Seit drei Jahren ist Alex Maier Göppinger Oberbürgermeister. Im Interview spricht der 32-Jährige über die aktuelle Stimmung in der Gesellschaft und gibt einen Ausblick auf wichtige Projekte in der Stadt.
Herr Maier, Sie sind seit drei Jahren im Amt. Wie bewerten Sie die politische Situation in Deutschland? Bereitet Ihnen die fortschreitende Spaltung der Gesellschaft Sorge?
Ich würde nicht sagen, dass die Gesellschaft komplett gespalten ist. Ich glaube, wir haben viele Entwicklungen, die es schon seit Jahrzehnten gibt, die sich aber jetzt offenbar verschärfen aufgrund vieler Unsicherheiten. Wir haben quasi mitten in Europa einen Krieg, im vergangenen Jahr kam noch der Angriff auf Israel dazu, der in der Grausamkeit, wie er stattgefunden hat, nur schwer zu greifen ist für uns alle. Hinzu kommen wirtschaftliche Unsicherheiten. Das alles trifft auch die Bürgerinnen und Bürger in der Stadt Göppingen.
Und bei vielen Menschen ist die Stimmung gereizt ...
Ja, viele haben offenbar eine sehr kurze Zündschnur. Wenn dann etwas nicht sofort so funktioniert, wie man es gerne hätte, wird gleich der Untergang heraufbeschworen, und das finde ich übertrieben. Ein bisschen Entspannung täte uns gut.
Inzwischen gehen Hunderttausende auf die Straße, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Auch in Göppingen wurde schon demonstriert. Beginnen die Menschen, sich Sorgen um die Demokratie zu machen?
Viele Leute machen sich Gedanken darüber, ob sie sicher sein können, dass der demokratische Rechtsstaat so weiter besteht, ohne dass man ihn verteidigt. Wenn sich jemand für den Rechtsstaat, für Demokratie, für Freiheit einsetzt, nicht nur für die eigene, sondern auch für die der anderen, dann ist das ein positives Zeichen, und das kann manche Spaltungen vielleicht wieder ein bisschen heilen.
Die Spannungen rühren auch daher, dass es sehr viel Frust über die Politik gibt. Ist der für Sie nachvollziehbar?
Natürlich hat die Politik – und das gilt für alle demokratischen Parteien, die in Regierungsverantwortung stehen – nicht immer alles richtig gemacht. Man kann auch nicht davon ausgehen, dass immer alle alles richtig machen. Trotzdem ist es wichtig, darauf hinzuweisen: Ja, wir haben Probleme, und ja, man kann sich auch streiten und über Lösungen diskutieren. Aber einen Weg zu wählen, der nicht durch die Verfassung gedeckt ist, wird sicherlich keines der Probleme lösen und da erwarte ich dann einfach auch ein bisschen mehr, auch Selbstkritik von allen, die in der Verantwortung stehen in der Politik. Ich nehme mich selber da auch nicht aus.
Was hat sich in Göppingen verändert seit Alex Maier auf dem Chefsessel im Rathaus sitzt?
Ich glaube, dass sich vor allem verändert hat, dass wir Dinge strategisch angehen. Das zeigt auch unser Projekt Wegekompass, unsere strategische Zielplanung. Ich weiß, dass viele meiner Vorgänger auch daran gearbeitet haben. Am Ende hat es aber nie den gewünschten Effekt gebracht. Wir haben das breiter aufgestellt, haben einen groß angelegten Prozess mit der Bürgerschaft gemacht. Und auch, wenn es Kritik gibt, glaube ich, dass dieser Weg richtig ist.
Was bedeutet das konkret im stadtpolitischen Alltag?
Wir müssen weg von ,hier mal eine Stellschraube drehen und da noch einen Flicken drauf nähen’, sondern wirklich ein Bild zeichnen, wie soll die Stadt aussehen, und dann Schritt für Schritt die Maßnahmen ergreifen, die zur Erreichung des Ziels führen. Dafür muss man sich Zeit nehmen. Das gefällt natürlich auch nicht allen. Man muss aber versuchen, die Leute mitzunehmen. Das gelingt mal besser und mal schlechter. Aber im Großen und Ganzen glaube ich, das planvolle Vorgehen wird mittel- bis langfristig die gewünschten Erfolge bringen.
Trotzdem spürt man eine Ungeduld, im Gemeinderat, aber auch in Teilen der Bevölkerung. Nehmen wir das Beispiel Verkehrskonzept in der Innenstadt. Autos rein oder Autos raus? Die Hauptstraße verkehrsberuhigen? Wann passiert da was?
Ich habe eine ganz klare Meinung. Es gibt diverse Studien, die zeigen, dass die Aufenthaltsqualität und damit auch die Aufenthaltsdauer in einer Innenstadt steigen, wenn mir beim Draußensitzen vor dem Café nicht das Auto über den Fuß rollt. Wir haben dafür übrigens auch ein eigenes Beispiel. Den Marktplatz möchte heute keiner mehr haben, wie er vor 20 Jahren gewesen ist, mit 20 000 Fahrzeugen, die da drüber gefahren sind. Das ist meine Meinung. Allerdings ist der Oberbürgermeister ja nicht allein entscheidend. Ich bringe die Diskussion ein. Aber es gibt viele Akteurinnen und Akteure, die da mitmachen sollen. Ich möchte niemandem etwas aufzwingen, sondern versuchen, die Menschen mitzunehmen und zu sagen, schau mal, was bietet es euch denn für Vorteile. Und ja, das dauert. Auch der Diskussionsprozess dauert länger als ich gedacht hatte und als ich es mir gewünscht hätte. Aber ich glaube, dass wir ein gutes Ergebnis bekommen. Wir bekommen vielleicht nicht das Maximale, das ich vielleicht auch gerne hätte, und viele andere auch. Aber ich glaube, wir finden eine Lösung, sodass auch Einzelhändler, die dem kritisch gegenüberstehen, mitgehen können.
Gibt es einen konkreten Zeitplan?
Ich bin ganz guter Dinge, dass wir auf jeden Fall in den nächsten Monaten Beschlüsse dazu fassen können. Die Umsetzung hängt natürlich davon ab, was man genau beschließt. Was man auf jeden Fall schon sieht: Das dynamische Parkleitsystem wird viel Parksuchverkehr aus der Göppinger Innenstadt rausnehmen. Da sind wir ja schon in der Umsetzung.
Und ab wann fahren nun keine Autos mehr durch die Hauptstraße?
Ich verspreche da nichts. Ich könnte das theoretisch morgen vorschlagen, aber dann brauche ich ja immer noch einen Beschluss, und ich glaube nicht, dass die Überzeugung groß genug ist – sowohl im Gemeinderat, als auch in Teilen der Bevölkerung -, um das wirklich zu beschließen, zumindest nicht in dieser Einfachheit.
Und wie stehen Sie zur allgemeinen Kritik, dass die Dinge unter OB Maier zu lange dauern?
Also, es sind schon viele Dinge gelaufen, aber die großen Projekte brauchen Zeit, das ist einfach so. Deshalb geht die Amtszeit eines Oberbürgermeisters auch acht Jahre. Ich habe nie versprochen, dass ich mein Wahlprogramm in den ersten drei Jahren umgesetzt habe. Dafür braucht es wahnsinnig viel Diskussion. Und dann kommt auch noch dazu, dass wir natürlich auch viele Sachen machen, die die Verwaltung betreffen und die zu einer verbesserten Qualität des Services gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern führen. Das ist für die Verwaltung auch sehr, sehr viel Arbeit, bringt aber dann auch Verbesserungen wie zum Beispiel die Digitalisierungsstrategie, die wir machen.
Dafür werden die Geldsorgen der Stadt immer größer. Die Verwaltung hatte dem Gemeinderat in den Haushaltsberatungen dringend empfohlen, Grundsteuer, Gewerbesteuer und Kita-Gebühren zu erhöhen. Dafür gab es keine Mehrheit. Stattdessen lautet die Kritik, die Verwaltung solle erst mal eigene Sparvorschläge machen ...
Das hat die Verwaltung auch schon im Haushaltsentwurf getan. Wir haben die Mittel für Sachkosten pauschal um zehn Prozent gekürzt. Das bringt uns mehr Geld ein, als die Gewerbesteuererhöhung oder die Erhöhung der Kita-Gebühren gebracht hätte. Das wird immer ein bisschen ignoriert oder es wird so getan, als ginge es da nur um Bleistifte für die Beamten. Da geht es aber um mehrere Millionen, und da geht es auch tatsächlich um die Arbeit der Verwaltung. Also wir gucken da schon danach. Aber was völlig richtig ist, ist, dass wir natürlich die Aufgaben der Verwaltung anschauen müssen und das Personal effizient verteilen. Das wird ein Prozess, und da werden wir mit dem Gemeinderat viel diskutieren müssen. Niemand wird gerne erklären, dass man einige Dinge, die man bisher gemacht hat, künftig nicht mehr macht. Aber wir kommen anders aus der Sache nicht raus.
Gibt es ein Herzensprojekt von Ihnen, auf dessen Umsetzung Sie sich besonders freuen?
Es gibt viele wichtige Projekte, auf die ich mich freue, aber mein Herzensprojekt bleibt das Boehringer-Areal. Wenn wir da eine gute Lösung präsentieren und jetzt auch loslegen können, dann freue ich mich darauf, wenn wir irgendwann sagen können, dass hier etwas richtig Gutes entstanden ist, das auch weit über die Stadt hinaus ausstrahlt. Darauf freue ich mich wahnsinnig.
Vom Abgeordneten zum Oberbürgermeister
Wahl
Alex Maier, 32 Jahre alt, ist seit dem 14. Januar 2021 Göppinger Oberbürgermeister. Bei der OB-Wahl setzte er sich im zweiten Wahlgang am 8. November 2020 mit einem Vorsprung von 79 Stimmen gegen Amtsinhaber Guido Till (CDU) durch.
Land
Alex Maier war von 2016 bis zu seiner Wahl zum Oberbürgermeister von Göppingen Abgeordneter der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg. Er hatte bei der Landtagswahl 2016 im Wahlkreis Göppingen das Direktmandat für die Grünen gewonnen.
Stadt
Von 2014 bis zu seinem Amtsantritt als OB gehörte er als Stadtrat auch dem Göppinger Gemeinderat an. 2012 initiierte und gründete er den Verein „Kreis Göppingen nazifrei“. Maier ist in Titisee-Neustadt geboren und in Holzheim aufgewachsen.