Die Pflegekräfte sollen bei der Wilhelmshilfe in Zukunft wieder mehr Zeit für ihr eigentliches Tun haben. Foto: Heidner/Wilhelmshilfe

Der größte Altenhilfe-Träger im Stauferkreis will seine Beschäftigten künftig vor Überlastung schützen. Im ambulanten Bereich werden keine Patienten mehr aufgenommen. Auch stationäre Plätze könnten unbesetzt bleiben.

Kreis Göppingen - Dass Beschäftigte um diese Jahreszeit von ihren Arbeitgebern ein Schreiben mit Lob und Dank für ihren Einsatz bekommen, ist keine Seltenheit. Auch die Göppinger Wilhelmshilfe pflegt diesen Brauch seit langem. Doch heuer ist dieser Brief deutlich anders gehalten. Die Geschäftsführung schließt nicht, wie das gemeinhin üblich ist, mit einem „Weiter so!“, sondern kündigt stattdessen Maßnahmen an, um das über die Maßen gestresste Pflegepersonal zu entlasten, weil es gerade dieses „Weiter so!“ nicht mehr länger geben soll.

„Der Pflegenotstand bildet sich nicht nur in Talksendungen ab, sondern ist längst bei uns im Filstal angekommen“, erklärt Matthias Bär, der zusammen mit seiner Kollegin Dagmar Hennings die Geschicke des größten Altenhilfeträgers im Kreis Göppingen lenkt. Rund 650 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich bei der Wilhelmshilfe um gut und gerne 1000 Senioren. Und während die eine Seite in der nächsten Zeit nach Möglichkeit wachsen soll, wird auf der anderen zunächst einmal auf die Bremse getreten.

Diakoniestation kann nur drei Monate überbrücken

„Wir kämpfen zwar weiterhin um qualifizierte Pflegekräfte, werden allerdings ab sofort in unseren Häusern die Bewohnerzahl an die Personalsituation anpassen“, sagt Bär. Und auch im ambulanten Bereich gebe es bis auf weiteres einen Aufnahmestopp, fügt er hinzu. Schon jetzt hilft in diesem Segment die Göppinger Diakoniestation aus. Allerdings nur für die nächsten drei Monate. „Wenn wir bis zum zweiten Quartal 2018 keine neuen Mitarbeiter bekommen, werden wir bestehende Kundenverträge kündigen müssen“, betont Bär.

Dass die Beschäftigten an einer Grenze angelangt sind, hat nicht zuletzt eine Befragung in diesem Jahr gezeigt. Dagmar Hennings fasst die Ergebnisse zusammen und beginnt mit den positiven: „Unsere Angestellten und Aushilfen sind zufrieden, weil sie etwas Sinnvolles tun, eine direkte Rückmeldung bekommen und nach Tarif bezahlt werden.“ Auf der anderen Seite würden die Fachkräfte gerne so arbeiten, wie sie es gelernt hätten, anstatt ständig irgendwelche Löcher zu stopfen, ergänzt sie. Ein Alarmsignal sind für die Altenpflegerin und diplomierte Pflegewissenschaftlerin die vielen Ausfalltage wegen gesundheitlicher Probleme. „Da liegen auch wir mit 24 Tagen bedauerlicherweise im Bundesdurchschnitt.“

Dagmar Hennings: Wir verfallen nicht in Jammerstarre

Matthias Bär sieht nicht zuletzt aus diesem Grund die Wilhelmshilfe in der Verantwortung: „Unsere Belegschaft ist uns genauso wichtig wie unsere Bewohner und Kunden. Wir können und dürfen da nicht weiter zuschauen, sondern müssen aktiv handeln.“ In der Vergangenheit habe man immer nach der Devise gelebt, dass es irgendwie schon gehen werde. „Aber es geht nicht mehr und deshalb tun wir jetzt etwas, um die Pflege so leisten zu können, wie wir das wollen und um ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben“, stellt er klar.

In eine „Jammerstarre“, wie Dagmar Hennings das nennt, werde die Wilhelmshilfe allerdings nicht verfallen. Vielmehr soll künftig alles getan werden, dass die Beschäftigten bleiben und neue hinzukommen: mit Workshops, Schulungen und Qualifizierungen, einer Ethikberatung, einer hauseigenen Gesundheitsförderung sowie einer internen Konsolidierung. „Das machen wir, bis wir wieder auf Kurs sind“, sagt Hennings. Schließlich sei es nicht das Ziel der Wilhelmshilfe Plätze abzubauen, schon gar nicht mit Blick auf die eigene wirtschaftliche Entwicklung.

Matthias Bär fordert Gründung einer Pflegekammer

Die Verantwortlichen blicken deshalb auch auch über den Tellerrand hinaus. Matthias Bär glaubt zwar, dass die Pflegeproblematik mittlerweile in der Politik angekommen ist. Von wünschenswerten Rahmenbedingungen sei man aber noch weit entfernt. „Wer kann schon aus eigener Tasche 2500 Euro oder noch mehr für einen Heimplatz dauerhaft stemmen?“, fragt nicht nur er sich. Es sei also kein Wunder, dass es da immer ums Sparen und Beschränken geht. „Würde man jedoch die Pflegeversicherung auf ein Teilkaskomodell umstellen, mit einem festen und kalkulierbaren Eigenanteil, wäre das anders“, davon ist der Geschäftsführer überzeugt.

Um politisch eine stärkere Stimme zu bekommen, fordert Bär deshalb – wie auch die bundesweit tätige Initiative Pro Pflegereform – die Gründung einer Pflegekammer. „Andere Berufsgruppen sind da wesentlich besser organisiert und viel präsenter.“ Obendrein sei aber auch die gesellschaftliche Frage zu stellen, wie man im Alter versorgt werden wolle und was einem die Pflege wert sei? „Außerdem müssen Wege gefunden werden, und zwar ohne die Fachkraftquote von 50 Prozent zu senken, eine gute und sinnvolle Versorgung zu gewährleisten“, verlangt Dagmar Hennings. Genau diesen Weg schlage die Wilhelmshilfe jetzt schon mal ein, ergänzt sie.