85 Meter hoch wird die Filstalbrücke – neben den ersten Pfeilern stehen derzeit rot-blaue Hilfsstützen, die später wieder verschwinden. Foto: Horst Rudel

Beim Projekt Stuttgart 21 geht es meist um Tunnel. Doch im Zuge der Neubau- strecke nach Ulm wächst im Landkreis Göppingen eine Eisenbahnbrücke in die Höhe, die bald die dritthöchste in ganz Deutschland sein wird – und den Bauleuten alles abverlangt.

Mühlhausen - Der Blick geht senkrecht nach oben. Wie Riesenzahnstocher ragen die Baukräne 120 Meter in den Himmel. Wer im Filstal zwischen Mühlhausen im Täle und Wiesensteig hier vorbeikommt, muss den Kopf weit in den Nacken legen. Und wer oben arbeitet, braucht gute Nerven und ein gesundes Verhältnis zur Höhe. Daneben wachsen gewaltige Brückenpfeiler paarweise empor. Und an beiden Hängen des Tals finden sich bereits Tunnelportale.

Hoch über dem malerischen Filstal entsteht derzeit eine der spektakulärsten Bahnbrücken Deutschlands. Im Zuge der Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm wird sie dereinst den Boßler- und den Steinbühltunnel verbinden. Mit 85 Meter Höhe wird die Filstalbrücke dann die dritthöchste Eisenbahnbrücke der Republik sein.

Aber nicht nur das. „Die Strecke führt direkt aus dem einen Tunnel auf die Brücke und dann in den nächsten Tunnel hinein“, sagt Jörg Rainer Müller, Leiter des Projektabschnitts Albaufstieg. „Das ist auch für die Bahn etwas Besonderes und für uns eine große Herausforderung.“ Die Neubaustrecke werde „immer mit Erdarbeiten unter der Grasnarbe verbunden, da tritt dieses elegante Bauwerk fast in den Hintergrund“, sagt er mit Bedauern. 60 000 Kubikmeter Beton und 9000 Tonnen Stahl werden verbaut.

In sieben Sekunden über die Brücke

Eine gigantische Masse – und doch soll die Brücke nachher mit ihren zwei Haupt- und fünf Nebenpfeilern sowie y-förmigen Schrägstützen sehr filigran wirken. „Das wird alles sehr schlank“, sagt Igor Zaidman, Chef der Brückenbaustelle. Das liegt auch daran, dass es sich genau genommen nicht um eine Brücke handelt, sondern um zwei. Weil die beiden Tunnel für die Strecke direkt am Hang enden, bleibt kein Platz, die Gleise zusammenzuführen. Also entstehen zwei Tragwerke, das eine 485, das andere 472 Meter lang, in einem Abstand von 30 Metern. Die Strecke steigt von einem Portal zum anderen an. Fahrgäste werden sich künftig beeilen müssen, die Brücken überhaupt zu bemerken: Bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 250 Stundenkilometern ist die Stelle in sieben Sekunden passiert.

Doch auch Autofahrer werden ausreichend Gelegenheit bekommen, das neue Bauwerk zu bestaunen. Denn sie werden auf der A 8 nur 20 Meter darunter durchrauschen. „Das ist der Höhepunkt und technisch sehr anspruchsvoll“, sagt Zaidman und schaut von der Baustelle auf den knapp unter seinen Füßen vorbeifließenden Verkehr am Albaufstieg. Alles ist hier steil, für die Bauleute und ihre Behelfsstraßen bleibt kaum Platz. Sperrungen der Autobahn werden sich irgendwann nicht vermeiden lassen – für die Arbeiten direkt über den Köpfen der Autofahrer muss ein Schutzdach errichtet werden.

Seitenwechsel. Am Hang des Boßlertunnels wird in luftiger Höhe ein riesiges Puzzle zusammengesetzt. 10 000 Schrauben halten eine 800 Tonnen schwere Stahlkonstruktion zusammen. Diese sogenannte Vorschubrüstung soll Ende des Monats fertig sein. Mit ihrer Hilfe werden die 8,40 Meter schmalen Tragwerke für die Gleise betoniert. Jeder Abschnitt ist 50 Meter lang, danach wird der untere Teil des Stahlmonsters zur Seite geklappt und der ganze Koloss nach vorne geschoben, wo das Spiel von vorn beginnt. So wächst die Brücke in Richtung Steinbühltunnel über das Tal. Ist die Vorschubrüstung dort angekommen, wird sie zurückgezogen und beginnt mit der zweiten Brücke. Rund zwei Jahre sind für diese Arbeiten angesetzt, die im April beginnen sollen.

53 Millionen Euro Kosten

„Wir bauen hier für hundert Jahre“, sagt Zaidman und turnt über die Baustelle. Und für veranschlagte 53 Millionen Euro. Mit allem, was dazu gehört. Am einen Hang sind Reptilienzäune aufgestellt – Eidechsen mussten umgesiedelt werden. Wenn die Brücken fertig sind, sollen die Hänge aufgefüllt und renaturiert werden. Für die Bewohner von Mühlhausen, die bis dahin zahlreiche Lkw-Fahrten ertragen müssen, sollen die vom Baustellenverkehr malträtierten Straßen gerichtet werden. „Wir stehen im guten Einvernehmen mit der Gemeinde“, sagt Abschnittsleiter Müller. Der Blick schweift hinüber zu den riesigen Kränen, die vom Portal aus jetzt fast auf Augenhöhe sind. Dazwischen liegt noch eine ganze Menge Luft.

Eine ursprünglich angedachte Aussichtsplattform für die Brücken-Baustelle wird es nicht geben. Allerdings werden mehrmals pro Woche kostenpflichtige Führungen angeboten. Anmeldung im Internet unter www.s21erleben.de.