Sehr begehrteTrophäe: der Grimme-Preis Foto: dpa/Roland Weihrauch

Das Marler Grimme-Institut wird fünfzig. Kritiker wünschen sich angesichts der digitalen Umwälzung, dass es mehr Präsenz in der Öffentlichkeit zeigt.

Vermutlich würden nicht mal die Marler sagen, dass ihre Stadt am Rand des Ruhrgebiets eine Reise wert sei. Trotzdem pilgern zu Beginn jedes Jahres Dutzende Menschen aus den Bereichen TV-Kritik, Medienwissenschaft und Erwachsenenbildung hierher, um mit dem Grimme-Preis die wichtigste Auszeichnung zu vergeben, die Fernsehschaffende in Deutschland bekommen können. Tatsächlich sind die seit 1964 verliehenen Trophäen mittlerweile der einzige Grund, warum sich das im September 1973 von dem Pädagogen Bert Donnepp gegründete Grimme-Institut außerhalb der Medienbranche noch einer gewissen Wahrnehmung erfreut. Aber auch innerhalb ist es merkwürdig still geworden, und das nicht erst in den letzten Jahren. Dabei hätte die Medienlandschaft angesichts der Umwälzungen, die die Digitalisierung im Bereich der bewegten Bilder ausgelöst hat, einen Leuchtturm dringend nötig. Das Schweigen aus Marl fügt sich jedoch in eine allgemeine Entwicklung: Medien aller Art werden immer wichtiger, doch eine öffentliche Auseinandersetzung findet nur noch punktuell statt.

Lautstark und zugespitzt

Das war mal anders, und „Grimme“ war nicht selten maßgeblich am Diskurs beteiligt; oft hat es ihn sogar selbst initiiert. Warum geschieht das nicht mehr? Frauke Gerlach, seit 2014 Direktorin des Instituts, kann das erklären: „Ganz grundsätzlich ist festzustellen, dass zwar alle nach mehr medienkritischen Diskursen rufen, die Räume dafür aber immer weniger werden. Debatten über medienpolitische Themen anzustoßen, wird auch dadurch immer schwieriger. Dies gilt vor allem dann, wenn man Diskurse werteorientiert und wissensbasiert führt und sich nicht an polarisierenden Aufmerksamkeitswettbewerben beteiligt.“

Das ist in der Tat ein springender Punkt: In der Öffentlichkeit werden Debatten zunehmend lautstark und zugespitzt geführt; wer differenziert diskutiert, findet deutlich weniger Gehör. Aber es gibt ja noch andere Ebenen, auf denen gute Argumente durchaus gefragt sind. Themen gäbe es genug, allen voran die seit Jahren überfällige Neuordnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Mit einem entsprechenden Entwurf könnte Grimme für einen Paukenschlag sorgen. Juristin Gerlach erhebt Einspruch und verweist auf das Partizipationsprojekt #meinfernsehen2021, an dem man über zwei Jahre zusammen mit dem Düsseldorfer Institut für Internet und Demokratie (Uni Düsseldorf) gearbeitet habe. Selbst in der Branche ist dieses Projekt aber kaum bekannt. So läuft es am Ende doch wieder auf den Grimme-Preis hinaus, der laut Gerlach nach wie vor „einen wichtigen Beitrag zum öffentlichen Diskurs über die Qualität von Medien“ leiste. Das gelte im Übrigen auch für die Grimme Akademie „mit ihren vielfältigen Aktivitäten“.

Es ehrt die Institutsleiterin, dass sie nicht gleich als erstes auf eine ganz andere Schwierigkeit hinweist: Nicht nur die Räume werden immer weniger. Das Grimme-Institut ist mit den gleichen Problemen konfrontiert wie nahezu alle Kultureinrichtungen: Inflation und Energiekrise hatten zur Folge, dass die nicht beeinflussbaren Kosten gestiegen sind, auch das Personal wird immer teurer. Wenn der zum größten Teil vom Land NRW gestellte Etat (derzeit gut drei Millionen Euro pro Jahr) nicht mitwächst, führt das unweigerlich zu einer strukturellen Unterfinanzierung.

Neu justieren!

Für 2023 hat die Staatskanzlei ihre institutionelle Förderung bereits um gut 320 000 Euro erhöht; im nächsten Jahr rechnet das Institut mit Mehrkosten in Höhe von 430 000 Euro. Derzeit sucht Gerlach gemeinsam mit einer Beratungsagentur „nach Einsparmöglichkeiten und Strategien, neue Erträge zu generieren“. Diese finanzielle Problematik kostet Kraft und Energie. Auch Gerlach würde sich lieber den Herausforderungen der nächsten Jahre stellen. Sie nennt unter anderem die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz und algorithmisch erstellten Medieninhalten sowie von Chatbots wie ChatGPT: „Diese digitalen Instrumente werden die Unterscheidung von Wahrheit, Lüge und Manipulation noch schwerer machen.“ Das Grimme-Institut soll „auch in Zukunft seinen spezifischen Beitrag zur Orientierung und Medienbildung leisten.“

Genau das erwarten die Menschen, die der Einrichtung seit Langem verbunden, aber aktuell enttäuscht sind. Beiträge zur Zukunft der Medien, sagt einer aus dieser Gruppe, seien aus Marl schon lange nicht mehr gekommen, dabei wären das Institut und der Preis „nach Geist und Tradition ideale Plattformen für die unabhängige Diskussion über die Zukunft unserer Medien und die Weiterentwicklung der Qualitätsstandards für Medienangebote“. Wer die Grundsätze von Gründervater Donnepp „für richtig und notwendig hält, muss die Aufgaben und Zielsetzungen für das Grimme-Institut neu justieren“. Adressaten dieser Forderung sind die Gesellschafter, allen voran der Deutsche Volkshochschul-Verband, um den es allerdings ebenfalls still geworden ist.

Info

Anfänge
 Am Anfang stand eine Vision von Bert Donnepp, der seit 1949 das Bildungswerk der Stadt Marl leitete: Der Pädagoge betrachtete Fernsehen und Erwachsenenbildung nicht als Konkurrenten, sondern als Partner; Aufklärung über die Medien war für ihn Teil der politischen Bildung. Das einte ihn mit Adolf Grimme, von 1948 bis 1955 erster deutscher Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks. Nach dem Kulturpolitiker hatte Donnepp bereits den seit 1964 vom Deutschen Volkshochschul-Verband (DVV) in Marl verliehenen Adolf-Grimme-Preis benannt, nun wurde er auch Namenspatron des am 23. September 1973 gegründeten Instituts.

Teilhaber
 Gesellschafter sind heute neben dem DVV sowie dem Land NRW unter anderem WDR und ZDF. Donnepp wiederum ist Namensgeber des Deutschen Preises für Medienpublizistik. Unser Autor ist regelmäßiges Mitglied der Grimme-Jury.