Graffiti-Künstler Peter Hauer (li.) wünscht sich mehr Freiflächen. Foto: factum/Granville

Die Graffiti-Szene wünscht sich weitere legale Flächen, etwa am Neckarpark

Neckarvororte - Über Graffiti lässt sich streiten: Die einen halten sie für Schmierereien und Sachbeschädigungen, die anderen sehen darin Kunst und Ausdrucksmöglichkeit. Die ersten gründen Vereine wie den Förderverein Sicheres und Sauberes Stuttgart. Dort kümmert sich Edgar Hemmerich als Geschäftsführer um ungewünschte und illegale Graffiti. „Wir wollen den geschädigten Privateigentümern helfen“, sagt der Birkacher Bezirksvorsteher .

So vermittelt der Verein Maler, die vergünstigt die Wände überstreichen ober beraten, wenn es um einen Anti-Graffiti-Anstrich geht. Seine Einschätzung der Lage: „In Stuttgart gibt es relativ wenige Probleme“, sagt Hemmerich. Er sieht auch die zweite, künstlerische Komponente der Sprühbewegung und signalisiert, dass sein Förderverein für legale Projekte Spraydosen finanzieren könnte.

Legales Sprayen, das fände auch Peter Hauer gut. Der 18-Jährige ist Graffiti-Künstler sowie freischaffender Illustrator und ständig auf der Suche nach freien Flächen – und nach Auftraggebern. Mit zwölf Jahren hat er zum ersten Mal zur Sprühdose gegriffen und ist nicht mehr davon losgekommen. Heute können sich seine Werke sehen lassen und zieren etwa die Rückseite der Boost-Halle neben dem Stadtarchiv. Dort prangt das Porträt einer jungen Frau auf einem vier Meter hohen Rolltor. In Manchester, beim Besuch einer Radiostation, durfte er kurzerhand eine Wand besprühen. Und wie sieht es hier aus?

Während die Farbe des einen gerade noch trocknet, fängt schon der nächste an zu sprühen

Stuttgart ist nackt für den 18-Jährigen: „Wir haben ein komplett kahles Stadtbild“, sagt Hauer. Dabei gäbe es viele geeignete Wände. Ideen hat er bereits, wie er auf einer Rundfahrt mit dem Fahrrad durch Bad Cannstatt zeigt: am Kreisverkehr direkt beim Cannstatter Carré genauso wie an der Daimlerstraße bei der Aral-Tankstelle. Die Jahn-Realschule könnte ebenso eine schönere Wand gebrauchen wie das Neckarufer bei Rilling Sekt. Doch in der Landeshauptstadt gibt es kaum Auftraggeber.

Viel Raum für Sprayer gibt es tatsächlich nicht in Stuttgart. Nur eine einzige Hall of Fame ist vor einigen Jahren eingerichtet worden. Dort, unter der König-Karl-Brücke in Bad Cannstatt, können sich Sprayer ganz legal und von der Stadt freigegeben auf einem definierten Raum austoben. Das funktioniert ganz gut, aber der Druck ist groß, wie Hauer berichtet: Während die Farbe des einen gerade noch trocknet, fängt schon der nächste an zu sprühen. Eine mögliche Lösung bringt nun Rainer Mayerhoffer, der Geschäftsführer des Stadtjugendrings, ins Spiel: Man könnte mit relativ wenig Aufwand – vielleicht auch mit Sponsoren – auf der Brachfläche am Neckarpark eine Betonwand aufstellen (samt Mülleimer daneben), wo junge Sprayer ihre Künste ausprobieren könnten. Dasselbe kann sich Mayerhoffer auch im Rosensteinviertel vorstellen.

Stuttgart braucht noch eine „Hall of Fame“

Die Idee am Neckarpark findet bereits erste Befürworter. Peter Hauer als Sprayer kann sich vorstellen, dass solch ein Angebot funktioniert. Auch Florian Schupp ist davon überzeugt. Der Sozialpädagoge ist Graffiti-Beauftragter der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft und hat seit Jahren Kontakt zur Sprayer-Szene: „Es braucht mindestens noch eine weitere Hall of Fame“, sagt Schupp: In Freiburg gebe es allein 15 bis 20 solcher Halls.

Schupp ist seit fast neun Jahren die Schnittstelle zwischen Stadt, Polizei und der Szene. Er ist immer auf der Suche nach legalen Wänden. „Es können gern auch temporäre Flächen sein wie Bauzäune oder Abbruchhäuser“, betont er. Wenn man eine Fläche für zwei oder drei Jahre nutzen könnte, sei das ein Schritt in die richtige Richtung. „Man muss den Jugendlichen Raum geben. Sie wollen gestalten“, sagt Schupp. Auch das Tiefbauamt zeigt sich beim Thema Graffiti aufgeschlossen: „Wir versuchen, dieser Bewegung unter Jugendlichen, in der sie ihr Lebensgefühl zum Ausdruck bringen, Raum zu geben“, sagt Claus-Dieter Hauck. So durften die zwei Graffiti-Künstler und Aka-Studenten Jan-David Ducks und Mark Bohle das Portal der neuen Rossbollengässle-Tiefgarage im Stuttgarter Westen gestalten. Zudem stellt das Tiefbauamt jedes Jahr etwa zwei bis drei Unterführungen zur Verfügung, die von Sprayern verschönert werden können.