnte. Die Leute zu unterhalten, das Publikum – bei den Erstliga-Basketballern sind es bei ausverkauftem Haus mehr als 4000 – auch mal zu dirigieren, „das macht Laune“, sagt er. Angst vor Fehlern dürfe man nicht haben. Aber die passierten jedem, sagt Menzel. „Wochenlang Bauchweh habe ich deshalb hinterher nicht.“
Moderator und MS: Wie passt das zusammen?
Dass Sebastian Menzel seine Sache nicht so schlecht macht, zeigt sich daran, dass immer mehr Vereine aus der Region Stuttgart ihn als Zeremonienmeister buchen: in der neuen Saison ist er auch bei Stuttgart Surge, die in der European League of Football (ELF), der höchsten europäischen Liga antreten, am Mikro. Der US-amerikanische Nationalsport mit dem eiförmigen Ball war auch der Einstieg für Menzel ins Sprecherbusiness. Vor 15 Jahren war das. Sein damaliger Mitbewohner fragte ihn, ob er nicht bei den Ludwigsburg Bulldogs eine Partie begleiten könne, nachdem der eigentliche Sprecher ausgefallen war. Weil der Sohn eines Berufssoldaten schon immer ein Faible für Randsportarten hatte, sagte er zu.
Wer Sebastian Menzel in der MHP-Arena beobachtet, der würde nie darauf kommen, dass er an Multiple Sklerose (MS) erkrankt ist. Wie die chronische Krankheit mit dem Animateurdasein zusammenpasst? „Eigentlich gar nicht“, sagt Menzel und schmunzelt. Wie für alle Betroffenen war die Diagnose vor zehn Jahren auch für ihn ein Schock. Menzel spricht von einem „Stopper, den dir das Leben reinhaut“. Die Bilder von der Zukunft, die sich in seinem Kopf breit machten, waren alles andere als lebensbejahend. „Man fällt in ein Loch und denkt: das Leben ist vorbei“, erinnert er sich.
Die Krankheit der 1000 Gesichter
Bei Menzel hatte sich die Krankheit erstmals durch Probleme mit den Augen bemerkbar gemacht. Die Probleme verschwanden wieder, als sie einige Zeit später wiederkamen, diagnostizierten die Ärzte in Stuttgart die MS. Multiple Sklerose wird häufig als „Krankheit der 1000 Gesichter“ beschrieben, die Verläufe sind sehr unterschiedlich. Sebastian Menzel gehört zu denjenigen, die eigentlich keine Einschränkungen haben. Die Therapie mit einem Medikament, mit dem ursprünglich Leukämiepatienten behandelt wurden, schlug an. Dass so eine Therapie wirkt, ist indes nicht garantiert.
Inspiration sei zwar ein „großes Wort“, aber ein Stück weit wolle er das für andere Betroffene sein. Dass das bei denjenigen, die wegen der Nervenkrankheit im Rollstuhl sitzen, nicht unbedingt klappen dürfte, dessen ist er sich bewusst. Aber bei denjenigen, die die Diagnose frisch bekommen und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, vielleicht schon. „Das Leben ist eben nicht zwangsläufig vorbei, auch wenn man das im ersten Moment denkt“, sagt Menzel, „dafür bin ich ein gutes Beispiel. Auch wenn es keine Blaupausen gibt.“
Ein nicht ganz ungefährliches Hobby zugelegt
Gleichwohl blickt er, seitdem er die Gewissheit hat, ein bisschen anders auf das Leben und lebt auch anders. Beruflich hat er sich umorientiert, ist von der Kulturbranche zu einem Pharmaunternehmen im Personalbereich gewechselt. „Einfach, weil ich ein bisschen mehr Sicherheit gebraucht habe“, sagt er. Die Sprecherjobs sind für ihn nach wie vor so etwas wie ein zeitaufwendiges Hobby mit Zusatzverdienst. Leben könnte er davon nicht.
Während Menzel beruflich auf Sicherheit gesetzt hat, hat er privat die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen: Nach der MS-Diagnose hat er mit Gleitschirmfliegen angefangen. Der 42-Jährige behauptet zwar, dass er sich „nicht bewusst das krasseste Hobby gesucht“ habe. Unbestritten ist: eine gewisse Risikobereitschaft braucht es dafür schon. „Ich wollte vielleicht ein bisschen mehr leben als davor“, so Menzel. Er schätzt die Zeit in luftiger Höhe auch deshalb, weil es dort ganz anders zugeht als auf den trubeligen Sportveranstaltungen. Ganz ruhig.
Dass er sich in kleineren Vereinen einbringen kann, das macht für Sebastian Menzel den Reiz an der Tätigkeit als Sprecher aus. Er bekomme auch viel zurück, beispielsweise, wenn er Jugendspieltage moderiere, profilieren wolle er sich nicht. „Es freut mich einfach, wenn ich etwas dazu beitragen kann, dass so ein Spieltag eine runde Sache ist“. Als „runde Sache“ beschreibt Sebastian Menzel sein Leben auch ganz allgemein. Seine Krankheit hat daran nichts geändert.
MS: Die Krankheit mit den 1000 Gesichtern
Person
Sebastian Menzel ist in Freyung (Niederbayern) geboren, derzeit wohnt er in Bad Wimpfen im Kreis Heilbronn. Der 42-Jährige hat an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen und der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg studiert. Mittlerweile arbeitet er für Boehringer Ingelheim. Für das Pharmaunternehmen sucht er Experten für schwer zu besetzende Stellen.
Krankheit
Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems. Aus bislang noch unbekannter Ursache werden die Schutzhüllen der Nervenbahnen an unterschiedlichen Stellen angegriffen und zerstört, Nervensignale können in der Folge nur noch verzögert oder gar nicht weitergeleitet werden. Die Symptome reichen von Taubheitsgefühlen über Seh-, Koordinations- und Konzentrationsstörungen bis hin zu Lähmungen.