Rehe auf dem Autobahnohr am Kreuz Stuttgart? Klar, die müssen da weg, zu groß ist die Unfallgefahr. Deshalb gab es am Donnerstag einen Großeinsatz mit Vollsperrung, Hubschrauber und Wärmebildkamera. Wildzäune wären auf Dauer wohl billiger.  

Stuttgart - Christian Paulsen kann nur den Kopf schütteln: „Was das wohl wieder gekostet hat, dieser Polizeieinsatz am Donnerstagabend mit rund zehn Einsatzwagen, einem Hubschrauber mit Wärmebildkamera und Autobahnvollsperrung“, sagt der Jagdpächter, dessen Gebiet auch das Autobahnkreuz Stuttgart mit einschließt. Dieses Kreuz, bei dem die A8, die A81 und die A831 aufeinandertreffen, ist von Wald umgeben.

An besagtem Donnerstagabend hatte eine Polizeistreife in dem Bereich Rehe gesichtet. Da die Tiere das sogenannte Ohr zwischen den sich kreuzenden Autobahnen nicht mehr hätten verlassen können, ohne die Fahrbahnen zu überqueren, wurde das Autobahnkreuz gegen 21.45 Uhr komplett gesperrt. Durch die Sperrung kam es zu Staus von etwa drei Kilometern Länge in alle Fahrtrichtungen.

Autobahnkreuz Stuttgart

Auch Christian Paulsen war gerufen worden. Wieder einmal. „Das kommt oft vor, dass ich wegen Wildtieren auf der Autobahn ausrücken muss“, sagt er. Auch ihm war gleich klar: Die Rehe müssen weg von dem Autobahnohr. „Die Tiere stellen sonst eine riesige Unfallgefahr dar – und wenn man eine Gefahr erkannt hat, muss man laut Bundesgesetzbuch alles tun, diese zu minimieren“, sagt er. Beim Zusammenstoß mit einem 100 Kilometer pro Stunde fahrenden Auto entwickelt ein 20 Kilogramm schweres Reh ein Gewicht von einer Tonne.

Dennoch ist Paulsen mit der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nicht einverstanden. „Mit dem Geld, das dieser Polizeieinsatz gekostet hat, hätte man sicher einen Wildzaun um das komplette Gebiet des Autobahnkreuzes bauen können – dann hätte sich das Thema endlich ein- für allemal erledigt“, sagt Paulsen. „Aber ich glaube, das scheitert am Geld und an der fehlenden Kompetenz“, sagt Paulsen. Die Umzäunung müsste vom Bund genehmigt werden. Beim Verkehrsministerium war am Freitagmittag allerdings niemand mehr zu erreichen, der zu dem Thema Stellung nehmen konnte.

So blieb am Donnerstag sechs Polizeibeamten und Paulsen nichts anderes übrig, als während der Sperrung der Autobahn, die bis 22 Uhr dauerte, das Gestrüpp inmitten des Autobahnohrs zu durchkämmen, um die Rehe zu vertreiben. „Eines haben wir aufgestöbert, über den Verbleib der beiden anderen konnte auch die Wärmebildkamera des Hubschraubers keine Anhaltspunkt geben – das Gelände ist zu bewuchert“, sagt Paulsen. Der Jagdpächter war glücklich, als am kommenden Tag im Radio kein Unfall am Autobahnkreuz Stuttgart gemeldet wurde. Dafür gab es in Baden-Württemberg reichlich Unfälle: Laut der Wildunfall-Statistik des deutschen Jagdverbands kam es zwischen April 2012 und März 2013 zu 24 435 Unfällen mit Rehwild, 4421 mit Schwarzwild, 72 mit Damwild und 48 mit Rotwild.

Gründe hierfür sind, dass sich die Verkehrsdichte auf deutschen Straßen seit 1975 vervierfacht hat. Gleichzeitig hat sich aber auch die Zahl der Wildtiere, besonders die der Wildschweine, vergrößert. Zwar weiß niemand genau, wie viele Wildschweine sich im Land herumtreiben. Doch schon die Abschusszahlen zeigen, dass milde Winter und üppiges Futterangebot die Geburtenrate massiv erhöht haben.

„Ich habe allein in den vergangenen sechs Wochen drei tote Rehe von der Straße geholt“, sagt Paulsen. Denn viele Autofahrer, die ein Wildtier an- und überfahren, melden den Unfall nicht der Polizei oder dem Jagdpächter, obwohl dies Pflicht ist. „Wenn die zu schnell unterwegs waren, dann trauen sie sich nicht, jemanden zu rufen“, sagt Paulsen. Und seine Erfahrung ist: „Viele rasen auf dieser Strecke – das konnte ich am Donnerstagabend wieder beobachten“. Darum ist seiner Empfehlung, um Wildunfällen vorzubeugen: „Angepasst fahren“.

Warum aber zieht es die Rehe immer wieder an die Autobahnohren? „Am Rand der Fahrbahn wachsen hohe Gräser und Kräuter, da dort selten gemäht wird. Das lieben die Rehe, sie kommen dort zum Äsen hin. Das Dickicht in der Mitte der Ohren bietet ihnen zudem ideale Bedingungen zur Deckung“, erklärt Paulsen.

Rehe und andere Wildtiere können aber jederzeit und überall auf der Fahrbahn sein. Erst am 23. Mai waren einem 42-jähriger Taxifahrer auf der B 28 zwischen Herrenberg und Jettingen Rehe vor das Auto gesprungen. Er wich aus und wurde schwer verletzt.