In Griechenland könnte die Regierungskrise sich bald wieder zu einer Finanzkrise ausweiten – das hängt vom Ausgang der Neuwahl am 25. Januar ab. Foto: dpa

Mit dem Ausbruch der Krise in Athen kultivierten zunächst griechische Kommentatoren und Karikaturisten eine neue Deutschenfeindlichkeit. Der Antigermanismus in Griechenland hat nun eine neue Qualität erreicht.

Athen - Michalis Psylos, 54, Bubi-Gesicht, sieht überhaupt nicht wie einer aus, den etwas schnell auf die Palme bringen kann. Geht es aber um die harte Haltung Berlins gegenüber Griechenland, seit Anfang 2010 unangefochten das Epizentrum der nur scheinbar überwundenen Euro-Krise, fährt er rasch ziemlich schweres Geschütz auf. „Deutschland hat im vorigen Jahrhundert zwei Weltkriege begonnen – und hat beide verloren. Die Eliten in Berlin haben mit Beginn der Euro-Krise damit angefangen, einen Wirtschaftskrieg in ganz Europa zu führen. Es ist doch ganz simpel: Was die Deutschen mit den Panzern der Wehrmacht nicht erreichen konnten, wollen sie nun durch die von ihnen verordnete Sparpolitik in den Krisenländern erreichen.“ Seine Augen funkeln, als er das sagt.

Psylos wird in Griechenland nicht nachgesagt, ihn würden hartnäckige Hirngespinste plagen. Im Gegenteil. Seit 1988 arbeitet er bei der halbamtlichen Athener Nachrichten-Agentur ANA, er gilt hierzulande als ausgewiesener Experte für internationale Politik. Seit Wochen tourt Psylos nun durchs ganze Land, um sein im Frühjahr erschienenes Buch vorzustellen. Ob auf Kreta, in Thessaloniki oder Athen: das Publikum hört ihm aufmerksam zu. Der Titel seines Werks: „Von Ottos Reichenbach zu Merkels Reichenbach“. Untertitel: „180 Jahre deutscher Vorherrschaft in Griechenland“.

Die beiden Protagonisten: Der erste Reichenbach, Vorname Christopher, ein Militärangehöriger, kam 1833 mit 25 Jahren mit Tausenden anderer Staatsdiener Bayerns im Gefolge von Griechenlands erstem König, dem Wittelsbacher Otto I., nach Hellas, um den noch jungen Staat nach dem Freiheitskampf der Griechen gegen die osmanischen Herrscher allmählich aufzubauen. Der andere Reichenbach, Vorname Horst, ein gebürtiger Kieler und EU-Beamter im Ruhestand, wurde im Sommer 2011 mit ein paar Dutzend anderer EU-Angestellten nach Athen entsandt, um das Euro-Land nach dem faktischen Staatsbankrott wieder auf Vordermann zu bringen.

Christopher Reichenbach wurde von Otto I. zum Direktor der Athener Münzanstalt bestimmt. Seine Aufgabe: Die Landeswährung Drachme einführen. Horst Reichenbach wurde von der EU-Spitze zum Chef der eigens ins Leben gerufenen Task Force Griechenland bestimmt. Seine Aufgabe: Die von Griechenlands öffentlicher Gläubiger-Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds vorgeschriebenen Strukturreformen umsetzen helfen, etwa die Verbesserung der Steuereintreibung oder Reformen in der öffentlichen Verwaltung.

Für Buchautor Psylos ist die Sache glasklar: Die beiden Reichenbachs belegen in der Causa Griechenland „die historische Kontinuität in Sachen deutsche hegemoniale Präsenz“. Sein einprägsames Motto: Damals hatte Griechenland unter einem sonderlich fremden, überaus ungeliebten Monarchen schon seinen Reichenbach. Heute, 180 Jahre später, hat die Hellenische Republik unter der Fuchtel der Geldgeber-Troika wieder einen. Psylos: „Die Geschichte wiederholt sich als eine Farce.“

Vor der Krise waren die Deutschen Lieblinge

Fakt ist: Vor der desaströsen Krise waren die Deutschen noch das Lieblingsvolk der Griechen. Doch im Zuge des Spardiktats brach in Griechenland plötzlich eine neuerliche Deutschenfeindlichkeit aus. Anfang 2012 befragte das Athener Meinungsforschungsinstitut VPRC rund 800 Griechen, über drei Viertel der Befragten waren der Meinung, Deutschland sei ihnen feindlich gesinnt. 69 Prozent glaubten sogar, deutsche Politiker verfolgten tatsächlich das Ziel, ein „Viertes Reich“ zu errichten. Auf die Frage, was sie mit Deutschland assoziieren würden, nannte jeder Dritte Befragte Wörter wie „Hitler“, „Nazismus“ oder „Drittes Reich“. Unermüdlich setzten hellenische Karikaturisten Angela Merkel in Panzer und ließen sie griechische Buben erschrecken. Die schlimmere Variante: Merkel mit Lederpeitsche und Hakenkreuzbinde. „Dimokratia“-Chefredakteur Andreas Kapsabelis erklärte damals dazu: „Wir erfüllen unsere Aufgabe, indem wir der öffentlichen Meinung Ausdruck verleihen. Die Griechen sind davon überzeugt, dass zumindest ein Teil der Deutschen ihnen nicht helfen, sondern sie bestrafen will.“

Dieser spontane, laute Wutausbruch gegen die Deutschen ist in Athen zwar längst verpufft. Wer aber glaubt, der Antigermanismus sei verstummt oder gar verschwunden, irrt gewaltig. Der Deutschenhass hat in Griechenland eine neue Stufe der Qualität erreicht. Es ist eine Deutschenfeindlichkeit 2.0, die in Athen herrscht. Fast scheint es so, als ob sich die intellektuelle Elite Griechenlands mittlerweile am liebsten mit Deutschland und den Deutschen beschäftigen würde – politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich, tiefenpsychologisch.

Es sind nun die griechischen Dichter und Denker, die Deutschland unter die Lupe nehmen. Sie tun dies leiser, ohne großes Tamtam. Sie tun dies aber auch ungleich ausführlicher, subtiler und letztlich: effizienter. Und ihr Urteil über die Deutschen fällt dabei ebenso niederschmetternd aus.

Psylos’ opulentes Werk ist das letzte einer Reihe jüngst erschienener Bücher durchaus renommierter Autoren. Schon deren Titel sind allesamt unmissverständlich: „Die Rückkehr des Reichs“, „Aufstieg und Fall des deutschen Europas“, „Wolf-Gang – die (kriminelle) Bande des Wolfes“ (gemeint ist der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Anmerkung der Redaktion) oder „Das deutsche Syndrom“. Ihr gemeinsamer Nenner: der böse Deutsche, der in Athen ein „Viertes Reich“ errichten will.

Die Folge: Der in Griechenland ausgebrochene Antigermanismus hat sich hierzulande mittlerweile in den eigentlich klügsten Köpfen eingenistet. Hatte sich die Deutschenfeindlichkeit anfangs in der breiten Bevölkerung ausgebreitet, frisst sie sich nun immer weiter nach oben, in die Schreibstuben der Athener Intelligenz, in die Politik.

Dabei kommt die größte Investition seit Beginn der Wirtschaftskrise aus Deutschland. Der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport hat Ende November mit einem griechischen Partner bei der Privatisierung von 14 griechischen Regionalflughäfen das Rennen gemacht. Der Gesamtpreis für die Betreiberkonzessionen beläuft sich auf 1,234 Milliarden Euro. Griechenland brauchte mehr solcher Investitionen.

Einer der wenigen, der sich dem grassierenden Antigermanismus in Griechenland öffentlich mit Vehemenz widersetzt, ist der Athener Schriftsteller und Unternehmer Spyros Vletsas. Er hebt hervor: „Seit den 1990er Jahren hat der Nationalismus, früher eine Domäne der Rechtsradikalen in Griechenland, weite Teile der griechischen Linken erfasst. Im Gegenzug hat die Rechte den Antiamerikanismus übernommen, bis dahin einer der ideologischen Grundpfeiler der Linken. Es ist kein Zufall, dass dieser Austausch zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, als Griechenland den Beitritt zum Euro anstrebte. Nach dem Ausbruch der Krise 2010 löste der Antigermanismus den in Griechenland bis dahin latenten Antiamerikanismus ab.“

Schäuble warnte Griechenland angesichts der anstehenden Parlamentswahl vor einer Abkehr vom Sparkurs. „Wenn Griechenland einen anderen Weg einschlägt, wird es schwierig.“ Bei der für den 25. Januar angesetzten vorgezogenen Wahl könnte das Linksbündnis von Alexis Tsipras den amtierenden Regierungschef Antonis Samaras von der konservativen ND-Partei überflügeln. Tsipras will die Sparpolitik beenden und einen Schuldenerlass erreichen. Der Euro fiel am Dienstag auf den tiefsten Stand seit zweieinhalb Jahren. Die Krise in Griechenland belaste die Gemeinschaftswährung, hieß es.

Die Griechen hätten, so Vletsas, ein Syndrom der kollektiven Unsicherheit. Das führe dazu, dass sie hinter jedem Misserfolg eine Verschwörung des Auslands sehen. „Auch wenn die Fehler offensichtlich bei den Griechen selbst liegen, sehen sie viele Feinde, die Griechenland auslöschen und das griechische Volk erniedrigen wollen.“ Keine Frage, wer auch aktuell der Feind Nummer eins für die Griechen ist: Deutschland und die Deutschen.